Wahl von Bartschs Nachfolgern Die Linke kann Krach auch ohne Wagenknecht
19.02.2024, 20:02 Uhr Artikel anhören
Heidi Reichinnek gewinnt ihre Wahl mit einer Stimme Vorsprung (Archivfoto).
(Foto: picture alliance / dts-Agentur)
Nach dem Verlust ihres Fraktionsstatus kann die Linke eine Kampfabstimmung über die Nachfolge Dietmar Bartschs nicht verhindern. Die Partei beweist, dass sie Sahra Wagenknecht zum Streiten nicht braucht und wählt ein Duo, das nun schon wieder Gräben zuschütten muss.
Der ewige Zankapfel fiel schon vergangenes Jahr vom Baum: Ende Oktober verließ Sahra Wagenknecht samt Gefolge die Linke. Jetzt ist auch der Mann in den Hintergrund getreten, der so lange versuchte, die Lager irgendwie zusammenzuhalten: Dietmar Bartsch, seit sechs Jahren Fraktionsvorsitzender, will künftig nur noch Hinterbänkler sein. Und dennoch streitet die Linke fröhlich weiter.
Nun, da sie keine Fraktion mehr sind, haben die verbliebenen Linken im Bundestag in Kampfabstimmung eine neue Führung gewählt: Die neuen Leitwölfe, Heidi Reichinnek und Sören Pellmann, führen nur noch eine Gruppe von insgesamt 28 Abgeordneten an. Das macht ihren Job nicht weniger wichtig. Im Gegenteil. Sie haben nach dem Auseinanderbrechen der Fraktion viel weniger von dem zu verteilen, was im Bundestag besonders wertvoll ist: Redezeit.
Will die Linke bei der nächsten Bundestagswahl nicht unter der Fünf-Prozent-Hürde durchrutschen und damit der Bedeutungslosigkeit einen Schritt näherkommen, muss sie die verbleibende Zeit nutzen. Wichtig dafür: die internen Streitigkeiten beilegen, verbliebene Gräben zuschütten. Auch nach der Spaltung der Fraktion, nach dem Abschied von Sahra Wagenknecht und ihren Leuten sind noch immer genügend dieser Gräben vorhanden. Das zeigte sich spätestens im Vorlauf zur Wahl der neuen Gruppenführer.
Genderstern oder Regierungsbeteiligung?
Die Partei hätte sich vor der Abstimmung auf eine neue Führung im Bundestag einigen und so den Eindruck vermeiden können, dass sie nicht anders kann, als sich zu streiten. Aber mit Sören Pellmann und Heidi Reichinnek einerseits, sowie Clara Bünger und Ates Gürpinar andererseits kündigten gleich zwei Doppelspitzen ihre Kandidatur an. Letztere stehen für die sogenannte Bewegungslinke und damit für eine liberale Migrationspolitik, für ökologischen Wandel und gesellschaftliche Emanzipation. Ihnen stehen Linke gegenüber, die die Tradition der Partei hochhalten: die Verbindung zum Arbeitermilieu, die Stärke im Osten. Für dieses Lager sind Regierungsbeteiligungen wichtiger als Gendersternchen, hier gelten die Bewegungslinken als zu akademisch, zu urban. Für diesen Flügel stehen Pellmann und Reichinnek.
Pellmann und Reichinnek waren schon 2022 bei der Wahl zum Parteivorsitz angetreten. Sie waren damals Janine Wissler und Martin Schirdewan unterlegen, hatten aber bemerkenswerten Zuspruch erhalten. Auch damals wurde schon ihre Nähe zu den Abgeordneten betont, die später gemeinsam mit Sahra Wagenknecht die Partei verließen, Pellmann galt gar als Wagenknechts Vertrauter.
Am Wochenende tagte der Parteivorstand. Er wollte einen offenen Kampf um den Vorsitz der Gruppe verhindern und bat deshalb die Kandidierenden um eine Einigung vor der Klausur. Bünger und Gürpinar sollen sich laut der "Süddeutschen Zeitung" im Vorfeld der Wahl für einen Kompromiss offen gezeigt haben, Pellmann und Reichinnek wohl nicht.
