Politik

Mehr US-Immigration ohne Trump? 100.000 Menschen kamen allein im Februar

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Grenzpolizisten im US-Bundesstaat Texas nehmen Immigranten in Gewahrsam.

(Foto: AP)

An der Südgrenze der USA werden Monat für Monat mehr Menschen aufgegriffen. Washington erwartet für das Jahr 2021 unter Umständen die höchste Gesamtzahl seit zwei Jahrzehnten. Die Republikaner machen Präsident Biden verantwortlich. Doch die Gründe sind vielfältiger.

Vergangene Woche warnte der Präsident selbst. "Verlasst nicht eure Städte und Gemeinden." Der Appell von Joe Biden beim Sender ABC News richtete sich an Migranten aus Zentralamerika, die in die Vereinigten Staaten gelangen wollen: "Die große Mehrheit wird sofort zurückgeschickt." Der neue US-Präsident versuchte, den Eindruck zu zerstreuen, sein Verhalten lade die Menschen aus Mexiko, El Salvador, Honduras und Guatemala dazu ein, in die USA zu kommen. Genau dies werfen ihm die Republikaner und andere Einwanderungskritiker derzeit vor.

Laut Biden will die US-Regierung mittelfristig Anlaufstellen vor Ort einrichten, in denen die Menschen Asyl beantragen können. Der Aufbau einer solchen Infrastruktur dürfte jedoch Zeit brauchen, die an der US-Südgrenze momentan niemand hat. Im Februar wurden mehr als 100.000 Menschen im Grenzgebiet zu Mexiko aufgegriffen, eine Steigerung von 28 Prozent gegenüber dem Januar.

Die US-Behörden gehen davon aus, dass im März und in den Folgemonaten noch mehr Menschen kommen werden. An der Grenze könnten 2021 mehr Personen als in den vergangenen 20 Jahren aufgegriffen werden, sagte Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas. "Die Grenze ist nicht offen", betonte er. Die Sonderbeauftragte des Weißen Hauses warnte wie auch Biden die potenziellen Einwanderer. Sie sollten keine "gefährliche irreguläre Einreise in die USA" riskieren.

Nur einer der Gründe

Noch hat die Lage an der Grenze zu Mexiko nicht die Dimension wie vor zwei Jahren, als aus El Salvador, Honduras und Guatemala Familien in lange nicht gesehener Zahl über die Grenze kamen und die Trennung der Kinder von ihren Eltern die Bevölkerung empörte. Doch seit dem numerischen Tiefpunkt im April 2020 wird die Anzahl aufgegriffener Menschen konstant größer. Und seit Joe Biden im Weißen Haus sitzt, hat sich der Trend nochmals verstärkt.

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Heimatschutzminister Alejando Mayorkas, hier Anfang März.

(Foto: AP)

Die Demokraten sagen: Dies ist eine Übergangsphase und liegt an den vier vergangenen Jahren, als Trump versuchte, die Grenze abzuriegeln und das Asylsystem zu untergraben. Die Republikaner werfen dem Präsidenten hingegen vor, er ermutige die Menschen, sich auf den Weg zu machen, indem er die Neuerungen der vergangenen Jahre wieder rückgängig mache.

Biden habe "unbegleiteten Minderjährigen praktisch eine Einladung ausgestellt, in dieses Land zu kommen", sagte Texas' republikanischer Senator Ted Cruz. Das ist zwar zugespitzt, hat aber eine wahre Komponente, den auch die neue Regierung anerkennt. Der Präsident hatte nach seinem Amtsantritt etwa die von Trump verhandelte Regelung ausgesetzt, dass Asylbewerber in Mexiko auf eine Entscheidung warten statt in den USA. Zudem werden allein aufgegriffene Minderjährige nicht mehr zurückgeschickt.

Trotzdem ist Cruz' Behauptung nicht ganz richtig. Zwar hat sich die Gesamtzahl der Aufgegriffenen erhöht, bislang ist der prozentuale Anteil der Minderjährigen ohne Begleitung aber im Vergleich zu 2018 und 2019 geringer. Zuletzt hatte Trump im Jahr 2019 eine enorme Steigerung der Migrantenzahlen erlebt. Vor zwei Jahren machten sich vor allem Familien aus dem Zentralamerika-Dreieck, also Honduras, Guatemala und El Salvador, auf den Weg nach Norden. Auch diesmal kommen die meisten Minderjährigen von dort, auch wenn der Anteil der Mexikaner wieder deutlich zugenommen hat.

Die Gründe für eine Flucht sind vielfältig. Sie reichen von Familienangehörigen, die bereits in den USA leben, Gewalt in den Heimatgemeinden, Klimawandelfolgen wie Dürren oder zerstörerische Hurrikane bis hin zu nun zusätzlichen Pandemie-Effekten, die zu Hunger führen. Und dann ist da die andere Ansprache sowie die Kurskorrektur bei der Einwanderungspolitik, die mit Biden ins Weiße Haus kam.

Breit angelegte Überprüfung

Weiterhin gilt, das Aufgegriffene wegen der Pandemie zurückgeschickt werden, aber Minderjährige ohne Begleitung sind eine Ausnahme. Die meisten von ihnen sind Jugendliche – "16, 17 Jahre alt", wie Biden selbst sagt. Bei Familien entscheiden die US-Behörden im Einzelfall. Hier verkompliziert ein neues Gesetz im Nachbarland die Lage. Mexiko darf keine Minderjährigen mehr aufnehmen, wenn sie keine geeigneten Asylbewerberunterkünfte bereitstellen können, und die sind offenbar voll ausgelastet. Also dürfen auch manche Familien vorübergehend bleiben.

