Blankeneser Flüchtlingsheim "Auch Leute mit Geld sind solidarisch"
24.04.2016, 15:15 Uhr
(Foto: dpa)
Hamburg gehört zu den vermögendsten Städten Deutschlands. Wohnungen sind extrem knapp, Mieten und Immobilienpreise horrend. Für 40.000 Flüchtlinge – allein vergangenes Jahr kamen mehr als 20.000 hinzu – sucht die Kommune nach offiziellen Angaben Unterkünfte. Der gutbürgerliche Stadtteil Blankenese hat bislang keinen einzigen Flüchtling aufnehmen müssen. Das soll sich nun ändern. Die Landesregierung plant ein Heim für 192 Menschen im Björnsonweg. Eine beträchtliche Zahl von Anwohnern wehrt sich dagegen.
Pastor Klaus-Georg Poehls von der Evangelischen Kirchengemeinde Blankenese steht auf der Seite der Heimbefürworter. Er ist seit mehr als 20 Jahren in der Flüchtlingshilfe aktiv. Im Dezember erhielt er dafür das Bundesverdienstkreuz. Im Interview erklärt der Geistliche, wovor viele Blankeneser Angst haben.
n-tv.de: Sie sind seit mehr als zwei Jahrzehnten in Hamburg-Blankenese in der Flüchtlingshilfe aktiv. Haben Sie jemals in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft solch einen Widerstand gegen Flüchtlinge erlebt wie momentan?
Klaus-Georg Poehls: Nein, nicht ansatzweise. Das ist neu für Blankenese. Anfang der 90er-Jahre gab es schon einmal ein Heim für Flüchtlinge bei uns. Dort lebten Menschen aus Ghana, Togo, Afghanistan, der ehemaligen Sowjetunion und dem früheren Jugoslawien. Wir haben damals einen Runden Tisch gebildet, um Vorurteile abzubauen und Ängste zu nehmen. Die Gesprächsbereitschaft bei den Anwohnern war in jener Zeit sehr groß. Alles lief gut, die Aufregung hatte sich schnell gelegt. Die Unterkunft wurde 2008 geschlossen. Seither hat Blankenese kein Flüchtlingsheim mehr.
Aber nun soll sich das ändern, das gutbürgerliche Blankenese wieder eine Flüchtlingsunterkunft erhalten …
Genau an der Stelle am Björnsonweg, wo das Flüchtlingsheim bis 2008 stand, soll wieder eins gebaut werden. Es ist für 192 Menschen geplant. Das Areal liegt derzeit brach. Dagegen, dass an der Stelle ein Gebäude errichtet werden soll, gibt es Protest. Als Grund wird genannt, der Naturschutz sei in Gefahr. Es kam zu einer Protestaktion, wie ich sie in Blankenese nicht für möglich gehalten habe. Als Bauarbeiter mit Fahrzeugen anrückten, um Bäume zu fällen, wurde das Gelände zugeparkt. Bäume waren besprüht worden, so dass nicht mehr erkennbar war, welche von Anwohnern und welche von den Behörden zum Fällen markiert worden waren. Die Polizei erschien, unternahm aber nichts. Die Bauarbeiter zogen unverrichteter Dinge wieder ab.
Die Gegner der Flüchtlingsunterkunft erklären: "Wir haben nichts gegen Flüchtlingsheime, aber nicht vor der eigenen Haustür." Anders reden die Leute in Heidenau und anderswo in Sachsen auch nicht. Wie erklären Sie sich das?
Die Parallelen in der Argumentation sind nicht zu übersehen. Auch in Hamburg-Blankenese sind sehr viel Verunsicherung und Angst im Spiel. Viele Anwohner am Björnsonweg haben Kinder und sind in Sorge, vor allem den Mädchen könnte etwas zustoßen. "Köln" wird in den Debatten immer wieder als Stichwort genannt. Diese Angst kann nur im Kennenlernen schwinden. Wer sich abschottet, bleibt ihr ausgeliefert.
