Panorama

"Sein persönliches Waterloo" Missbrauch in Bistum - Druck auf Benedikt steigt

Die Türme der Münchener Frauenkirche - der Kathedrale des Erzbistums München und Freising.

Die Türme der Münchener Frauenkirche - der Kathedrale des Erzbistums München und Freising.

(Foto: Sven Hoppe/dpa/Archivbild)

Das Gutachten zum Missbrauch im Erzbistum München und Freising sorgt für Empörung. Die Rede ist von einem "toxischen Muster" und "Lügengebäude". Der Verein "Wir sind Kirche" fordert eine Reaktion des früheren Papstes Benedikt - im Vatikan wiederum will man erst die Details des Reports prüfen.

Der Vatikan will in den kommenden Tagen detailliert auf das für das Erzbistum München und Freising veröffentlichte Missbrauchsgutachten blicken. Man werde es einsehen und könne dann angemessen die Details prüfen, erklärte der Sprecher des Heiligen Stuhls, Matteo Bruni. "Im Bekräftigen des Gefühls der Schande und der Reue für den von Geistlichen begangenen Missbrauch an Minderjährigen sichert der Heilige Stuhl allen Opfern seine Nähe zu und bestätigt den eingeschlagenen Weg für den Schutz der Kleinsten, indem ihnen ein sicheres Umfeld garantiert wird", hieß es weiter.

Derweil entschuldigte sich Kardinal Reinhard Marx als Erzbischof von München und Freising für die Missbrauchsfälle in seinem Bistum. "Ich bin erschüttert und beschämt", sagte er. Gespräche mit Betroffenen hätten bei ihm dazu geführt, seine Kirche heute in einem anderen Licht zu sehen: "Für mich haben die Begegnungen mit Betroffenen sexuellen Missbrauchs eine Wende bewirkt. Sie haben meine Wahrnehmung der Kirche verändert und verändern diese auch weiterhin", sagte Marx. In der kommenden Woche wolle er inhaltlich detaillierter Stellung zu dem Gutachten nehmen.

Zuvor war in München ein Bericht vorgelegt worden, in dem von mindestens 497 Kindern und Jugendlichen als Opfern sexueller Gewalt von 1945 bis 2019 die Rede ist. Laut der Studie gibt es mindestens 235 mutmaßliche Täter, darunter 173 Priester und 9 Diakone. In dem Gutachten wird nicht nur Marx Fehlverhalten angelastet, sondern auch dem emeritierten Papst Benedikt XVI. in seiner Zeit als Erzbischof in dem Bistum. Benedikt habe als damaliger Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger in vier Fällen nichts gegen den Missbrauch unternommen, teilten die Gutachter mit.

"Toxische Muster" aus Vertuschung

Der Inhalt des Gutachtens sorgte auch in der katholischen Gemeinschaft für Entsetzen. So hofft die Reformbewegung "Wir sind Kirche" auf weitere Untersuchungen in Deutschland. Sie fordert, "dass alle deutschen Bistümer unverzüglich und möglichst nach gleichem Standard Missbrauchsgutachten vorlegen, die Täter und Vertuschungsstrukturen offenlegen", hieß es in einer Mitteilung.

"Wir sind Kirche" berichtete von einem "toxischen Muster" aus Vertuschung durch Leugnen, Versetzen und Wegschauen und erkannte eine "immer zwielichtiger werdende Rolle des damaligen Münchner Erzbischofs Joseph Ratzinger". Die Reformbewegung forderte den 94-Jährigen auf, sich der Verantwortung zu stellen. "Sein persönliches Schuldeingeständnis für sein damaliges Handeln beziehungsweise Nicht-Handeln wäre ein dringend notwendiger Akt und gleichzeitig ein großes Vorbild für andere Bischöfe und Verantwortungsträger weltweit", hieß es.

Der renommierte Kirchenrechtler Thomas Schüller sieht die Reputation des emeritierten Papstes dauerhaft beschädigt. "Das ist sein persönliches Waterloo", sagte Schüller. "Joseph Ratzinger hat die letzte Chance vertan, reinen Tisch zu machen. Er wird der Unwahrheit überführt und demaskiert sich damit selbst als aktiver Vertuscher. Er fügt der katholischen Kirche und dem Papstamt damit einen irreparablen Schaden zu." Schüller betonte, über Ratzingers spätere Zeit als Präfekt der römischen Glaubenskongregation und Papst werde man erst lange nach seinem Tod abschließend urteilen können, wenn die Archive geöffnet würden.

"Er muss noch mal darauf reagieren"

Auch der Missbrauchsexperte Pater Hans Zollner fordert ein Zeichen von Joseph Ratzinger. "Jetzt muss etwas vom emeritierten Papst Benedikt XVI. kommen. Er muss noch mal darauf reagieren", sagte Zollner. Er ist Mitglied der 2014 eingerichteten Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen und fungiert damit als externer Berater für den Vatikan.

Zum Gutachten sagte Zollner: "Die Zahlen sind furchtbar, aber leider nicht überraschend." Diejenigen, die missbraucht wurden, bräuchten nun Gerechtigkeit und Zuwendung. "Für eine wirkliche Aufarbeitung sind die menschliche, psychische und spirituelle Seite wichtig. Nur dann begreift man, was mit den Opfern passiert ist." Es sei erschreckend, dass das nicht von der Kirche gesehen wurde, kritisierte der deutsche Jesuit.

Der Sprecher der Opferinitiative "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, nennt das Gutachten eine "historische Erschütterung" der Kirche. "Dieses Lügengebäude, was zum Schutz von Kardinal Ratzinger, von Papst Benedikt, errichtet wurde hier in München, das ist heute krachend zusammengefallen", sagte er. Einige Taten hätten nur darum stattfinden können, weil Joseph Ratzinger in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising die Entscheidung getroffen habe, einen Missbrauchstäter in seinem Bistum einzusetzen. Das "täterzentrierte System" sei "an der Spitze belastet", sagte Katsch - "im Vatikan, da wo Benedikt bis heute sitzt und leugnet". "Jeder, der das jetzt hier gerade miterlebt hat, muss erkennen, dass dieses System an sein Ende gekommen ist."

Das vom Erzbistum München und Freising selbst in Auftrag gegebene Gutachten der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) kommt zu dem Ergebnis, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in der Diözese über Jahrzehnte nicht angemessen behandelt wurden und wirft den ehemaligen Erzbischöfen Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, dem heute emeritierten Papst Benedikt XVI., konkret und persönlich Fehlverhalten in mehreren Fällen vor. Auch dem aktuellen Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, wird Fehlverhalten in zwei Fällen vorgeworfen.

Quelle: ntv.de, mbe/dpa

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