Hohe Preise, Trump und Migration Davor haben die Deutschen am meisten Angst
18.09.2025, 11:00 Uhr Artikel anhören
Jeder zweiter Deutsche hat Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten.
(Foto: picture alliance / CHROMORANGE)
Was beschäftigt die Deutschen? Eine neue Studie zeigt: Sie haben mehr Angst vor der Inflation als vor der Politik Donald Trumps. Steigende Lebenshaltungskosten sind dabei die größte Sorge. Trotzdem blicken sie gelassener in die Zukunft als zuvor.
Reicht mein Geld auf Dauer zum Leben? Diese Frage macht den Deutschen laut der repräsentativen Studie "Die Ängste der Deutschen 2025" des Infocenters der R+V-Versicherung derzeit am meisten Sorgen. Mehr als die Hälfte (52 Prozent) glaubt, dass die Lebenshaltungskosten immer weiter steigen. "Obwohl die Inflation abgeflacht ist, bleibt sie für die Deutschen ein Schreckgespenst. Sie spüren deutlich, wie die Preise für Energie, Nahrungsmittel und Dienstleistungen weiter anziehen", sagt Studienleiter Grischa Brower-Rabinowitsch. "Die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten belegt schon zum 15. Mal Platz eins der Studie." Dennoch blicken die Deutschen weniger besorgt auf die Welt als im vergangenen Jahr.
Die zweitgrößte Angst der Deutschen hat auch den Wahlkampf in diesem Jahr stark bestimmt: Die Migrationspolitik ist weiter präsent, das Vertrauen in Lösungen gering. Fast die Hälfte der Bevölkerung (49 Prozent) fürchtet, dass die Zahl der Geflüchteten den Staat überfordert (2024: 56 Prozent). Politische Sorgen spielen also weiterhin eine große Rolle. Auffällig ist hier der Unterschied zwischen Ost und West: Während 56 Prozent der Ostdeutschen befürchten, dass der Staat durch die Geflüchteten überfordert ist, sind es im Westen nur 47 Prozent. Die Angst vor Konflikten durch weitere Zuwanderung liegt im Osten bei 51 Prozent und im Westen bei 43 Prozent. Beide Sorgen sind im Vergleich zum Vorjahr spürbar zurückgegangen.
Insgesamt beschäftigen sich die Befragten aber vor allem mit finanziellen Themen: Auf Platz drei liegt die Angst vor Steuererhöhungen oder Leistungskürzungen (49 Prozent). "Die Kassenlage im Bundeshaushalt ist mau, die Wirtschaft schwächelt. Fast die Hälfte der Deutschen fürchtet, dass der Staat mit Abgaben und Kürzungen gegensteuert", sagt Brower-Rabinowitsch. Dringenden politischen Handlungsbedarf sieht Prof. Dr. Isabelle Borucki, die Politikwissenschaftlerin an der Philipps Universität Marburg begleitet die R+V-Studie als Beraterin: "Die Bundesregierung muss das Vertrauen in ihre Finanzpolitik zurückgewinnen. Wer soziale Sicherheit verspricht, muss auch verlässlich liefern. Sonst entsteht Raum für Politikverdrossenheit - oder radikale Alternativen." 48 Prozent fürchten sich zudem vor unbezahlbarem Wohnraum (Platz vier). "Der Wohnungsmarkt ist weiter hart umkämpft, es braucht mehr sozialen Wohnungsbau, mehr bezahlbares Eigentum und schnellere Genehmigungsverfahren", fordert Borucki.
Trump weniger beängstigend als andere Herrscher
Vor US-Präsident Donald Trump fürchten sich die Deutschen mittlerweile offenbar weniger. Und das, obwohl 2025 kaum ein Tag vergangen ist, an dem es keine Schlagzeilen aus den USA gab. Dennoch sorgt sich knapp die Hälfte der Befragten weiterhin: "Viele Deutsche - insgesamt 45 Prozent - fürchten, dass die Politik von Donald Trump die Welt gefährlicher macht", sagt Studienleiter Brower-Rabinowitsch. "Im Vergleich zur ersten Amtszeit hat Trump für die Befragten aber deutlich an Schrecken verloren." Der bisherige Höchstwert der Furcht war im Jahr 2018. Damals belegte sie mit 69 Prozent Platz eins im Ängste-Ranking, heute landet sie auf Platz sechs. "Die nachlassende Angst lässt sich mit Abstumpfung, Ernüchterung und Resignation angesichts des Trump'schen Politikstils erklären", erklärt Borucki.
