Panorama

Aus der Schmoll-Ecke Zeit für die Null-Tage-Woche und Bürgergeld für alle

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Achtung, Klischee: Omas häkeln Deckchen.

Achtung, Klischee: Omas häkeln Deckchen.

(Foto: IMAGO/imagebroker)

Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich? Na klar! Wir alle wissen doch, dass man an vier Tagen mehr produzieren kann als an fünf und dadurch die Staatskasse mit Steuergeldern noch voller wird als ohnehin. Unser Kolumnist hat nichts dagegen, radikaler zu handeln. Denn er ist genervt von seinen 6,5-Tage-Wochen.

Neulich las ich im Werk einer Kollegin, dass "Klimaseniorinnen" und "Omas gegen rechts" mit ihren Protesten den kommenden Generationen "ein unschätzbares Geschenk" machen. Denn sie könnten ja auch, statt vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen oder gegen die AfD zu demonstrieren, "Deckchen häkeln". Das zeigte, dass auch Omas von der schreibenden Zunft mit Klischees überzogen werden, als bestünde das Dasein einer Großmutter normalerweise nur daraus, bekloppte Deckchen zu erzeugen, die keiner will und Monate später beim Wichteln belächelt zu werden, wobei nachher beim Glühwein ein Toleranter, der Feminismus und Gendern gut findet, sagt: "Ist doch schön, wenn alte Senior SPRECHPAUSE innen was zu tun haben."

Dabei haben Omas eine Menge zu tun: etwa auf die Enkel aufpassen oder aus dem Fenster gucken oder Leute beobachten oder Testamente schreiben. Oder Flaschen sammeln und Lebensmittel schnorren. Etwa jede dritte Tafel in Deutschland registriert mehr Rentner unter den Hilfebedürftigen. "Der Gang zur Tafel ist für viele eine Möglichkeit, Kosten zu sparen und überhaupt durch den Monat zu kommen", erklärte kürzlich der oberste Ritter der Tafelrunden in Deutschland der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Sie beziehen geringe Renten oder Grundsicherung." Und wer kein Geld hat, sich kein Häkelgarn leisten kann, hat andere Sorgen als den Klimaschutz und kämpft nicht gegen rechts, sondern wählt rechts.

In der Schweiz ist das anders, die stinkt vor russischem Oligarchengeld, dort ist alles gut, da haben Rentner so etwas nicht nötig, weshalb die Klimaseniorinnen Zeit hatten, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen und ihr Land erfolgreich wegen Versäumnissen beim Klimaschutz belangen zu lassen. Die siegreichen Klimaseniorinnen wirkten mit ihren Klamotten und Brillen wie erwachsen gewordene Protagonisten von Fridays for Future, sehr bürgerlich und mit Geld gesegnet. Wie Stammgäste der Tafeln sahen sie jedenfalls nicht aus.

Familientreffen mit Chopin und Stollen

Ich gebe zu, dass ich mal wieder böse überziehe. Ich verweise jedoch - nicht zum ersten Mal - darauf, dass in Klischees so gut wie immer ein Stück Wahrheit steckt. Die Taliban sind tatsächlich homo- und islamophob. Die Dealer am Görlitzer Park sind tatsächlich keine deutschen Staatsbürger. Und Sachsen wählen tatsächlich bevorzugt AfD. Obendrein können sie sich tatsächlich mündlich kaum verständlich ausdrücken, wie man auch an mir sieht, der jeden fünften Satz im Restaurant wiederholen muss, damit ihn der eingewanderte Kellner versteht. In Berlin muss man ohnehin immer häufiger auf Englisch bestellen, was es mir noch schwerer macht. Mein "Englisch" klingt wie aus einer falsch programmierten Toniebox.

Ich glaube, meine begrenzte Sprachfähigkeit ist der wahre Grund, weshalb ich Journalist geworden bin und mich schreibend verständlich mache, so wie sich Frédéric Chopin, ein Pole mit guten Französischkenntnissen, über seine Musik zu Wort meldete. Seine Nocturnes eignen sich besonders gut für Familientreffen mit Dresdner Stollen auf Meißner Porzellan auf von Oma gehäkelten Deckchen, die sonst nicht benutzt werden, aber zur Freude der Oma hingelegt wurden, um heile Welt zu spielen. Das gelingt vortrefflich, bis bekannt wird, dass das wohlmundende Gebäck ausgerechnet von dem Bäcker ist, der bekanntlich im aggressiven AfD-Stil die Grünen basht, Deutschland am Abgrund sieht und sich auf Facebook über die Klimaseniorinnen und die Omas gegen rechts lustig macht: "Die sollen lieber häkeln!"