Gab es denn zu Zeiten des inzwischen abgerissenen Heims einen signifikanten Anstieg der Kriminalität?
Nein, gar nicht. Wir hatten während all der Jahre keinen einzigen Zwischenfall. Wer Flüchtlinge und ihre dramatischen Einzelschicksale kennenlernt, ändert sein Verhältnis zu ihnen. Aber inzwischen verschließen sich Gegner des Heims der Diskussion. Das ist der Unterschied zur Debatte um die alte Unterkunft. Damals redeten alle miteinander. Heute verweigern die Gegner das Gespräch. Viele sind skeptisch und zugleich solidarisch, aber eine Reihe von ihnen sind völlig unsolidarisch gegenüber den Menschen in Not.
Woran machen Sie das fest?
Zunächst gab es Kontakte zu uns, den Befürwortern. Die sind inzwischen erloschen. Innerhalb der Gruppe der Heimgegner hat sich eine Eigendynamik entwickelt, die offenbar nicht zu stoppen ist. Sie sind über einen Rechtsanwalt organisiert, der das Gespräch mit den Befürwortern nicht gesucht hat und wohl auch nicht mehr sucht. Das ist bedauerlich. Wir wurden nicht mehr eingeladen. Dass die Gegner unter sich bleiben wollen, hat mich ebenso überrascht wie das Ausmaß des Widerstandes. Das macht die Kompromisssuche schwieriger.
Gab es denn einen Versuch, sich zu einigen?
Ja, es gab den Vorschlag aus den Reihen der gemäßigten Gegner, die Anzahl der Flüchtlinge auf 140 Flüchtlinge zu reduzieren, also 52 weniger als von den Behörden geplant. Da macht die Stadt aber nicht mit. Sie besteht auf 192.
Vor was oder weshalb haben die Leute vom Björnsonweg Angst?
Die ganze Bandbreite. Einige sind in Sorge, dass der Wert ihrer Grundstücke und Häuser deutlich geringer wird. Andere fürchten – wie schon gesagt – vor allem einen massiven Anstieg der Kriminalität in dem Wohngebiet und davor, dass ihren Kindern etwas geschehen könnte.
Und die "offiziell" genannte Sorge um die Natur. Sind die Heimgegner sonst auch als Naturschützer hervorgetreten oder haben Sie jetzt plötzlich ihre Liebe zu Baum und Käfer entdeckt?
Das kann ich wirklich nicht sagen. Da will ich auch nicht gemein sein und den Leuten irgendetwas Bösartiges unterstellen. Ich weiß es einfach nicht. Aber ich mir nur schwer vorstellen, dass die Behörden die Baugenehmigung erteilt hätten, wenn sie es aus Naturschutzgründen hätten untersagen müssen. Vor einiger Zeit ist in der betroffenen Straße eine neue Ansiedlung von Häusern errichtet worden, für die auch Bäume gefällt werden mussten. Da hielten sich die Beschwerden in sehr engen Grenzen.
Mit dem Protest werden alle Klischees bestätigt, dass "die Reichen" nicht teilen wollen. Und die, die es doch tun, glauben, mit Spenden sei es getan. Aber sobald der Flüchtling vor der Tür steht…
Nachdem bundesweit über die Proteste gegen das Heim berichtet worden ist, haben wir genau das erlebt. Es gab Mails, in denen etwa von "Rassisten in Kaschmir" die Rede war. Danach haben wir vom Runden Tisch beschlossen, ein Zeichen zu setzen und zu demonstrieren. Das hat funktioniert. Das Signal wirkt nach innen und nach außen. Nach innen sorgt es für Zusammenhalt. An der Kundgebung pro Heim nahmen alte Blankeneser teil, die zum ersten Mal in ihrem Leben zu einer Demo gegangen sind. Und nach außen zeigen wir: Auch Leute mit Geld sind solidarisch.
Mit Klaus-Georg Poehls sprach Thomas Schmoll
Quelle: ntv.de