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Black Friday im Kopf"Unser Gehirn ist eine faule Sau"

28.11.2025, 08:47 Uhr Foto-AutorenboxTorsten Landsberg
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Der Anblick von Rabatt-Schildern löse im Gehirn den gleichen Mechanismus aus, der sich bei Süchtigen beim Anblick von Drogen abspielt, sagt ein Experte. (Foto: picture alliance / Panama Pictures)

Den teuren Kaffee stellen wir zurück ins Supermarkt-Regal, aber zur Black Week macht die Sparsamkeit Pause. Was ist da los in unseren Köpfen?

Wenn plötzlich eine Kettensäge im virtuellen Warenkorb liegt, obwohl es gar keinen Garten für deren sinnvolle Anwendung gibt, ist das ein ziemlich sicheres Zeichen: Es muss wohl Black Friday sein. Zur Vorbeugung eines Kaufrauschs empfehlen Experten, Listen mit wirklich notwendigen oder gewünschten Artikeln zu machen. In der Realität steigt der Warenkorbwert am Black Friday trotzdem um bis zu fünfzig Prozent - dank des sogenannten Beifangs: "Ich gucke mal, was es sonst noch gibt. Ist günstig, nehm' ich mit."

Die Shoppingtour rund um Black Friday und Cyber Monday trifft auf einen trüben Alltag: Laut Verbraucherzentrale Bundesverband sind die Lebensmittelpreise zwischen Januar 2020 und Oktober 2024 um 34 Prozent gestiegen. Die Preise einzelner Artikel, etwa für Speiseöle oder Kaffee, haben sich mitunter verdoppelt. Wie passt der Black Friday in eine Zeit, in der Menschen den Kaffee beim Supermarkt-Einkauf zurück ins Regal stellen?

Black-Friday-Umsätze steigen stetig

"Der Mensch ist grundsätzlich widersprüchlich", sagt der Konsumpsychologe Hans-Georg Häusel im Gespräch mit ntv.de. Er hat früher internationale Großkonzerne wie Coca-Cola beraten und ihnen erklärt, wie Konsumentinnen und Konsumenten ticken, welche neurologischen Prozesse im Gehirn ablaufen. Inzwischen ist er im Ruhestand, er gibt aber weiterhin Trainings und hält Vorträge, etwa über "Emotional Boosting - Die hohe Kunst der Kaufverführung".

Die Verhaltensökonomie kenne 280 Denk- und Entscheidungsmechanismen, sagt Häusel. "Diese Phänomene sind weit weg von jeder Art der Rationalität." Zu den Merkmalen zählen Herdenverhalten, unsere Reaktion auf Knappheitseffekte und die Bevorzugung kurzfristiger Belohnungen. "Was Sie heute belohnt, macht Ihnen beim nächsten Mal schon fast keine Freude mehr. Deswegen sind wir Menschen permanent auf Steigerung eingestellt."

Die Zahlen bestätigen das: 2018 gaben Konsumentinnen und Konsumenten am Black Friday pro Kopf durchschnittlich 254 Euro aus, 2024 waren es 265 Euro. Lag der Umsatz 2018 bei 2,4 Milliarden Euro, hatte er sich bis 2024 auf 5,9 Milliarden mehr als verdoppelt. 2023 gaben in einer Umfrage des Beratungsunternehmens PwC 70 Prozent der Befragten an, am Black Friday nach Angeboten zu suchen, in diesem Jahr sind es 84 Prozent. Zehn Prozent wollen die besten Angebote mithilfe von KI aufspüren.

Wie Süchtige beim Anblick von Drogen

Das Gehirn unterscheide zwei Mechanismen, erklärt der Psychologe: "Der Verlust von Geld für Alltagsprodukte wie Butter, die plötzlich 30 Prozent teurer ist, tut schon sehr weh." Der Black Friday dagegen sei die Erwartung auf Gewinn. "Billiger einzukaufen, als man es eigentlich erwartet hat, ist das größte Fest für unser Belohnungszentrum im Gehirn."

