Kommentare

"Spanisches Modell" trügtNeues Gewaltschutzgesetz hilft Frauen nur bedingt

19.11.2025, 16:56 Uhr
imageEin Kommentar von Vivian Micks
Die-Zahl-der-Frauen-und-Maedchen-die-Opfer-von-Uebergriffen-durch-Verwandte-werden-steigt
Dass sich die Bundesregierung deshalb an "Spaniens Modell" orientiert, ist ein guter Anfang. Aber eben nur das. (Foto: Jonas Walzberg/dpa)

Fußfesseln statt Systemwechsel: Das neue Gewaltschutzgesetz nach "spanischem Modell" soll Frauen besser vor häuslicher Gewalt schützen. Doch die minimalen gesetzlichen Änderungen im deutschen Modell werden nicht reichen.

Spanien gilt als Vorreiter in Sachen Schutz gegen Gewalt an Frauen: Das südeuropäische Land hat es geschafft, die Zahl seiner Femizide stark zu reduzieren. In Deutschland zeigen Statistiken einen Anstieg häuslicher Gewalt – und zwar jedes Jahr. Dass sich die Bundesregierung deshalb an "Spaniens Modell" orientiert, ist ein guter Anfang. Aber eben nur das. Denn die einzelnen Gesetzesänderungen hierzulande haben nur wenig mit dem ganzheitlichen spanischen System gemein.

Ein Erfolgsversprechen des bereits 2004 eingeführten spanischen Konzepts ist die elektronische Fußfessel. Die soll verhindern, dass Täter sich ihrem Opfer mehr als 500 Meter nähern können. Nach Inkrafttreten eines entsprechenden Gesetzes ist die Zahl der Femizide von 72 im Jahr 2005 auf 57 im darauffolgenden Jahr gesunken. 2024 waren es 48. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es derweil beinahe jeden Tag einen Femizid.

Um Frauen besser zu schützen, soll im Januar die Fußfessel zum Einsatz kommen: aber nur in "Hochrisikofällen", heißt es im Gesetzentwurf des Justizministeriums. Also nur dann, wenn eine "konkrete Gefahr für das Leben, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung besteht". In Spanien gibt es diese Einschränkung nicht. Zurecht, denn selbst dort werden nicht alle Hochrisikofälle richtig eingestuft, was Schutzlücken zur Folge hat. Die wird es ohne Zweifel auch in Deutschland geben: Die Hürden für eine Einstufung als Hochrisikofall sind zu groß, um alle Frauen vor Gewaltverbrechen durch ihren (Ex-)Partner zu schützen.

Zudem ist die elektronische Fußfessel nur ein Teil eines viel weiter gefassten, ganzheitlichen Systems in Spanien, das Prävention, Opferschutz, Sozialarbeit und spezielle Justizstrukturen mit separaten Gerichten kombiniert. In Deutschland entscheidet weiterhin das Familiengericht. Die Richterinnen und Richter haben im Zweifel keine Spezialisierung im Bereich häusliche Gewalt: im Jurastudium ist es nicht Teil des Staatsexamens, steht in vielen Universitäten deshalb gar nicht erst auf dem Lehrplan.

Auch fehlt es in Deutschland weiterhin an einer Präventions-Strategie, an ausreichend Frauenhaus-Plätzen und vor allem: öffentlichem Diskurs. Es braucht mehr Geld vom Staat und den Bundesländern, um Hilfestellen zu finanzieren, statt sie zu kürzen sowie Schulungen für Richterinnen und Richter und Sensibilisierung an Schulen.

Spanien hat vor mehr als 20 Jahren die Notbremse in allen Bereichen gezogen. Es ist die Kombination, die die Maßnahmen so effektiv macht und sich in konkreten Zahlen niederschlägt. Will Deutschland das auch erreichen, muss nicht nur "spanisches Modell" draufstehen, sondern auch drin sein.

Quelle: ntv.de

Sexualisierte GewaltFrauenHäusliche GewaltBundesjustizministerium