Zwei äußerst knappe Siege
Die Kompromissverweigerung hat sich für Pellmann und Reichinnek gelohnt. Die neuen Gruppen-Vorsitzenden konnten zwei Kampfabstimmungen knapp für sich entscheiden: Linken-Bundesgeschäftsführer Ates Gürpinar hatte seine Bewerbung im Laufe des Verfahrens zurückgezogen. Seine Mitbewerberin Bünger unterlag in zwei Wahlgängen sowohl Reichinnek als auch Pellmann mit jeweils nur 13 zu 14 Stimmen.
Für die Partei ist Pellmanns und Reichinneks Erfolg eher keiner. Ihr bleiben bis zur nächsten Bundestagswahl maximal anderthalb Jahre. Wagenknechts Einzelgänge haben Kraft gekostet. Jahrelang bekriegte sich die Linke auf offener Bühne, die Partei fand medial zeitweise nur noch als Streit statt. Wagenknecht war politisches Kapital und Hypothek zugleich. Sie brachte bei Wahlen Stimmen ein, in der Zeit dazwischen übertönte ihre eigene oft den Rest der Partei. Nach Wagenknechts Abschied muss die selbsternannte Friedenspartei nun innere Einigkeit finden.
Die Linke muss die Bühne des Bundestags nutzen, um den Wahlberechtigten in Deutschland Gründe zu liefern, sie zu wählen. Das dürfte mit geeinten Kräften schwierig genug werden. Der neu angefachte Streit wird die neue Doppelspitze aber zusätzlich belasten. Pellmann und Reichinnek müssen eine Gruppe zusammenhalten, die nach dieser Wahl aus Siegern und Besiegten besteht.
Die einzige Chance liegt in der schnellen Versöhnung
Immerhin ist der Linken mit der Wahl des neuen Gruppenvorsitzes der Generationenwechsel gelungen. Reichinnek könnte mit ihren 35 Jahren alterstechnisch problemlos die Tochter ihres Vorgängers, des 65-jährigen Bartsch sein. Sie zog 2021 zum ersten Mal in den Bundestag ein. Auch ihr Parteifreund Pellmann liegt mit 47 Jahren unter dem Altersdurchschnitt der Partei.
Reichinneck ist zudem auf einer Plattform erfolgreich, die bei jungen Menschen beliebt ist und auf der sonst vor allem die AfD punkten kann: auf Tiktok. Ihr erfolgreichster Beitrag ist ein Video mit knapp vier Millionen Aufrufen, in dem sie den "Genderwahn" der Rechten aufs Korn nimmt.
Pellmann ist ein Leipziger Kommunalpolitiker, der 2017 für die Linke das erste Direktmandat in Sachsen gewinnen konnte. Auch bei der vergangenen Bundestagswahl sicherte sich Pellmann das Direktmandat und rettete die Linke so in Fraktionsstärke in den Bundestag. Er stand Anfang 2022 für eine Erklärung in der Kritik, die den russischen Angriffskrieg verurteilte, den USA allerdings "für die entstandene Situation maßgebliche Mitverantwortung" zuschrieb. Pellmann sagte später, die Einordnung sei "eine in dieser Situation nicht ganz durchdachte Reaktion" gewesen. Alle Mitunterzeichner dieser Erklärung wanderten später ins Bündnis Sahra Wagenknechts ab, nur Pellmann nicht.
Pellmann und Reichinnek muss nun daran gelegen sein, ihre Gegnerinnen und Gegner schnell einzubinden. Die Unterlegenen dürfen sich nicht zu lange als Unterlegene sehen. Nur so hat die Linke im Bundestag die Chance, mit inhaltlicher Arbeit Präsenz zu zeigen und eine Grundlage zu schaffen für den Wiedereinzug ins Parlament.
Quelle: ntv.de