Grundsätzlich sei die Idee, an einem Aktionstag nach einem guten Preis zu gucken, durchaus rational. Wären da nicht Fallen wie Reizüberflutung und Suchtpotenzial. Häusel erzählt von einem Test an der Uni Bonn: Dort haben Neurowissenschaftler mithilfe bildgebender Verfahren die Hirnaktivität von Probanden gemessen. Beim Anblick von Rabatt-Schildern sei das vordere Großhirn deaktiviert worden - zuständig für rationales Denken. Es ist der gleiche Mechanismus, der sich bei Süchtigen beim Anblick von Drogen abspielt.

Schuld sind Urinstinkte. Menschen streben nach Belohnung und der Ausschüttung von Glückshormonen. "Wenn Sie in früheren Zeiten durch den Wald gelaufen sind als Jäger, und es hat vor ihnen geraschelt, dann war es klug, Sie haben zuerst geschossen und anschließend nachgedacht", sagt Häusel. Sonst wäre die Beute weg gewesen - so wie heute der Pulli im Online-Shop. "Zuerst schießen und dann gucken, dieser Mechanismus hat sich in unserem Gehirn ein Stück weit bewahrt."

Die Jagd auf Tier und Nahrung ist der Schnäppchenjagd gewichen - die Wirkung im Gehirn bleibt dieselbe. Wer nun meint, diese Instinkte komplett abschalten und nur bewusste Kaufentscheidungen treffen zu können, stößt in der Verhaltensökonomie auf den Overconfidence Bias: das Überschätzen der Fähigkeit, rationale Entscheidungen zu treffen, verbunden mit dem Glauben, sich nicht von Werbung beeinflussen zu lassen.

"Wir sitzen nicht am Steuer"

Im digitalen Zeitalter stehen Verbraucherinnen und Verbrauchern alle Möglichkeiten offen: Sie können sich über alles informieren, dann vergleichen, abwägen, auch bewusst gegen einen Kauf entscheiden. Der mündige Konsument kennt alle Tricks des Handels: dass Rabatte meist auf die ohnehin selten angewandte UVP gewährt werden; dass Artikel künstlich verknappt werden und am nächsten Tag wieder verfügbar sind; dass die sogenannten Dark Patterns - Lockmittel wie ablaufende Countdowns - häufig gar keine Auswirkung auf die Preisgestaltung haben.

Der Experte muss lachen. "Die Idee vom mündigen Konsumenten ist ein Trugbild, das hat mit der Realität der Konsumforschung nichts zu tun", so Häusel. 70 bis 80 Prozent unserer Entscheidungen würden unbewusst durch unsere Emotionen getroffen. "Wir sitzen nicht am Steuer, das reden wir uns nur ein." Obwohl der Mensch theoretisch zu rationalem Denken in der Lage sei, gebe er sich bereitwillig den manipulativen Reizen hin, denn: "Unser Gehirn ist eine faule Sau."

Hinzu komme die selbst im Fall eines Kaufrauschs meist geringe Fallhöhe. "Von Überschuldung abgesehen, gibt es am Black Friday kein Risiko: Sie haben Geld für Schrott ausgegeben - so what?" Die Wertschätzung für Produkte sei mit ihrer ständigen Verfügbarkeit, niedrigen Preisen und der daraus folgenden Sättigung verloren gegangen. "Wir kaufen halt, und das war es dann auch."

Große Anstrengungen, um Käuferinnen und Käufer zu verführen, muss der Handel kaum noch anstellen. Die Erkenntnisse der Forschung bilden mit den digitalen Spuren der Verbraucherinnen und Verbraucher ein ziemlich stimmiges Bild. "Sie sind nicht mehr so weit weg vom gläsernen Konsumenten. Für die Hirnforschung ist der Konsument von heute langweilig."

Quelle: ntv.de

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