Politik

Diagnose "Wahlstress-Störung" Amerikaner sind vom Wahlkampf genervt

Bunt und schrill - so kennt man den Wahlkampf in den USA. Diesmal wird er zudem äußerst erbittert geführt.

Bunt und schrill - so kennt man den Wahlkampf in den USA. Diesmal wird er zudem äußerst erbittert geführt.

(Foto: REUTERS)

Seit mehr als einem Jahr kämpfen Demokraten und Republikaner um Vorteile im Präsidentschaftswahlkampf. Dieser artet immer mehr zu einer Schlammschlacht aus. Die meisten Amerikaner sind genervt. Psychologen, aber auch Hotels reagieren.

Auch First Lady Michelle Obama leidet. "Die Wahrheit ist, es schmerzt. Es schmerzt", sagte sie jüngst in einer emotionalen Rede mit Blick auf die frauenfeindlichen Aussagen von Präsidentschaftskandidat Donald Trump. Sie sei darüber "in ihrem Innersten erschüttert".

Viele Amerikaner stören sich am aggressiven Ton des Wahlkampfs: Trump-Anhänger mit einem Clinton-Porträt auf einer Zielscheibe.

Viele Amerikaner stören sich am aggressiven Ton des Wahlkampfs: Trump-Anhänger mit einem Clinton-Porträt auf einer Zielscheibe.

(Foto: REUTERS)

Der US-Wahlkampf ähnelt von Tag zu Tag mehr einer Schlammschlacht: Drohungen, Beschimpfungen, verbale Schläge unter die Gürtellinie. Mittlerweile sehen das auch viele Amerikaner so, die an harte und kontroverse Debatten durchaus gewöhnt sind. Sie fühlen sich vom nicht enden wollenden Schlagabtausch angegriffen, verletzt und gestresst.

Soziale Medien erhöhen Stress

Ein Hotel in Boston bietet einem TV-Bericht von NBC zufolge genervten Besuchern inzwischen sogar "wahlfreie" Aufenthalte an. Das Arrangement, um der Wahl zu entkommen: Im Hotelzimmer werden keine Nachrichtensender angeboten und in den morgendlich bereitgelegten Zeitungen werden die Wahl-Nachrichten geschwärzt.

Mehr als die Hälfte der US-Amerikaner (55 Prozent) sind vom Wahlkampf 2016 einer Umfrage des PEW-Instituts zufolge schlicht angeekelt. Auch die Amerikanische Psychologen-Vereinigung (APA) veröffentlichte jüngst Daten zum Stresslevel ihrer Landsleute. Von den 3500 erwachsenen US-Amerikanern, die für die jährliche APA-Umfrage im August befragt wurden, gaben 52 Prozent an, vom Wahltheater spürbar gestresst zu sein - Anhänger der Republikaner noch etwas mehr als die der Demokraten.

Vor allem ältere Amerikaner (ab 71 Jahre) und Millennials (18-37 Jahre) bringt der Wahlkampf demnach um die Seelenruhe. Unter den ethnischen Gruppen waren Hispanics am stärksten betroffen. "Wir wissen, dass ältere Erwachsene normalerweise geringere Stresslevel melden als jüngere Generationen. Deshalb ist es überraschend, dass es bei der Wahlfrage umgekehrt ist", sagte der Psychologe Vaile Wright, Mitglied des APA "America in Stress"-Teams.

Mögliche Gründe seien, dass die Älteren um die Zukunft ihrer Kinder und Enkel fürchteten - oder aber beunruhigt seien, weil altersaffine Themen wie Sozial- und Krankenversicherung oder steigende Medikamentenkosten kaum angesprochen würden. Menschen, die intensiv soziale Medien nutzen, geht der Wahlkampf besonders negativ unter die Haut. Zu ihnen dürften auch viele Millennials zählen. "Wahlstress wird durch Streitigkeiten, Bilder und Videos in sozialen Medien verschärft, die Sorge und Frustration erhöhen", ergänzte APA-Geschäftsführerin Lynn Bufka.

"Wahlstress-Störung"

Der Washingtoner Paartherapeut Steve Sasny sieht selbst unter Lebenspartnern mittlerweile gestiegene Frust- und Stresslevel - und das nicht nur, wenn beide unterschiedliche politische Überzeugungen haben. Sasny spricht von einer "Wahlstress-Störung". "Paare verlangen jetzt eher Bestätigung und Unterordnung voneinander als Versöhnung", beschreibt Sasny in einem Interview. "Unsere Politik appelliert derzeit eher an das 'Kleinkind-Gehirn', das selbstbezogen, intolerant, andere beschuldigend, vereinfachend ist und in Begriffen wie 'Meins!' und 'Nein!' denkt." Es gehe nun darum, wieder das "Erwachsenen-Gehirn" zu nutzen, das sich darauf ausrichte, Situationen zu verbessern, Komplexität zu würdigen und auch andere Perspektiven einnehmen zu können.

Dringende Ratschläge diverser Experten an ihre Landsleute lauten deshalb: Reduziert eure Online-Zeit. Vermeidet politische Diskussionen, die voraussichtlich im Streit enden. Verliert Positives und das große Ganze nicht aus dem Blick. Und geht wählen - um euch nicht machtlos zu fühlen.

Quelle: ntv.de, Andrea Barthélémy, dpa

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