Im Ranking noch vor der Sorge vor Trump landet die Angst davor, dass weltweit autoritäre Herrscher immer mächtiger werden (47 Prozent, Platz fünf). Das ist die einzige Angst, die in diesem Jahr gestiegen ist - wenn auch nur minimal um einen Prozentpunkt.
Vertrauen in Politik und Resignation bei Spaltung der Gesellschaft
Zuversichtlicher scheinen die Deutschen auf die heimische Politik zu blicken: "42 Prozent der Bevölkerung fürchten, dass die Politik von ihren Aufgaben überfordert ist", erklärt Brower-Rabinowitsch. Was viel klingt, sei aber ein Vertrauensgewinn. "Vor einem Jahr waren es noch 49 Prozent." Dabei blickt auch hier der Osten viel kritischer auf die Politik als der Westen (Ost: 50 Prozent; West: 40 Prozent). Verbessert haben sich die Schulnoten für die Politiker und Politikerinnen in Regierung und Opposition: von 4,0 im Vorjahr auf 3,8 in diesem Jahr. "Auf diesem Ergebnis darf sich die Politik nicht ausruhen. Sie braucht das Vertrauen einer breiten Mehrheit, um das Land durch die komplexen Krisen zu führen", mahnt Borucki.
Auffällig: Am stärksten zurückgegangen ist die Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft. Während sich im Vorjahr noch 48 Prozent fürchteten, dass die Spaltung zunimmt und zu Konflikten führt, sind es 2025 nur noch 39 Prozent (Platz zwölf). "Eine konfliktgeladene Öffentlichkeit ist für viele inzwischen zum Alltag geworden. Spaltung wird als Dauerzustand erlebt. Eine solche Normalisierung ist gefährlich", analysiert Politikwissenschaftlerin Borucki.
Innerhalb der Studie wurde darum erstmals nachgehakt, vor welcher Art von gesellschaftlicher Spaltung sich die Befragten sorgen. 72 Prozent fürchten eine Spaltung zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. "Hier geht es nicht um Zuwanderungspolitik, sondern um gesellschaftliche Identität, kulturelles Miteinander und Zugehörigkeit", erklärt Borucki. Am zweithäufigsten wurde mit 58 Prozent die Trennungslinie zwischen Arm und Reich genannt. An dritter Stelle folgt die Haltung für oder gegen demokratische Werte mit 57 Prozent. "Die Polarisierung im Demokratieverständnis ist ein deutliches Warnsignal. Das Vertrauen in demokratische Institutionen ist brüchiger geworden", kommentiert die Politikwissenschaftlerin. Überraschend: Eine Spaltung zwischen Ost und West ängstigt nur 22 Prozent der Befragten.
Deutsche sind krisenmüde
Angesichts weltweiter Krisen und Unsicherheiten zeigt die Studie aber auch: Fast alle Sorgen sind in diesem Jahr leicht gesunken. Der Angstindex - der durchschnittliche Wert aller gemessenen Ängste - fällt deutlich auf 37 Prozent (2024: 42 Prozent). "Ein noch niedrigeres Angstniveau haben wir erst einmal in der Geschichte unserer Langzeitstudie gemessen", berichtet Brower-Rabinowitsch. Im Jahr 2021 - während der Corona-Pandemie - lag der Angstindex bei 36 Prozent.
"Die Menschen werden ständig mit multiplen Krisen konfrontiert, denen sie ohnmächtig gegenüberstehen. Die Deutschen haben sich an diesen Zustand gewöhnt, sie sind krisenmüde", erklärt Borucki. "Dieser Rückgang bedeutet nicht, dass die Menschen sorglos sind. Vielmehr richtet sich ihr Fokus auf das Hier und Jetzt - und besonders auf die eigene finanzielle Situation."
"Die Ängste der Deutschen" ist die bundesweit einzige Umfrage, die sich inzwischen zum 34. Mal mit den Sorgen der Bevölkerung befasst. Seit 1992 befragt das R+V-Infocenter jährlich in persönlichen Interviews rund 2400 Männer und Frauen der deutschsprachigen Wohnbevölkerung im Alter ab 14 Jahren nach ihren größten politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Ängsten.
Quelle: ntv.de, akr