Virologe Stürmer bei ntv "Mit purer 2G-Regel fallen wir eher auf die Nase"
02.11.2021, 16:10 Uhr
Im zweiten Corona-Herbst diskutiert Deutschland, ob bestimmte Bereiche des öffentlichen Lebens Geimpften und Genensenen vorbehalten bleiben sollen. Virologe Stürmer plädiert bei ntv für Vorsicht - und würde solche 2G-Konzepte zusätzlich absichern.
ntv: Die STIKO empfiehlt Booster-Impfungen bisher nur für Menschen über 70 Jahren. Jetzt wird geprüft, ob das auch für alle Erwachsenen sinnvoll ist. Was denken Sie?

2G-Kantinen müssen nicht unbedingt sicherer sein als Einrichtungen mit 3G-Regel, erklärt Virologe Stürmer.
(Foto: picture alliance / CHROMORANGE)
Martin Stürmer: Derzeit würde ich der Empfehlung der Ständigen Impfkommission folgen. Ich würde sie aber dann etwas erweitern. Als der Impfstoff noch Mangelware war, haben wir Priorisierungsgruppen eingeführt. Und allen Menschen, die in dieser ersten Priorisierungsgruppe sind, würde ich jetzt die Booster-Impfung zukommen lassen, sofern die Impfung ein halbes Jahr zurückliegt. Des Weiteren denke ich, dass Menschen, die sehr viel mit anderen Menschen zu tun haben und sehr viele Kontakte haben, ein drittes Mal geimpft werden sollten. Damit kann man auch eine ganz gehörige Portion Kontakte sicherer machen. Und das wäre meine Empfehlung.
Wie gut sind denn die Menschen geschützt, die im Sommer ihre Impfung bekommen haben? Hält da der Impfschutz jetzt noch an?
Das halbe Jahr ist auf jeden Fall sicher. Ich denke, dass wir eigentlich noch zu wenig wissen, wie lange bei jungen, gesunden Menschen der Impfschutz vorhält. Deswegen sollte man jetzt vorsichtig sein, jetzt zu schnell zu viel zu impfen. Das schadet zwar nichts, aber wir sollten unsere Ressourcen besser verteilen.
Der Frankfurter Pharmakologe Theo Dingermann fordert einen Antikörpertest vor einer dritten Impfung, um zu prüfen, wer die dritte Impfung überhaupt braucht. Was halten Sie davon?
Grundsätzlich ist diese Überlegung nicht verkehrt. Das kennen wir aber bei bisherigen Impfungen eher nicht, nur bei der Hepatitis-B-Impfung. Dort gibt es einen Grenzwert, ab dem man impft. Und das ist genau das Problem. Diesen Grenzwert, den kennen wir bei Corona-Antikörpertests noch gar nicht. Und dementsprechend ist das noch zu früh.
Die Diskussion um 2G und 3G geht ja weiter. Wie groß ist das Risiko, dass doppelt Geimpfte jemanden anstecken?
Wenn ich doppelt geimpft bin, ist das Risiko relativ gering. Ich kann es jetzt nicht genau in Prozenten festmachen. Aber das ist natürlich deutlich reduziert gegenüber einem Ungeimpften. Ich habe natürlich trotzdem eine gewisse Möglichkeit, mich wieder zu infizieren trotz einer Impfung. Aber wenn, dann werde ich zum einen persönlich nicht schwer krank. Und zum anderen ist die Wahrscheinlichkeit, das Virus an jemand anderen weiterzugeben, auch deutlich reduziert.
Und wie ansteckend kann jemand sein, der nicht geimpft, aber negativ schnellgetestet ist?
Das ist genau die Diskussion. Viele sagen: Getestete sind ja sicherer als die Geimpften, bei denen es eine Durchbruchsinfektion geben kann. Und da verzichtet man ja auf den Test. Natürlich hat dieses Argument etwas für sich. Es hängt davon ab, wie gut dieser Antigen-Schnelltest durchgeführt worden ist, da gibt es durchaus auch Lücken. Insofern haben beide Systeme ein gewisses Restrisiko. Das sehen wir ja auch sowohl bei 2G- als auch bei 3G-Veranstaltungen, dass es trotzdem ein Ausbruchsgeschehen geben kann.
Bei Bayer wird jetzt die Kantine geteilt, ein Teil nur für Geimpfte und Genesene, ein anderer Teil für die, die negativ schnellgetestet wurden. In welche Kantine würden Sie gehen?
Für mich haben beide Prinzipien ihre Vor- und Nachteile. Da ich geimpft bin, würde für mich dann wohl die Geimpften-Kantine infrage kommen. Ich kann zum Beispiel sagen, wie es bei uns läuft. Wir haben geimpfte und ungeimpfte Mitarbeiter, das ist denen überlassen, wir reden ihnen da nicht rein. Aber wir machen eine regelmäßige Testpflicht für alle, auch für die Geimpften, um das Risiko zu verringern, dass es zu Durchbrüchen kommt. Die Geimpften haben bei uns etwas mehr Freiheiten als die Ungeimpften, aber mit dem Testen haben wir eine sehr gute Möglichkeit, alles insgesamt sicherer zu machen.
Was würden Sie sagen für Veranstaltungen oder Restaurants jetzt im Winter in Innenräumen: 3G oder 2G oder gar 2G plus Test?
Ich glaube, dass wir aufgrund der Zahlen, die wir jetzt schon sehen und die sich ja wahrscheinlich noch weiter nach oben bewegen werden, mit einer puren 2G-Regel eher auf die Nase fallen würden und doch wieder Ausbruchsgeschehen sehen. Jetzt ist die Frage, was möchte ich vermeiden: Infektionen oder Krankenhausbelegungen? Insofern kann man argumentieren, man nimmt das in Kauf, dass sich dort auch Menschen infizieren. Ich bin aber für Infektionsvermeidung. 2G plus, die Geimpften und Genesenen auch zu testen, halte ich für bestimmte Situationen, gerade wenn es sehr eng wird, für vernünftig.
Mit Martin Stürmer sprach Doro Steitz
Quelle: ntv.de