Panorama

Aus der Schmoll-Ecke Kommen Bud Spencer und Harry Potter auf den Index?

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Otfried Preußler zog als junger Mann in den Krieg und verarbeitete diese Erfahrung in "Krabat".

Otfried Preußler zog als junger Mann in den Krieg und verarbeitete diese Erfahrung in "Krabat".

(Foto: picture alliance / epd-bild)

Prima, dass sich Schulen, in denen Geschichtswissen historische Tiefstände erreicht, mit der Vergangenheit ihrer Namensgeber auseinandersetzen. Aber dass nun "fragwürdige Konfliktlösungsstrategien durch Gewalt und/oder Hexerei" in fiktiven Büchern zum Maßstab werden, ist absurd.

Freundinnen und Freunde des Sehr-Gutmenschentums, da ist es wieder, Ihr samstägliches Sprach-Ungetüm, verfasst von einem Menschen, der nach dem Urteil eines der 84 Millionen Journalismus-Experten in Deutschland seinen Beruf verfehlt hat: "Ihre Art der journalistischen Bewertungen sind nur noch schlimm, mager und unqualifiziert, eben linker Einheitsbrei, ängstlich, weil Sie am Ende ein tägliches Mittagessen benötigen oder Ihre Autorate (natürlich E-Auto) abbezahlen müssen."

So schrieb man(n) mir jüngst in einer Mail und ich ward wenig überrascht von der Güte der hellseherischen Leistung, die einmal mehr zeigte, dass Deutschland tatsächlich nur noch Mittelmaß schafft, so sehr daneben lag das Orakel. Mein gebrauchter und aus dem Stand heraus voll umfänglich bezahlter Audi A3 Diesel gibt gerade - nach 270.000 Kilometern - den Geist auf. Was nervt, da ich mir nun ein neues Weselsky-Gedächtnis-Gefährt kaufen muss. Denn auf die Bahn setze ich nicht mehr - und schon gar nicht in ihr. Ein Auto bedeutet Freiheit jenseits der Selbstherrlichkeit ostzonaler Aggro-Gewerkschafter: Schiebedach auf und unter den Klängen von Sonic Youth und Big Black das bisschen Leben genießen, das mir noch bleibt: Set me on fire, Kerosene!

Richtig gelesen, im Auto höre ich gerne die Hottentotten-Musik meiner Jugend, zu der ich einst wie ein Derwisch tanzte. Ups, hat der da jetzt wirklich Derwisch und Hottentotten-Musik geschrieben? Hat er, wohl wissend, sich Vorwürfe der kulturellen Aneignung aus dem Islam (Derwisch) und der Desavouierung von ehemals kolonialistisch Unterdrückten (Hottentotten) einzuhandeln. "Kulturwissenschaftler gehen heute davon aus, dass die niederländische Bezeichnung Hottentot seit ihrer Einführung hauptsächlich abwertend rassistisch und diskriminierend verwendet wurde", heißt es bei Wikipedia. Möglicherweise müsste ich H-Wort und H-Wort-Musik sagen, damit die Welt besser wird. Wobei das die Frage nach sich zöge: Darf man noch H-Milch trinken oder beleidigt man damit die Hottentotten?

Abschied von Otfried Preußler

Lachen Sie nicht, man muss sich über Dinge Gedanken machen, die vielleicht nicht so wichtig erscheinen. Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung kann ein riesiger Sprung für die Menschheit sein. Oder in der Schüssel. Das müssen Sie selbst entscheiden. Nehmen wir die Lehrer, Schüler und Eltern in Pullach, das Pullerkaff nahe München, die sich einig sind, dass das Otfried-Preußler-Gymnasium nicht mehr so heißen soll, weil der Kinderbuchautor, wie ich las, "umstritten" ist. Lieber möchte die Schule "Staatliches Gymnasium Pullach im Isartal" geschimpft werden, damit es nicht mit Gymnasien außerhalb des Isartals verwechselt wird. Anlass sind "Sympathien" des Schöpfers von "Krabat" und der "Kleinen Hexe" für den Nationalsozialismus.

Irgendwie ist es beruhigend, dass es noch Schulen gibt, in denen die NS-Zeit thematisiert wird. Es ist bekannt, dass Schüler kratergroße Wissenslücken zur deutschen Geschichte und nicht mal Grundkenntnisse zum Zweiten Weltkrieg haben. Ich weiß von einer Lehrerin in Berlin, die ihre Gymnasialklasse fragte, warum Politiker den Überfall Russlands auf die Ukraine einen "dunklen" oder "schwarzen Tag" nannten, und als Antworten erhielt: "Ist damit so was gemeint wie Black Friday bei Amazon?" Oder: "Ist vielleicht ein schwarzer Tag für Fridays for Future gemeint?" Die wussten weder, was "schwarzer Tag" überhaupt bedeutet, noch, dass die Ukraine in Europa liegt.