Von den im Februar knapp über 100.000 Aufgegriffenen wurden 28.000 nicht sofort wieder zurückgeschickt. Darunter waren 11.000 volljährige Familienangehörige und rund 9500 Minderjährige ohne Begleitung. In Abfertigungszentren prüfen die Behörden die Menschen auf mögliches Bleiberecht, Einträge im Strafregister und testen sie auf Covid-19. Die Behörden versuchen, die Prozedur schnell abzuschließen, weil immer neue Menschen nachkommen.

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Eine temporäre Auffangstation im texanischen Donna.

(Foto: via REUTERS)

Von Oktober 2019 bis September 2020 lehnten die Behörden mehr als 70 Prozent aller Asylersuchen ab. Von den Geflohenen aus Guatemala durften sogar nur weniger als 15 Prozent der Antragsteller bleiben.

Die von Biden unterzeichneten Dekrete zielen vor allem auf eine breit angelegte Überprüfung der bestehenden Regelungen, um sie dann zu vereinfachen. "Das wird nicht über Nacht geschehen", bremste das Weiße Haus die Erwartungen im vergangenen Monat. Doch die Schlepper werben auch mit Wahlkampfversprechen und setzen auf die Träume ihrer Kunden. So hatte Biden angekündigt, er wolle eine Möglichkeit finden, die 11 Millionen Einwanderer ohne Aufenthaltsgenehmigung, die sich bereits im Land befinden, einzubürgern.

Wartezeiten für Besuchsvisa wollen die Demokraten nach Möglichkeit verringern und wirtschaftliche Hilfsprogramme für die Länder des Zentralamerikadreiecks wieder auflegen. Die Demokraten hoffen, damit mittelfristig die Auswanderungsmotivation zu verringern. Nötig wäre nach Meinung vieler NGOs und Demokraten eine breit angelegte Einwanderungsreform, damit das Problem nicht immer wiederkehrt. Doch die ist derzeit nicht in Sicht.

Davon ein Lied singen kann etwa Senator Dick Durbin. Der Demokrat aus Illinois beißt sich an dem Vorhaben seit zwei Jahrzehnten seine Zähne aus. "Unsere Einwanderungsgesetze funktionieren nicht", sagte er bei CNN. Die derzeitige Situation sei nur einer der Belege dafür. Sein Gesetz zur Legalisierung von Migranten ohne Aufenthaltsgenehmigung, die als Minderjährige ins Land kamen, versucht Durbin seit 20 Jahren durch den Senat zu bringen. Fünfmal verhinderte dort eine Minderheit die Verabschiedung mit einem Filibuster. Nötig wäre eine Mehrheit von 60 Prozent der Stimmen.

In die Offensive

Seit Wochen schon kritisieren die Republikaner Bidens Pläne als falsch. Ein Republikaner des Heimatschutzausschusses im Repräsentantenhaus nannte die Situation ein "per Dekret verursachtes Durcheinander an der Grenze" ("disorder at the border by executive order"). Der republikanische Fraktionschef im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, reiste mit anderen Abgeordneten an die Südgrenze, um sich ein Abfertigungszentrum für aufgegriffene Einwanderer anzusehen. Danach gab er eine Pressekonferenz. Eigene Lösungsansätze präsentierte er nicht.

Das Thema Migration ist vermeintlich eine Bank für republikanische Politiker. Bei den Republikanern funktionieren die von Trump jahrelang geölten Mechanismen. Dabei will sich die Partei vor allem auf Wahlkreise nahe der Grenze konzentrieren. "Zweifellos war Donald Trumps Strategie menschenunwürdig, brutal und unamerikanisch, aber was wir jetzt tun ist auch falsch", zitiert die Nachrichtenseite Politico einen Abgeordneten der Demokraten, der einen texanischen Grenzwahlkreis vertritt.

Angst vor Einwanderung mobilisiert Wähler, auf konservativer Seite womöglich noch viel mehr als früher. Republikanische Wähler haben sich in den vergangenen Jahren unter Trump radikalisiert: 77 Prozent sagten im Februar bei einer Reuters/Ipsos-Umfrage, sie wollten verstärkte Grenzanlagen - sechs Prozentpunkte mehr als vor Trumps Amtsantritt. Der konnte im Jahr 2016 auch dank seiner Mauerpläne seinen Wahlsieg feiern. Zwei Jahre später dämonisierte er die Migrationstrecks und bezeichnete die Menschen darin als Kriminelle und potenzielle Terroristen. Die Republikaner verloren 2018 das Repräsentantenhaus, erstmals seit einem Jahrzehnt.

Beim Thema Einwanderung haben sich die politischen Fronten verhärtet. Unter Republikanern wollen aktuell 56 Prozent nicht, dass Einwanderer ohne Aufenthaltsgenehmigung eine Einbürgerung erreichen können. Das sind 18 Prozent mehr als im Jahr 2018. Hingegen scheint die US-Gesellschaft insgesamt migrationsfreundlicher geworden zu sein. So befürworten 61 Prozent der Bevölkerung eine Einbürgerungsmöglichkeit; 2015 waren es 43 Prozent.

Die Republikaner versuchten mit dem Thema wieder in die Offensive zu kommen, während die Demokraten für ihr 1,9 Billionen großes Hilfsprogramm gegen die Pandemiefolgen werben, so der Tenor in den US-Medien. Aber auch wenn im März bereits 22 Prozent der Republikaner sagten, Einwanderung sei das wichtigste Problem des Landes, und es einen Monat zuvor nur 7 Prozent waren - bis zur Kongresswahl im kommenden Jahr ist es noch lange hin.

Quelle: ntv.de

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