Panorama

Es ist nicht der Fremde im Park Verzerrte Vorstellung über sexualisierte Gewalt nützt den Tätern

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Orange Schuhe als internationales Symbol, um an misshandelte, vergewaltigte und ermordete Frauen zu erinnern.

Orange Schuhe als internationales Symbol, um an misshandelte, vergewaltigte und ermordete Frauen zu erinnern.

(Foto: AP)

Bist du gut zu Hause angekommen? Das schreiben sich Frauen oft nach einem gemeinsamen Abend. Die Vorstellung vom sexuellen Übergriff vom fremden Mann prägt unser Bild von Sexualdelikten - und gefährdet die Glaubhaftigkeit von Opfern.

Orangene Schuhe - angesprüht oder mit Kreide bemalt, stehen in vielen Innenstädten. Rathäuser leuchten orange, aus Fenstern hängen T-Shirts in kräftigem Orange, Rot oder Pink mit handgeschriebenen Botschaften wie "Stopp Gewalt!"

Die "Orange Days", eine weltweite Kampagne, machen bis zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam. Der Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt ist auch ein Kampf gegen Klischees und Mythen.

Die Vorstellungen, die viele von Tätern und Opfern bei Sexualdelikten im Kopf haben, sind geprägt von Klischees, weiß Kriminologin Daniela Pollich. Sie forscht am Institut für Polizei- und Kriminalwissenschaften in Duisburg. "Das Bild von der blonden Joggerin im Park, die zum bevorzugten Opfer wird, ist ein Mythos", sagt Pollich. "Tatsächlich geschehen die meisten Taten im sozialen Nahfeld - durch Partner, Bekannte oder bei Gelegenheiten wie Partys oder Dates." Bei 76 Prozent der Vergewaltigungen kannte das Opfer den Tatverdächtigen. Das geht aus einer Datenauswertung des Deutschen Instituts für Menschenrechte hervor.

Gerade bei Sexualstraftaten gibt es nach wie vor Menschen, die dazu tendieren, dem Opfer eine Mitschuld zu unterstellen. Aussagen wie "Sie wollte es" oder "Sie hat es verdient" implizieren, dass das Verhalten oder die Kleidung des Opfers die Tat provoziert hätten. Studien zeigen, dass diese Mythen nicht mit der Realität übereinstimmen. Es gibt keine Belege dafür, dass Opfer durch ihr Verhalten oder ihre Kleidung Vergewaltigungen provozieren.

Die Hürden bei der Anzeige

Diese verzerrten Vorstellungen, sogenannte Vergewaltigungsmythen, beeinflussen jedoch weit mehr als nur die öffentliche Wahrnehmung. Die Forschung zeigt: Sie beeinflussen auch, ob Frauen Anzeige erstatten. Eine Vergewaltigung anzuzeigen, ist für Betroffene eine schwere Entscheidung. "Wenn der Täter ein Fremder ist, erstatten Frauen eher Anzeige. Ist es der Partner, ein Chef oder ein Bekannter, wird noch öfter geschwiegen", erklärt die Kriminologin. Der Grund: Frauen nehmen an, dass ihnen im Strafprozess nicht geglaubt wird, wenn der sexuelle Missbrauch nicht dem gesellschaftlichen Klischee eines gewalttätigen fremden Mannes entspricht.

Im Ausgehkontext, wenn zusammen gefeiert, getrunken wird, man sich vielleicht auch erstmal gut versteht, dann könne das von außen als eine Art Zustimmung interpretiert werden. Die Sorge vieler Opfer ist: 'Wie soll ich denn jetzt glaubhaft machen, dass ich vergewaltigt wurde?'", erklärt die Kriminologin.

Das Strafverfahren verstärkt diese Befürchtungen. "In Fällen, in denen nur Täter und Opfer involviert sind, entsteht eine klassische 'Aussage-gegen-Aussage'-Situation", erklärt Rechtsanwältin Hannah Funke. Entscheidend für den Prozess ist dann die Belastungsaussage des Opfers. Das Gericht muss prüfen, ob die Aussage glaubhaft und ohne Widersprüche ist - eine Untersuchung, die für Opfer besonders belastend ist, da sie intime Details ihres Erlebens offenlegen müssen.

"Wir haben den Rechtsgrundsatz 'im Zweifel für den Angeklagten'", betont Funke. Deswegen müsse das Gericht die Aussage ganz besonders begutachten. Eine Verurteilung kann allein auf der Aussage einer einzelnen Person erfolgen. "Das macht die ganze Angelegenheit besonders schwierig", so die Anwältin.

Die Macht der Gelegenheiten

Sexualisierte Gewalt zu erforschen, ist sehr komplex. "Oft ist es eine Mischung aus den Einstellungen der Täter und den Umständen, die zu einer Tat führen", erklärt Pollich. "Vergewaltigungsmythen verstärken diese Dynamik, weil sie den Tätern vermitteln, dass Frauen 'es ja wollen' oder sich 'nur zieren'."

Die gefährlichen Einstellungen beginnen früh. "Sexuelle Selbstbestimmung muss schon im Kindesalter vermittelt werden", betont Pollich. Jungen wie Mädchen sollten lernen, dass ein 'Nein' immer zu respektieren ist - unabhängig von Kontext oder Geschlecht. Nur so können langfristig Normen verändert werden.

Im vergangenen Jahr wurden 17.802 Frauen und Mädchen in Deutschland Opfer einer Vergewaltigung oder sexueller Nötigung. Das geht aus dem Lagebild des BKA hervor. Die gemeldeten Fälle von Sexualstraftaten zeigen jedoch nur einen Teil der Realität. Zwar ist davon auszugehen, dass Entwicklungen wie beispielsweise die #MeToo-Bewegung zu einer höheren Anzeigebereitschaft geführt haben. Dennoch ist die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher. Eine Studie des BKA ergab, dass nur ein Zehntel der Vergewaltigungen zur Anzeige gebracht wird.

Quelle: ntv.de

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