Es kommt zum Streit - kann mal jemand das Klaviergeklimper ausmachen?!-, nachdem Onkel Helmut sagt, er kaufe ganz bewusst immer bei dem Bäcker, da der "die Wahrheit offen sagt", guter Stollen "nichts mit Ideologie zu tun hat" - das hat er gerade in der "Neuen Zürcher Zeitung" gelesen - und er "kein Nazi ist", aber trotzdem die AfD wählt, weil die es "denen da oben" zeigt. Sein Bruder, ein SPD-Wähler, sagt: "Du bist nicht ganz dicht im Kopf." Geschrei. Die stumme Gastgeberin denkt, dass die AfD blöd ist. Sagen tut sie nichts. Sie traut es sich nicht. Denn sie weiß, dass das Herz ihres ebenfalls schweigenden Gatten nicht nur für die Nachbarin schlägt, sondern auch für die AfD. Deshalb kehrt sie ihre Gedanken lieber unter den extra für den Besuch gesäuberten Teppich, auch wenn der nun leider nach AfD stinkt.

"Schön, dass ihr meene Deggchen benudzd"

Die jungen Leute in der Runde, Angehörige der Generation Z, glotzen desillusioniert, ohne sich zu äußern, bis auf: "Darf ich noch Stollen haben?" Die Oma sagt: "Nu gloor, mein Junge. Griggsde". Und fügt hinzu: "Schön, dass ihr meene Deggchen benudzd." Keiner schenkt der Oma reinen Wein ein, weil sie nichts mehr verträgt und niemand Lust hat, sie nachher heimzufahren. Nun sind sie bei der "Zwangsgebühr". Onkel Helmut sind ARD und ZDF zu "links-grün versifft", sein Bruder findet den ÖRR "wichtig für die Demokratie". Hier höre ich auf mit meinem erstunkenen und erlogenen Bericht, sonst heißt es wieder, das habe mit seriösem Journalismus nichts zu tun.

Aber Sie sehen (trotzdem), ich bin ein guter Beobachter der Nation, sonst könnte ich mir das nicht ausdenken und das Leben der Sachsen nicht so wunderbar nach- und überzeichnen. Es ist (m)ein Versuch, mit der Realität klarzukommen, die nicht minder schräg bis irre ist als die Fantasie. Ab und an schaue ich Markus Lanz, fast immer nachträglich in der ZDF-Mediathek, wenn darüber berichtet worden ist, dass dieser oder jene irgendwelchen Quatsch gesagt hat. So lauschte ich der Vorsitzenden der Grünen Jugend, Katharina Stolla, und war von den Socken ob der ökonomischen Einfaltspinselei.

Kapitalismus trifft grünes Bullerbü

Wenn das grüne Nachwuchstalent Nummer 1 eines Tages Wirtschaftsministerin wird, landen wir bei Ackerbau und Viehzucht unter Windmühlen und Gendersternchen. "Viele meiner Kommilitonen und Freunde, die gerade in den Berufsalltag einsteigen, fragen sich schon auch zu Recht meiner Meinung nach: Wofür soll ich mich in dieser kaputten Welt kaputtarbeiten?" Ja, verstehe ich gut, die Aussichten sind trübe. Aber zugleich fordert Stolla Milliardenkredite nach Wegfall der Schuldenbremse, um in Klimaschutz, Infrastruktur und Schulen zu investieren. Kann man drüber reden. Nur wer saniert die Autobahnen und Bildungseinrichtungen und baut die Windkraftanlagen, wenn keiner richtig Lust auf Arbeit hat? Nur noch Einwanderer? Das wäre extrem gefährlich, da elitär.

Allerdings hat auch dafür Stolla eine Lösung: die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich. Wobei man von ihr aus auch gerne über die 30-Stunden-Woche reden kann. "Was die Produktion steigert, sind bessere Arbeitsbedingungen - und dazu gehört auch eine Reduzierung der Arbeitszeit." Köstlich. Wir alle wissen doch, dass man an vier Tagen mehr produzieren kann als an fünf und dadurch die Staatskasse mit Steuergeldern noch voller wird als ohnehin. Aber von mir aus gerne. Ich persönlich bin für die Null-Tage-Woche und Bürgergeld für alle. Denn mir gehen meine 6,5-Tage-Wochen mächtig auf die Nerven, obwohl ich gerne arbeite und ebenfalls Schiss habe, was kaputte Politiker noch so für kaputte Ideen umsetzen, um die Welt endgültig zu ruinieren.

Putzig ist auch, dass Stolla den Kapitalismus verdammt, jedoch ohne mit der Wimper zu zucken zusätzliche Milliardenkredite am Kapitalmarkt aufnehmen will. Sie wissen, das ist der Tummelplatz der Spekulanten und Cum-Ex-Ganoven, das Epizentrum des fiesen Erzkapitalismus. Da passt der Kapitalismus dann doch in die Pläne eines grünen Bullerbüs. Ja, junge Menschen neigen zu radikalen Lösungen. Das ist okay. Aber irgendwie sollten Konzepte einigermaßen stringent sein und möglichst Sinn ergeben. Ehrlich gesagt: Da sind mir dann doch die Klimaseniorinnen und die Omas gegen rechts oder auch die Großmütter, die häkeln, lieber. Die wandeln wenigstens auf dem Boden der Realität.

Quelle: ntv.de

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