
Hand drauf: Höcke und Chrupalla wollen die Partei mit geeinter Spitze zum Erfolg bringen.
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Angezählt, aber letztlich erfolgreich, kann Tino Chrupalla sich und seine Kandidaten im AfD-Bundesvorstand durchsetzen. So will die Partei die chronischen Lagerkämpfe überwinden. Präsent wie nie zuvor auf einem AfD-Bundesparteitag: Björn Höcke, der auf neuen Wegen die Partei prägen will.
Wer wollte, konnte so etwas wie Erleichterung in Tino Chrupallas Stimme hören: "Die Ära Meuthen ist mit dem heutigen Tag auch beendet", sagte der frisch bestätigte AfD-Bundessprecher, als beim Bundesparteitag in Riesa am Samstagmittag beide Bundessprecher sowie deren drei Stellvertreter gewählt waren. Mit Co-Sprecherin Alice Weidel und den Stellvertretern Stephan Brandner, Peter Boehringer und Mariana Harder-Kühnel hatten sich ausschließlich Bewerber durchgesetzt, die auf Chrupallas Vorschlagsliste "Team Zukunft" standen. Auch bei der Vergabe der übrigen neun Vorstandsposten zeichnete sich da schon ab, dass weitere "Zukunft"-Kandidatinnen gewählt und dieses "Team Chrupalla" im neuen Vorstand tonangebend sein würde.
Was also Chrupalla eigentlich meinte: Die Dominanz des vor einem Jahr aus der Partei ausgetretenen, ehemaligen Bundessprechers Jörg Meuthen im Bundesvorstand ist beendet. Dessen Übergewicht hatte zu einer lähmenden Spaltung der AfD beigetragen, weil die in Fraktion und Öffentlichkeit dominanten AfD-Vertreter mehrheitlich aus dem Osten und politisch dem inzwischen offiziell aufgelösten Flügel von Björn Höcke zuzurechnen waren. "Schlechter konnte man das alles gar nicht machen", sagte Weidel über den nun abgelösten Bundesvorstand. Die AfD werde den Streit hinter sich lassen und fortan geschlossen auftreten, sagte Chrupalla. "Heute beginnt der Aufbruch der AfD."
Warnschuss für Chrupalla
Der AfD-Fraktionschef hat am Freitag und Samstag die Messlatte für seine Person ungewollt hoch gelegt. Zehn Wahlen in Folge, die für die AfD enttäuschend liefen, sowie eines langsamen, aber kontinuierlichen Mitgliederschwunds erklärte Chrupalla durchweg mit dem Streit im Bundesvorstand sowie mit parteiinternen Kommunikationsproblemen im Zuge der Corona-Pandemie. Beide Begründungen fallen künftig weg, wenn das Chrupalla-Lager den Vorstand dominiert und auch die AfD gelernt haben sollte, wie sie sich als Partei digital aufstellen muss.
Chrupalla schlug am Samstag deutliches Misstrauen entgegen: Nur 53,5 Prozent der 538 abstimmenden Delegierten votierten für den Amtsinhaber. Sein Herausforderer, Norbert Kleinwächter, kam - obwohl kaum bekannt in der Partei - auf 36,5 Prozent. Damit hatte Chrupalla das mit Abstand schwächste Ergebnis aller gewählten Vorsitzenden und ihrer Stellvertreter. Weidel dagegen kam auf mehr als 67 Prozent der Stimmen und erntete viel Applaus. Ihre Kernbotschaft: "Nichts hasst der Wähler mehr als eine Partei, die mit sich selbst beschäftigt ist."
Frühere Meuthen-Unterstützer ziehen Kopf ein
Geschlossenheit zu predigen, schien auch anderen Parteimitgliedern eine gute Idee zu sein. Nach zuletzt oft chaotischen Parteitagen und immer wieder nach außen getragenen Konflikten in Partei und Fraktionen soll endlich Ruhe reinkommen in die Partei. Das hat sie sich schon häufig vorgenommen. Ob es klappt, wenn im neuen Bundesvorstand die Ost-Verbände und westdeutschen Flügelsympathisanten derart dominieren, bleibt abzuwarten. Die einstigen Meuthen-Freunde jedenfalls nahmen sich diesmal spürbar zurück. Kritik an AfD-Politikern, deren Äußerungen den Verfassungsschutz zur Beobachtung der Partei animiert haben, war diesmal gar nicht zu hören. Dafür kamen Kandidaten in den Vorstand, die Sympathien für den auf Meuthens Betreiben ausgeschlossenen Rechtsextremisten Andreas Kalbitz äußerten.
Ferner wurden mit den Fraktionsvorsitzenden Chrupalla und Weidel sowie weiteren Bundes- und Landtagsabgeordneten fast ausschließlich Mandatsträger in den Vorstand gewählt. Das Übergewicht der "Berufspolitiker" passt nicht zum Selbstverständnis der AfD, eine basisdemokratische Partei zu sein. Hier sind ebenso Konflikte angelegt wie bei der Tatsache, dass sich nicht-völkisch denkende National-Liberale von diesem Vorstand kaum vertreten fühlen dürften.
Höcke präsent wie nie
Der AfD-Kurs trägt auffallend den Schriftzug des Thüringer Rechtsaußen Höcke. Wie nie zuvor war der Vorsitzende der AfD-Fraktion in Erfurt auf diesem Parteitag präsent: Erfolgreich warb er eine Zweidrittelmehrheit für seinen Satzungsänderungsantrag ein, wonach künftig auch Solo-Parteichefs möglich sein sollen anstelle der Doppelspitze. Zudem folgte der Parteitag Höckes Plädoyer dafür, in Riesa noch einmal einen Doppelvorstand zu wählen. Es war ebenso auffällig, wie explizit sich Höcke hinter Chrupalla und Weidel stellte. Er bestritt, dass er beide nur als Übergangsvorstand sehe, bis er selbst die Partei übernehmen würde. "Ich gehe davon aus, dass sich beide bewähren werden", sagte Höcke dem Sender Phoenix.
Andersherum unterstützt Chrupalla Höckes Antrag auf Gründung einer Kommission "Parteistrukturreform", der Höcke selbst vorsitzen möchte. Als Kommissionsleiter würde er zusätzlich dem Bundesvorstand angehören und zehn Personen benennen können, die dem Gremium angehören. Neben inhaltlichen und organisatorischen Fragen soll sich die Kommission, über deren Einsetzung am Sonntag entschieden wird, auch mit der Qualifizierung politischen Personals befassen. Höcke, so scheint es, erweitert seinen Einfluss auf die AfD - während ihm der Bundesvorstand politisch und persönlich so nahe steht, wie keiner zuvor.
Quelle: ntv.de