Politik

"Ablehnung von Gleichberechtigung"Gewalt gegen Frauen nimmt weiter deutlich zu

21.11.2025, 10:00 Uhr b58b01e6-b3b2-4108-ace9-39b8c6dbd390Hubertus Volmer
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Im vergangenen Jahr wurden 187.128 Frauen Opfer von häuslicher Gewalt. (Foto: picture alliance/dpa)

Wieder einmal registriert das Bundeskriminalamt mehr Straftaten, die gegen Frauen gerichtet sind. Nur bei den Tötungsdelikten gehen die Zahlen zurück. Den Begriff Femizide benutzt das BKA in diesem Jahr nicht.

Die Zahl der frauenfeindlichen Straftaten in Deutschland steigt weiter an. Das zeigen die aktuellen Bundeslagebilder über gegen Frauen gerichtete Straftaten sowie über häusliche Gewalt, die Bundesinnenminister Alexander Dobrindt, Frauenministerin Karin Prien und BKA-Chef Holger Münch heute Vormittag in Berlin vorstellen (live bei ntv).

Beide Auswertungen des Bundeskriminalamts lagen ntv.de vorab vor. Die Daten zeigen, dass Gewalt gegen Frauen stärker zunimmt als Gewaltkriminalität insgesamt. So stieg die Zahl der weiblichen Opfer von häuslicher Gewalt im Vergleich zum Vorjahr um 3,5 Prozent auf 187.128. Insgesamt gab es im vergangenen Jahr 265.942 Opfer von häuslicher Gewalt, so viele wie noch nie. Deutlich mehr als zwei Drittel davon waren Frauen, knapp 30 Prozent Männer.

Zugleich zählte das BKA bei Fällen von häuslicher Gewalt 152.812 Tatverdächtige, ein Anstieg im Vergleich zu 2023 um 3,2 Prozent. Die Zahl der Opfer ist höher, weil hier nicht Personen, sondern sogenannte Opferwerdungen gezählt werden, letztlich also Fälle. Ein Opfer kann damit mehrfach erfasst werden. Tatverdächtige dagegen werden nur einmal gezählt.

Rückgang nur bei Mord und Totschlag

Vor allem im Bereich der häuslichen Gewalt und der digitalen Gewalt geht das BKA davon aus, dass die tatsächliche Zahl der Straftaten deutlich größer ist, weil viele Straftaten nicht erfasst werden - das sogenannte Dunkelfeld.

Das BKA weist darauf hin, dass Tötungsdelikte die einzige Fallgruppe sind, in der die Zahl der Straftaten gegen Frauen gesunken ist. In jeder Fallgruppe, ob bei Tötungsdelikten, bei Sexualstraftaten, bei digitaler Gewalt oder im Bereich Menschenhandel, gebe es einen hohen Anteil von Tatverdächtigen, mit denen das Opfer früher oder aktuell in einer Partnerschaft gewesen sei.

Die Gewaltkriminalität insgesamt nahm im vergangenen Jahr um 1,5 Prozent zu, deutlich weniger stark als Fälle von Gewalt an Frauen. Ein Erklärungsansatz für den Ursprung von frauenfeindlicher Gewalt liege "in einer Ideologie der Ablehnung von Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit der Geschlechter", schreibt das BKA. Gleichberechtigung könne von Männern, "die rigide an traditionellen Normen festhalten", als "Bedrohung traditioneller Rollenbilder" aufgefasst werden - in gewisser Weise geht es also um Angst vor Emanzipation.

Fast vier Prozent mehr Tatverdächtige bei Sexualstraftaten

Bei den Sexualstraftaten registrierte das BKA im vergangenen Jahr 53.451 weibliche Opfer, ein Anstieg um 2,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zugleich wurden 37.881 Tatverdächtige ermittelt, 3,8 Prozent mehr als 2023. Fast die Hälfte aller weiblichen Opfer von Sexualstraftaten sind unter 18 Jahre alt.

Von den Tatverdächtigen im Bereich der Sexualstraftaten insgesamt sind laut BKA rund 64,5 Prozent Deutsche und 35,6 Prozent Nichtdeutsche; letztere sind also im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung überrepräsentiert.

