
In dem kleinen Krater auf einer Straße in Chan Scheichun soll die chemische Bombe eingeschlagen sein.
(Foto: imago/UPI Photo)
Woher kam das Giftgas im syrischen Chan Scheichun? Vieles deutet auf den Abwurf aus der Luft hin. Russland dagegen erklärte, es sei eine Lagerhalle mit Chemikalien getroffen worden. Daran gibt es nachvollziehbare Zweifel.
Wer den Angriff auf die syrische Ortschaft Chan Scheichun ausgeführt hat, ist offiziell ungeklärt. Zwei Tage nach dem Angriff, bei dem mutmaßlich Giftgas zum Einsatz kam, erhärten sich jedoch einzelne Indizien. Ein Beobachter vor Ort gab laut Reuters an, eine russische Sukhoi-22 habe am frühen Morgen des 4. April drei konventionelle Bomben abgeworfen sowie eine vierte, die wenig Lärm verursacht habe. Dafür sei kurz darauf eine weiße Wolke zu sehen gewesen.
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen sowie türkische Ärzte bestätigten inzwischen, dass die Verletzten und Toten aus Chan Scheichun Merkmale zeigten, wie sie durch Chemiewaffen verursacht werden. Im Verdacht stehen mindestens zwei Stoffe: ein neurotoxisches Mittel wie Sarin-Gas sowie Chlorgas.
Westliche Regierungen sehen das Assad-Regime als verantwortlich an. Der syrische Außenminister Walid al-Muallim sagte dagegen, die syrische Regierung habe nie und werde nie Chemiewaffen einsetzen. Auch das russische Verteidigungsministerium widersprach dem Vorwurf und gab einen Tag nach dem Angriff an, die Gase seien ausgetreten, nachdem ein großes Munitionslager von Terroristen und militärische Geräte ins Visier genommen worden seien.
Gegen diese russische Version sprechen mehrere Indizien. Das offensichtlichste: Der vom Kreml erwähnte Angriff auf ein Munitionslager soll am Dienstagvormittag stattgefunden haben. Die ersten Videos von Menschen mit Symptomen einer Giftgasschädigung fluteten das Internet jedoch bereits am frühen Morgen desselben Tages. Die Recherchewebsite "Bellingcat" hat die Reihenfolge der Ereignisse dokumentiert. Demnach wurde ein Video mit dem Bombardement um 6.59 Uhr syrischer Ortszeit bei Youtube hochgeladen. 22 Minuten später twitterte die lokale Nachrichtenagentur "Haq" das Video und erwähnte bereits den Einsatz eines chemischen Sprengsatzes. Etwa eine Stunde später waren die ersten Bilder von Toten und Verletzten am Boden online. Die Notärzte der Region wurden gegen 7 Uhr Ortszeit alarmiert und nach Chan Scheichun gerufen.
"Bellingcat" veröffentlichte auch eine Analyse, wonach es allein nach chemischen Gesichtspunkten äußerst unwahrscheinlich erscheint, dass das Giftgas nach einem Angriff auf ein Chemikalienlager austrat. Demnach sind in Syrien bislang ausschließlich binäre chemische Kampfstoffe zum Einsatz gekommen. Das heißt, das Gift entsteht durch eine Mischung von mindestens zwei Komponenten, und dies erst kurz vor dem Einsatz. Eine Lagerung des fertigen Gifts ist nicht möglich.
Sarin, das möglicherweise zum Einsatz kam, kann zwar als reiner Stoff hergestellt werden, ist in diesem Zustand aber nur mit großem Aufwand lagerfähig. Über die komplizierte Technologie dürfte in Syrien jedoch niemand verfügen. Selbst wenn die Komponenten für ein Giftgas wie Sarin in verschiedenen Behältern in dem Gebäude gelagert haben sollten, würde deren Freisetzung durch ein Bombardement nicht automatisch eine fertige Mischung herbeiführen, die so viele Menschen tötet.
Quelle: ntv.de