Breitscheidplatz-Attentat 2016 Behörden-Versagen begünstigte Anschlag
09.08.2021, 15:40 Uhr
Zwölf Menschen starben beim Anschlag auf den Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016.
(Foto: picture alliance/dpa)
Falsche Einschätzungen, fehlende Kommunikation und ein Mangel an Personal: Das Berliner Abgeordnetenhaus stellt Ergebnisse zum Terroranschlag auf einen Weihnachtsmarkt 2016 vor. Für die Sicherheitsbehörden ist der Bericht blamabel.
1235 Seiten sollen Aufschluss darüber geben, wie es zum Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz kommen konnte und ob das Attentat sogar hätte verhindert werden können. Seit 2017 beleuchtete der "Untersuchungsausschuss Breitscheidplatz" des Berliner Abgeordnetenhauses den Anschlag, bei dem vor fünf Jahren zwölf Menschen ums Leben kamen.
Das Gremium stellt nun zahlreiche Versäumnisse und schwere Behördenpannen fest, die den Anschlag zumindest begünstigt haben könnten. Neben einer schlechten Personalausstattung beklagt der Ausschuss vor allem den ausbleibenden Informationsaustausch zwischen den Justiz- und Sicherheitsbehörden und die folgenschwere Fehleinschätzung mit Blick auf den Attentäter Anis Amri. Einiges bleibt aber weiter schleierhaft.
Amri-Beobachtung wurde abgebrochen
Da ist zum Beispiel die Frage danach, warum die Observation von Amri durch das Landeskriminalamt abgebrochen wurde, obwohl dieser den Behörden als Gefährder bekannt war. Ein Teil der Antwort ist besonders ernüchternd: Es gab wohl zu wenig Personal, heißt es in dem Bericht.
Weder der polizeiliche Staatsschutz des Landeskriminalamtes Berlin noch die operativen Dienste des LKA hätten genug Ermittler zur Verfügung gehabt, um Amri rund um die Uhr zu beobachten. Beantragt hatte das die Staatsanwaltschaft. Schließlich brachen die Behörden die Observation ab. Zum einen stuften sie den Fall nicht mehr als derart brisant ein, dass sich eine weitere Beobachtung noch gelohnt hätte. Zum anderen könnte auch die Personallücke ein Grund für das Ende der Observation gewesen sein. Der Attentäter verschwand so aus dem Blickfeld der Ermittler. Und das, obwohl die Gefährlichkeit Amris zumindest teilweise bekannt war. Oder doch nicht?
Kommunikationsversagen auf ganzer Linie?
Denn ein weiteres zentrales Ergebnis des Abschlussberichts ist, dass die Informationsketten zwischen Sicherheits- und Justizbehörden nicht oder nur unzureichend funktioniert hätten. Bei gemeinsamen Sitzungen, zum Beispiel des Terror-Abwehrzentrums, sei nicht klar gewesen, "ob die Teilnehmer der Sitzungen tatsächlich umfassend über alle relevanten Erkenntnisse informiert wurden", zitiert der "Tagesspiegel" aus dem Bericht. Auch die Einstufung Amris durch den Verfassungsschutz als reinen Polizeifall beanstanden die Ausschussmitglieder.
Ein "gravierender Fehler" sei es gewesen, dass das Verbot eines salafistischen Moscheevereins, den auch Amri regelmäßig besucht hatte, erst nach dem Anschlag durchgesetzt wurde. Es habe demnach an Druck auch durch den damaligen Innensenator Frank Henkel (CDU) gefehlt. Einen einzigen Schuldigen identifiziert der Untersuchungsausschuss jedoch nicht. Ob Polizei, Verfassungsschutz oder Justiz: "Es ist die Summe dieser Fehler und Versäumnisse, die den Anschlag möglich gemacht haben", stellt der Ausschussvorsitzender Stefan Lenz (CDU) fest.
Größtes Versäumnis: Fehleinschätzung des Täters
Den wohl größten Fehler im Fall Amri sieht der Ausschuss nach 64 Sitzungen und rund 100 befragten Zeugen in der Fehleinschätzung des Täters durch das LKA. Das sah Amri nämlich nur als Drogenhändler. Dass sich so jemand in der salafistischen Szene radikalisiere, hielt das Amt damals eher nicht für möglich. Ein Trugschluss, vor dem Islamwissenschaftler, die mit der Behörde zusammenarbeiteten, warnten - ungehört.
Auch deswegen sehen die Grünen eine klare Mitverantwortung des Landeskriminalamtes für den Anschlag. Es habe genügend Anhaltspunkte gegeben, dass Amri Anschläge plane, sagte der Sprecher der Grünen-Fraktion im Untersuchungsausschuss, Benedikt Lux, vor wenigen Tagen. Im RBB sprach er von einem "kapitalen Fehler der Berliner Sicherheitsbehörden".
Quelle: ntv.de, vsc