Das Verhältnis von deutschen und nicht-deutschen Tatverdächtigen unterscheidet sich je nach Delikt. So sind knapp 79 Prozent der Tatverdächtigen im Bereich von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen Deutsche, 21,3 Prozent sind Ausländer. Beim Delikt der Zuhälterei sind gut 42 Prozent der Tatverdächtigen Deutsche.

Digitale Gewalt nimmt zu

Auch digitale Gewalt gegen Frauen und Mädchen hat im vergangenen Jahr stark zugenommen. Das BKA registrierte 18.224 weibliche Opfer, ein Anstieg von 6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Vergleich zu 2020 hat sich die Zahl der Opfer mehr als verdoppelt. Noch stärker ist der Anstieg bei den Tatverdächtigen: 11,3 Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahr - die Zahl stieg von 12.691 im Jahr 2023 auf 14.130 im vergangenen Jahr.

Unter den Opfern sind 33,6 Prozent unter 18 Jahre alt. Unter den Tatverdächtigen sind knapp 19 Prozent minderjährig. Auffällig sei der hohe Anteil minderjähriger Tatverdächtiger beim Vorwurf des digitalen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen (38,4 Prozent). Digitaler sexueller Missbrauch ist etwa das sogenannte Cyber-Grooming, also die sexuell motivierte Manipulation über soziale Medien.

Rückgang bei Tötungsdelikten

Bei den Tötungsdelikten sind die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr teils deutlich gesunken. So ging die Zahl der versuchten und vollendeten Tötungsdelikte um 8,4 Prozent zurück. Seit 2020 beträgt der Rückgang 18,2 Prozent.

Mehr als die Hälfte aller Tötungsdelikte gegen Frauen und Mädchen wurden in Familien beziehungsweise von den Partnern verübt. Insgesamt registrierte das BKA 859 weibliche Opfer von versuchten und vollendeten Tötungsdelikten. 308 Frauen und Mädchen wurden getötet, die meisten davon (191) von ihren Partnern (132) oder von Angehörigen (59).

Die Tatverdächtigen im Bereich der Tötungsdelikte gegen Frauen sind zu 66 Prozent Deutsche. Bei Tötungen in einer Partnerschaft liegt der Anteil der deutschen Tatverdächtigen bei 58,4 Prozent. 41,6 Prozent der Tatverdächtigen haben eine andere als die deutsche Staatsbürgerschaft.

BKA will Definition von Femiziden erarbeiten

Anders als im vergangenen Jahr benutzt das Bundeslagebild nicht den Begriff "Femizid", sondern spricht von geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteten Tötungsdelikten. Ein Mord an einer Frau ist dann ein Femizid, wenn sie ermordet wurde, weil sie eine Frau ist. Solche Zuschreibungen sind dem BKA anhand der vorliegenden Daten offenbar nicht möglich: Im deutschen Rechtssystem gebe es keine allgemeingültige Definition des Begriffs Femizid.

Für die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), auf der die Daten beruhen, seien zudem keine Informationen zur Tatmotivation enthalten. Allerdings hätten die Chef Landeskriminalämter und des BKA vereinbart, eine bundeseinheitliche polizeiliche Definition zu Femiziden zu erarbeiten.

Starker Anstieg von Gewalt gegen Frauen in der politisch motivierten Kriminalität

Im Bereich der politisch motivierten Kriminalität stieg die Zahl der frauenfeindlichen Straftaten drastisch an, um 73,3 Prozent. Im vergangenen Jahr wurden vom BKA 558 frauenfeindliche Straftaten erfasst, nach 322 frauenfeindlichen Straftaten im Jahr 2023. 2022 waren es 206.

Etwas mehr als die Hälfte der Fälle des vergangenen Jahres wurde vom BKA dem Bereich der politisch rechts motivierten Kriminalität zugerechnet. Auf links motivierte Kriminalität entfallen 3,4 Prozent der frauenfeindlichen Straftaten, auf den Bereich der "ausländischen Ideologie" 7,9 Prozent, auf den der "religiösen Ideologie" 3,6 Prozent. Eine "sonstige Zuordnung" nahm das BKA in knapp 34 Prozent der Straftaten vor.

Den größten Teil der Straftaten machen mit 276 Fällen Beleidigungen aus. Unter den frauenfeindlichen Straftaten sind auch 76 Volksverhetzungen, 69 Propagandadelikte, 46 Fälle von Nötigung oder Bedrohung sowie 39 Gewaltdelikte.

Quelle: ntv.de

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