
Eigentlich ist der Po ein stattlicher Fluss, inzwischen führt er kaum noch Wasser.
(Foto: Andrea Affaticati)
Italien ächzt unter einer extremen Hitzewelle. Flüsse trocknen aus und Landwirte bangen um ihre Ernte. Teilweise kommt es zu Wasserdiebstählen. Eine Fahrt durch die norditalienischen Provinzen Pavia und Lodi zeigt das erschreckende Ausmaß der Schäden, die die Dürre bereits angerichtet hat.
Manche Landwirte sind mittlerweile so verzweifelt, dass sie das Wasser von anderen Landwirten stehlen. Das zumindest berichten Lokalzeitungen. "Ja, es ist schlimm, aber genau deswegen muss man einen kühlen Kopf bewahren", sagt der 43-jährige Landwirt Davide Dornetti ntv.de. Sein Betrieb befindet sich in der Provinz Lodi, südlich von Mailand, und erstreckt sich über 100 Hektar. Er baut Mais und Triticale, eine Pflanzenkreuzung aus Weizen und Roggen, an. Den Mais verwendet er für die Mastschweine, die Triticale für die Herstellung von Biogas.
Vor ein paar Jahren hat er in einen Brunnen investiert, das war teuer, erweist sich jetzt aber als goldrichtig. "Und dieses Jahr in neue Bewässerungssysteme", ergänzt Dornetti. "Das war auch ein großer finanzieller Aufwand. Hat mich 100.000 Euro gekostet, aber immerhin, ich kann jetzt effizienter bewässern und vielleicht die Dürreschäden begrenzen."
Seine Alltagserfahrung teilt er mit den Kollegen, weswegen Dornetti auf Youtube den Videoblog "Agricoltura Innovativa" (Innovative Landwirtschaft) führt. Dort erzählt er, wie es um die Felder steht und welche Vorkehrungen er trifft. "Der Name des Blogs bezieht sich auf innovative Anbautechniken, aber nicht nur", erklärt er. "Innovativ will auch mein Aufruf zum Austausch sein. Und das ist etwas wirklich Neues, denn normalerweise halten die Landwirte ihre neuen Erkenntnisse strikt geheim."
Schluss mit dem Wasserkrieg
Den Landwirtschaftsverbänden zufolge hat die Dürre schon Schäden von mehr als drei Milliarden Euro angerichtet. Das hat auch die Politik wachgerüttelt. Den Agrarsektor nennt man zwar auch Primärsektor, oft wird er aber nicht so behandelt. Vor einer Woche hat die Regierung für die Regionen Piemont, Lombardei, Emilia-Romagna, Veneto und Friaul-Julisch Venetien den Notstand bis zum 31. Dezember 2022 ausgerufen. Auch Hilfsgelder in Höhe von 36,5 Millionen Euro - vornehmlich für Landwirte - wurden bewilligt. Außerdem soll in Kürze ein "Dürre-Sonderkommissar" ernannt werden. Mit welchen Befugnissen er ausgestattet sein wird, ist noch nicht bekannt.
Landwirte scheuen normalerweise wortgewaltige Ansagen. Wenn also, wie Freitag vor einer Woche, bei einer Versammlung in Vigevano, einer Gemeinde in der Nähe von Pavia, von "apokalyptischen Zuständen" die Rede ist, weiß man, dass es für viele ums Überleben geht. Der Agrarverband Confagricoltura von Pavia hatte nicht nur Landwirte und Fachleute zu diesem Diskussionsabend eingeladen, sondern auch zwei Parlamentarier der Demokratischen Partei, damit diese dann in Rom aus erster Hand berichten, wie es um die Landwirte hier steht.
"Rom muss dafür sorgen, dass der Wasserkrieg zwischen den Regionen endet und die landwirtschaftlichen Großräume zusammenarbeiten, anstatt sich gegenseitig das Wasser streitig zu machen", sagt Alberto Lasagna ntv.de. Er ist Wasserbauingenieur, Landbesitzer und Direktor des Confagricoltura Verbands in Pavia. Er war es auch, der den Begriff "apokalyptisch" bei der Versammlung verwendete und die Reisgegend um Pavia, die Lomellina, als den Herd dieser Apokalypse bezeichnete.
Lage "ist verdammt ernst"
"Die Lage ist verdammt ernst", sagt Luca Antonioni ntv.de. Er ist 34 Jahre alt und Reisbauer in dritter Generation in Tromello, einer Ortschaft in der Provinz Pavia. Vater und Großvater sind auch noch im Betrieb tätig, "was für mich eine große Hilfe ist", so Antonioni. Beistand und Erfahrung seien im Moment das Wichtigste. Was die Reisfelder dieses Jahr wirklich abgeben werden, kann er aber nicht sagen, versucht jedoch optimistisch zu bleiben: "Im Moment rechnen wir mit einem Minus von 20 bis 30 Prozent. Hoffentlich regnet es und wir kommen noch glimpflich davon."
Früher gehörten zu den typischen Bildern dieser Landschaft die Kinder, die im Sommer in den Kanälen herumplanschten. Jetzt, wo das Grundwasser fehlt, sind viele Kanäle ausgetrocknet. Die Brücke Ponte della Gerola ist 880 Meter lang und normalerweise nimmt der Po die ganze Breite des Flussbeckens ein. Aktuell erblickt man Rinnsale, die versuchen, sich ihren Weg zum Fluss zu bahnen, aber dann doch versickern. Und wenn der Fluss kein Wasser hergibt, dann gibt es auch keins in den Bewässerungskanälen, die sich durch die Felder ziehen.
Landwirte "haben verschlafen"
Silvia Bernini ist Beraterin des Naturschutzgebiets Parco del Ticino und Landwirtin. Auch sie hat an dem Diskussionsabend teilgenommen. Ihr Betrieb liegt auf der südlichen Seite des Pos, im Oltrepo Pavese, einer Gegend, die Weinschmeckern ein Begriff ist. Dort macht die Dürre den Landwirten genauso zu schaffen. Bernini übt aber auch Selbstkritik. "Natürlich konnte man so etwas wie jetzt nicht vorhersehen, trotzdem meine ich, dass wir auch verschlafen haben. Den Klimawandel gibt es ja nicht seit gestern", sagt sie ntv.de. Sie ist keine Hellseherin, hat aber für ihre 44 Hektar Land schon im Herbst Vorkehrungen getroffen. "Ich hab den wasserintensiven Maisanbau ausgesetzt und stattdessen Getreidesorten, die man im Herbst und Winter sät, zum Beispiel Gerste und Triticale angebaut. Das hat meine Ernte gerettet."
"Was wir hier und jetzt brauchen, um vielleicht noch einen Teil der Felder zu retten, ist eine Bestandsaufnahme der Staudämme, ihren Zustand, wie viel Wasser daraus abgeleitet werden kann", sagt Wasserbauingenieur Lasagna. Er selber führt seit dem 10. Februar Tagebuch über den Grundwasserstand: "Da es im Winter kaum geschneit und geregnet hat, konnte man ja schon eine Ahnung von der Wasserknappheit haben, die uns erwarteten würde."
Lasagna plädiert unter anderem dafür, dass aus den 45 Wasserkraftwerken, die sich im Piemont und der Lombardei befinden "ein Teil des Wassers für die Landwirtschaft abgezweigt wird - und zwar sofort." Doch die Mühlen der Bürokratie bewegen sich langsam. Ob noch rechtzeitig konkrete Maßnahmen getroffen werden, müssen die Landwirte abwarten und derweil einen kühlen Kopf bewahren.
(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 13. Juli 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de