Kinderarzt Rodeck im Interview "Kinderimpfungen schützen auch Erwachsene"
17.08.2021, 16:46 Uhr
Erste Anlaufstelle bei Fragen zu Impfungen von Jugendlichen sollten nach Ansicht des Berufsverbands die Kinder- und Jugendärzte sein.
(Foto: picture alliance / SvenSimon)
Die STIKO hat nach gründlicher Prüfung die Impfungen gegen Corona auch für Jugendliche zugelassen. Ein wichtiger Schritt, sagt der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Burkhard Rodeck. Skeptisch ist er bei der Frage, ob in Schulen geimpft werden sollte.
ntv: Herr Rodeck, die STIKO empfiehlt jetzt doch für Kinder ab 12 Jahren Impfungen. Was genau hat sich an der Datenlage geändert?
Burkhard Rodeck: Die Zulassungsstudie von Biontech/Pfizer, auf der zunächst die Zulassung beruhte, beinhaltet nur 1131 Kinder, die tatsächlich den Impfstoff bekommen haben mit einer definierten Nachbeobachtungszeit von zwei Monaten. Das war sehr dünn. Jetzt stehen aber aufgrund der großen Zahl von Kindern und Jugendlichen, die in den Vereinigten Staaten, in Kanada aber mittlerweile auch in Deutschland geimpft worden sind, viel mehr Daten zur Sicherheit des Impfstoffs zur Verfügung. Und nach deren Auswertung kam die STIKO zu dieser Empfehlung.
Wie sicher können sich Jugendliche sein, dass die Impfung keine nachteiligen Nebenwirkungen für sie hat?
Es gibt nur eine Impfempfehlung im Rahmen der Pandemie und noch keine allgemeine Empfehlung für Zeiten, in denen keine Pandemie ist. Das heißt, auch hier kann man nur eine eingeschränkte Impfempfehlung ablesen, und das ist völlig richtig. Die mRNA-Impfstoffe sind wirklich sehr neue Konzepte. Langzeiterfahrungen liegen noch nicht vor. Aber mittlerweile sind Millionen von Kindern geimpft, die man beobachten kann, und schwerwiegende Nebenwirkungen sind nicht aufgetreten.
Denken Sie, dass diese Information jetzt auch Vertrauen schaffen wird, damit sich mehr Familien für eine Impfung ihrer Kinder entscheiden?
Absolut. Das ist dem Umstand zuzuschreiben, dass die STIKO abgewartet, die Daten ausgewertet und nicht vorschnell gefordert hat, alle Kinder zu impfen. Übrigens, darüber müssen wir uns auch sehr klar sein, um uns Erwachsene zu schützen! Denn sie selbst werden durch dieses Virus kaum richtig krank.
Wo müssen diese Impfungen angeboten werden, damit auch Kinder erreicht werden, die vielleicht sonst eher weniger aufgeklärt sind?
Primär würde ich immer noch sagen, der Kinder- und Jugendarzt ist derjenige, der gefragt werden sollte. Die Kollegen haben jetzt die Sicherheit der allgemeinen Impfempfehlung. Die Frage, ob man Impfungen an Schulen anbietet, ist eine Frage, die nicht ganz einfach zu beantworten ist. Denn sobald man das in den Schulen macht, wird dort ein gewisser Druck auf die Kinder aufgebaut und auf die Eltern, die sich möglicherweise noch nicht impfen lassen wollen. Das hat auch wieder nachteilige Folgen.
Wie wird es jetzt weitergehen? Glauben Sie, dass es auch einen Impfstoff geben wird, der für unter Zwölfjährige zukünftig zugelassen wird?
Das ist notwendig und auch richtig. Jeder Arzneimittelhersteller und auch die Impfstoffhersteller sind verpflichtet, nach europäischen Regeln einen sogenannten pädiatrischen Prüfplan vorzulegen - also einen Prüfplan für die Jüngeren. Das tun sie auch. Die entsprechenden Studien laufen, aber sie müssen natürlich ausgewertet werden. Dann gibt es wieder eine Zulassung durch die europäische Arzneimittelbehörde EMA. Dann wird das natürlich von der STIKO auch wieder geprüft werden müssen, bevor sie für die jüngere Altersgruppe eine Empfehlung ausspricht.
Welche Rolle spielt die STIKO-Empfehlung für die jetzige Kinderimpfung für die Sicherung des Präsenzunterrichts in den Schulen?
Grundsätzlich appellieren wir daran, dass Impfungen im Alter von unter 18 Jahren nicht Voraussetzung für Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und damit auch für die Schule beziehungsweise den Präsenzunterricht sein dürfen. Es gibt darüber hinaus jetzt in Bälde eine neue Überarbeitung der Leitlinie zur Schulöffnung, an der viele Fachgesellschaften - unter anderem auch Schüler und Lehrer - mitgearbeitet haben zur Frage, unter welchen Bedingungen Schulen in Präsenzunterricht weitergeführt werden sollen. Hier kann man nur appellieren, dass Kultusminister, Kommunen, Schulbetreiber und alle Einrichtungsbetreiber, die sich Erziehung auf ihre Fahnen geschrieben haben, sich an diese Empfehlungen halten.
Das wäre das, was die Politik sagt: kein Impfzwang. Denken Sie, dass man dieses Versprechen einhalten kann, oder müssen sich ungeimpfte Kinder doch am Ende auf Nachteile einstellen?
Die theoretische Gefahr besteht ohne Zweifel. Aber wir sollten diesen Weg nicht aktiv beschreiten, sondern die Offenheit zur Impfung zulassen. Das ist völlig in Ordnung. Aber auf der anderen Seite sollten wir daran appellieren, sich impfen zu lassen und argumentieren, dass die Impfung sicher und sehr wirksam ist, und sie in dieser Altersgruppe nach Abwägung der Chancen und Risiken die Chancen des Verhinderns der Erkrankung und auch der Langzeitfolgen der Erkrankung deutlich verbessern.
Mit Burkhard Rodeck sprach Nele Balgo
Quelle: ntv.de