Panorama

Janssens im Interview "Jetzt ist das Boostern die Maßnahme der Wahl"

Reicht der Impfstoff? Die Äußerungen des Gesundheitsministers wecken daran Zweifel.

Reicht der Impfstoff? Die Äußerungen des Gesundheitsministers wecken daran Zweifel.

(Foto: dpa)

Hat Deutschland zu wenig Impfstoff? Ganz überraschend kommt die Frage für Intensivmediziner Janssens nicht. Und doch hat er kein Verständnis, dass diese Debatte nun offenbar geführt werden muss. Doch während der Regierungsbildung ging wertvolle Zeit verloren. Immerhin zeigen England und Dänemark, wie sich die Lage hierzulande wohl entwickeln wird.

ntv: Herr Janssens, wir sehen heute 525 neue Todesfälle. Die Zahl steigt. Wann werden sich denn die sinkenden Zahlen der Neuinfektionen auf die Schwersterkrankten und somit auf die Todesfälle niederschlagen?

Uwe Janssens: Das wird wegen der deutlichen Verzögerung noch einige Zeit dauern. Wir wissen mittlerweile sehr genau, dass von einer Infektion bis zur Krankenhausaufnahme beziehungsweise zur Aufnahme auf der Intensivstation 10 bis 14 Tage vergehen. Das heißt, wenn infizierte Menschen erkranken, erkranken sie nicht sofort so schwer, dass sie intensivpflichtig werden. Und vom Zeitpunkt einer Intensivpflichtigkeit bis hin zum Tod eines Patienten oder einer Patientin vergeht noch mal eine geraume Zeit.

Die Patienten, die aktuell auf den Intensivstationen behandelt werden, sind sehr wahrscheinlich mit der Delta-Variante infiziert. Haben Sie eine Idee, was passiert, wenn sich Omikron weiter ausbreitet?

Nein, das kann ich nicht sagen. Wir kennen im Moment nur sehr beunruhigende Zahlen aus Norwegen, Dänemark und vor allem in Großbritannien, wo sich die Omikron-Variante nachweislich ausbreitet und die Delta-Variante ablöst. Wir gehen davon aus, dass in dieser oder nächsten Woche beispielsweise in Dänemark, Norwegen, aber auch in Großbritannien der Omikron-Anteil bei mehr als 50 Prozent liegen wird und Ende des Monats wahrscheinlich sogar alle Infektionen durch Omikron erfolgen. Diese Variante ist deutlich ansteckender. Das wissen wir mittlerweile auch. Sie entzieht sich zum Teil auch dem Impfschutz, sodass in Großbritannien die Impfkampagne zum Boostern bei Patienten über 40 Jahren nochmal in Gang gebracht worden ist. Wir können davon ausgehen, dass ähnliche Effekte und Auswirkungen auf die Epidemie auch bei uns nachweislich sein werden.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte, alles, was wir im Moment machen, ist im Grunde eine Delta-Strategie. Es bräuchte aber eine Omikron-Strategie. Wie kann die aussehen?

Ich kann mir an der Stelle nur sehr verwundert die Augen reiben, dass gestern verkündet wurde, wir hätten keine Reserven und seien nicht in der Lage, bis Jahresende und Anfang nächsten Jahres ausreichend Impfstoffmengen zur Verfügung zu stellen. Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat zugesichert, dass er alles Mögliche in seiner Kraft stehende tun werde, um das zu verbessern. Aber jetzt seien wir noch mal ganz, ganz ehrlich: Wir müssen andere Strategien ergreifen. Jetzt ist tatsächlich das Boostern die Maßnahme der Wahl, um sich gegen die aufziehende Omikron-Variante zu schützen.

Wenn Sie, der Sie täglich auf der Arbeit die schlimmsten Auswirkungen dieser Pandemie sehen, nun hören, es ist nicht genug Impfstoff da und zudem diskutiert wird, die Tests für Geboosterte fallenzulassen - was macht das mit Ihnen?

Ich kann nur tief ein- und ausatmen. Der Bundesgesundheitsminister wird einen sehr, sehr guten Job machen, da bin ich mir ganz sicher. Sich jetzt aber gegenseitig die Schuld zuzuschieben und zu sagen, die alte Regierung hätte zu wenig bestellt - wir haben eine Regierung im Amt, die aber vier Wochen gebraucht hat, um ins Amt zu kommen. Und in dieser Zeit ist gar nichts passiert. Diese Kritik muss man üben. Ich habe übrigens damit gerechnet, dass wir nicht genügend Impfstoff haben. Denn die Kleckerportionen, die bei den niedergelassenen Ärzten ankommen, sprechen eine eindeutige Sprache. Was mich wundert ist, dass ein Bundeskanzler sagt, 30 Millionen Impfdosen werden verabreicht. Bevor ich so eine Aussage treffen würde, würde ich mich beim Bundesgesundheitsministerium, egal wer das leitet, rückversichern, ob das überhaupt valide ist.

Ich möchte noch über eine Aussage der Deutschen Krankenhausgesellschaft mit Ihnen sprechen: Dort heißt es, wenn die Notfallreserve aktiviert werden muss, fehlen diese Kapazitäten an anderer Stelle. Wie nah sind wir an diesem Szenario auch angesichts der Omikron-Variante dran?

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Notfallreserve aktivieren heißt, die Betten zu aktivieren, die im letzten Jahr aufgebaut worden sind, ohne dass wir da Personal zur Verfügung haben. Wir haben aber parallel zum Aufbau der Notfallreserven Betten abbauen oder stilllegen müssen, weil kein Personal zur Verfügung steht. Kämen wir jetzt tatsächlich in die Situation, diese Reserve aktivieren zu müssen oder Personal aus anderen Bereichen, zum Beispiel aus Operationssälen, der Anästhesie, der Intensivmedizin oder Fachpflegekräfte, abzuziehen, bedeutet das natürlich, dass wir aus dem kompletten Routineprogramm aussteigen. Das heißt, und darüber reden wir ja eigentlich schon seit Wochen, dass Dinge, die normalerweise zur Versorgung gehören, nicht mehr stattfinden können.

Mit Uwe Janssens sprach Katrin Neumann

Quelle: ntv.de

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