Zum Glück gibt es die wackere Schule in Pullach, die moniert, dass Preußler sich nie öffentlich von seinem in der Scheiß-Nazi-Zeit geschriebenem Scheiß-Nazi-Buch über die Scheiß-Hitlerjugend distanziert hat, jedenfalls nicht explizit. An und für sich ist es toll, wenn man sich kritisch mit seinem Namensgeber auseinandersetzt und darüber redet, welche Anziehungskraft politische Verführer wie Hitler haben, was ihre Tricks sind. Preußler ging, obwohl kein glühender Nazi, begeistert zur Armee und geriet als blutjunger Offizier nach zwei Jahren an der Ostfront 1944 in Gefangenschaft. Genau darum geht es in "Krabat": um Missbrauch von Macht durch eine satanische Gestalt, die junge Leute für ihre Zwecke ködert - aber eben auch darum, wie man sich von ihr befreit und andere erlöst und rettet. Krabat verfällt dem bösen Zauberer samt seiner schwarzen Magie und entzieht sich ihm wieder.

Keine Chance für Vati

Die FAZ zitierte den Schulleiter des Gymnasiums so: "Problematisch für die Lernenden erscheinen auch die in einigen Werken dargestellten fragwürdigen Konfliktlösungsstrategien durch Gewalt und/oder Hexerei." Gemessen daran, müssen auch die Urheber der Filme oder Bücher mit Bud Spencer, Tom & Jerry, Pippi Langstrumpf und Harry Potter gebrandmarkt werden, von Quentin Tarantino ganz zu schweigen. Wie verrückt wäre es, wenn Preußler seinen Helden in "Krabat" hätte sagen lassen: "Lasst uns einen Runden Tisch einberufen, natürlich divers und weltoffen, damit wir mit unserem Chef auf Augenhöhe mithilfe eines Mediators über seinen Machtanspruch diskutieren. Sicher setzt er das Mittel der Hexerei nur ein, weil er als Betroffener traumatisiert ist. Ach, und da wir hier gerade zusammen sind: Wie wäre es mit der Vier-Tage-Woche in der Mühle?"

Mit dem heutigen Blick vom hohen Ross der Moral, das ungestört durch eine Demokratie traben kann, ist es leicht, auf die Historie herabzuschauen und unter Auslassung jeglichen Kontexts zu urteilen. Da können wir noch richtig viel umbenennen. Mitglieder der Grünen Jugend versahen neulich Straßen in Frankfurt/Main, die die Namen von Richard Strauss und Theodor Fontane tragen, mit Schildern, auf denen stand: "nach einem Antisemiten benannt." Wer "Elektra" von Strauss hört, ahnt, was unstillbare Rachelust und Hass aus einem Menschen machen können - eine Oper gegen die Selbstjustiz. Ich vermute: Fontane hat mit "Effi Briest" für Frauen mehr getan als alle Lehrer (männlich) in Pullach zusammen.

Und natürlich Günter Grass. Wieso heißt das Günter-Grass-Haus in Lübeck noch so? Der war doch sogar bei der SS. Das nahm ihm die deutsche Gesellschaft gar nicht mal so übel, weil er sich jahrzehntelang als leidenschaftlicher Kämpfer für die Demokratie hervorgetan hatte. Sauer war man, dass er den in der Tat hässlichen Teil seiner Vergangenheit erst 2006 mit 79 Jahren öffentlich gestand. Da waren die Moralisten - damals noch nicht so zahlreich vertreten wie heute - sauer. Wenn man das Schwert der Gerechtigkeit führt, sollte man wenigstens versuchen, sich in die Lage sehr junger Menschen in einer Diktatur zu versetzen, wie es war, nach Jahren der Gehirnwäsche dem Druck zu widerstehen: Grass und Preußler waren 17 Jahre alt, als sie sich den Nazis formell anschlossen.

Bitter ist: Die Chancen, dass eine Straße nach meinem Vater, ein nicht ganz zu Unrecht vergessener Schriftsteller, benannt wird, waren noch nie sehr groß. Nun sind sie im Minusbereich. Der ist nämlich als 17-Jähriger in die Kriegsmarine eingezogen worden, hat sich öffentlich nie davon distanziert und schrieb mit "Löwen, Sultaninen und ein Detektiv" ein Kinderbuch, was bei der Konfliktlösung auch nicht ohne Zauberei auskommt. Aber für mich entscheidend ist was ganz anderes: Er hat mir vermittelt, dass Krieg das beschissenste Mittel der Konfliktlösung auf Erden ist. Danke dafür! (Übrigens liebte er Grass.)

Quelle: ntv.de

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