"Dunkelfeld ist extrem hoch"Bei der häuslichen Gewalt kennen wir nur die Spitze des Eisbergs
Hubertus Volmer
Gewalt gegen Frauen nimmt zu, und das liegt nicht allein am Anteil der nicht-deutschen Tatverdächtigen. Laut einer neuen Erhebung werden pro Stunde 15 Frauen Opfer von partnerschaftlicher Gewalt. Die tatsächliche Zahl dürfte sehr viel höher liegen.
Die Bundesregierung will ihr Engagement zum Schutz von Frauen vor partnerschaftlicher und häuslicher Gewalt verstärken. Wie neue Zahlen zeigen, ist die häusliche und partnerschaftliche Gewalt wieder angestiegen, und so stellte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt bei einer Pressekonferenz gleich selbst die wichtigste Frage: Tun wir genug dagegen? Nein, tun wir nicht, "da muss deutlich mehr kommen", gab er sich zur Antwort.
Der CSU-Politiker verwies dann aber zunächst darauf, was die Bundesregierung bereits macht. So habe das Kabinett gerade erst einen Gesetzentwurf zum Gewaltschutz von Frauen beschlossen. Das Gesetz soll es Familiengerichten ermöglichen, Fußfesseln anzuordnen, um Abstands- und Kontaktverbote durchzusetzen. Der Beschluss folgt dem sogenannten spanischen Modell.
"Der Schutzraum für das Opfer darf nicht durch den Täter bestimmt werden", betonte Dobrindt. Der Schutzraum müsse da entstehen, "wo sich Frauen frei bewegen wollen". Durch den Sender an der Fußfessel sollen Frauen gewarnt werden, wenn potenzielle Täter sich ihnen nähern; sie selbst können dafür einen Empfänger tragen.
Dobrindt verwies zudem auf die Entwicklung einer Tarn-App, mit der Taten von häuslicher Gewalt dokumentiert werden können - "Tarn-App", weil die Anwendung auf dem Handy für Täter nicht erkennbar sei. Das Opfer könne damit Beweise sichern. Die Entwicklung einer solchen App war bereits von Dobrindts Vorgängerin Nancy Faeser angestoßen worden.
Gewalt gegen Frauen nimmt stärker zur als Gewaltkriminalität insgesamt
Dobrindt stellte in der Pressekonferenz gemeinsam mit Bundesfamilienministerin Karin Prien und BKA-Präsident Holger Münch zwei sogenannte Lagebilder vor: das neue Bundeslagebild über gegen Frauen gerichtete Straftaten und das Bundeslagebild zu häuslicher Gewalt.
Die Zahlen aus beiden Papieren des Bundeskriminalamts zeigen: Mit Ausnahme der Tötungsdelikte nahm die Zahl der Straftaten gegen Frauen teils deutlich zu - und stärker als die Gewaltkriminalität insgesamt.
Untersuchungen zufolge sei jede vierte Frau in ihrem Leben von partnerschaftlicher Gewalt betroffen, sagte Prien. Im Januar soll eine Dunkelfeldstudie hier neuen Aufschluss geben; als Dunkelfeld bezeichnet man Straftaten, über deren Zahl nichts bekannt ist, weil sie nicht erfasst werden. Angezeigte Straftaten bilden das sogenannte Hellfeld.
"Eigentlich müssten wir beschämt sein"
BKA-Chef Münch sagte, die Daten aus der Dunkelfeldstudie würden zeigen, dass "die Anzeigequote in den untersuchten Themenfeldern meist unter 10 Prozent liegt, bei Partnerschaftsgewalt sogar unter 5 Prozent". Viele Taten würden aus Angst, Abhängigkeit oder Scham nicht angezeigt. "Eigentlich müssten wir als Gesellschaft beschämt sein, dass wir solche Entwicklungen zulassen", sagte Prien.
Die Dunkelfeldstudie trägt den Arbeitstitel "Lebenssituation, Sicherheit und Belastung im Alltag", kurz LeSuBia, erstellt wird sie vom BKA. Auch Dobrindt sagte, im Bereich der Partnerschaftsgewalt seien die Dunkelfeldzahlen "extrem hoch". Ein gewisses Dunkelfeld sei zu erwarten gewesen, "aber die Ausprägung, dass wir das Hellfeld bei unter 5 Prozent sehen, die geht über das Erwartbare hinaus".
Häusliche Gewalt gegen Männer "mehr als ein Randphänomen"
Prien verwies darauf, dass es "relativ dramatische Anstiege" auch im Hellfeld gebe. So wuchs die Zahl der registrierten Opfer häuslicher Gewalt von 2020 bis 2024 um 17,8 Prozent. Sie rechnete vor, dass in Deutschland pro Stunde 15 Frauen von partnerschaftlicher Gewalt betroffen seien; 2024 Jahr waren es mehr als 135.000 weibliche Opfer. Täglich gebe es umgerechnet 146 Opfer von Sexualstraftaten. Mehr als 18.000 Frauen und Mädchen seien im vergangenen Jahr Opfer digitaler Gewalt geworden- 50 am Tag. All diese Zahlen bilden lediglich die registrierten Fälle ab.
Die Ministerin kündigte an, die Bundesregierung werde sich auch mit häuslicher Gewalt gegen Männer beschäftigen. "Das ist inzwischen mehr als ein Randphänomen." 30 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt seien Männer.
Zahlen nehmen bei deutschen und nicht-deutschen Verdächtigen zu
Mit Blick auf das Verhältnis von deutschen und nicht-deutschen Tatverdächtigen sagten Dobrindt und Münch, generell seien nicht-deutsche Tatverdächtige im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung klar überrepräsentiert. In Deutschland lebende Ausländer verüben also häufiger Straftaten gegen Frauen. Allerdings sei dies nicht in allen Delikten gleichermaßen deutlich, so Münch. Bei sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ist der Anteil der deutschen Tatverdächtigen mit knapp 79 Prozent besonders hoch.
Münch sagte, Anstiege gebe es sowohl auf der Seite der deutschen wie auch der nicht-deutschen Tatverdächtigen. Allerdings sei der Anteil der nicht-deutschen Bevölkerung in Deutschland gestiegen, der Anteil der Deutschen nicht. "Beide Zahlen sind gleichermaßen besorgniserregend", resümierte der BKA-Chef.
Die aktuellen Lagebilder enthalten keine Zahlen zu sogenannten Femiziden, also zu Morden an Frauen aus frauenfeindlichen Motiven. 308 Frauen seien von ihren Partnern getötet worden, so Münch. Aber mit den vorliegenden Zahlen lasse sich nicht darstellen, wie viele dieser Taten Femizide seien, da die Motive in der polizeilichen Kriminalstatistik nicht erfasst würden. Bis zum Frühjahr soll eine Definition erstellt werden; in künftigen Statistiken sollen Femizide ausgewiesen werden.