Weiblich, sexy, gewaltbereit Die Postergirls der Rechtsextremen
27.06.2021, 15:04 Uhr
Ein Protestmarsch der "Identitären Bewegung" 2017 in Berlin.
(Foto: imago/IPON)
Der Rechtsextremismus wird weiblicher. Von 8,6 auf inzwischen 10,3 Prozent stieg allein die Zahl der weiblichen Straftäterinnen im letzten Jahr an. Rechte Postergirls sollen, so die Strategen, den Weg des Extremen in die Mitte der Gesellschaft ebnen.
Susanne G. ist im März 2020 ahnungslos, als ein Sondereinsatzkommando (SEK) ihr Reihenhaus stürmt. Schwer bewaffnete Einsatzkräfte nehmen sie fest, andere sichern Beweismaterial. An der Wand hängt eine Hakenkreuzflagge, auf dem Nachttisch Hitlers "Mein Kampf" und ein Buch mit dem Titel "Der Jude als Weltparasit".
Ihr Waffenarsenal ist beeindruckend. "Der Spiegel" zählt einen Teleskopschlagstock, ein Tomahawk, eine Machete, mehrere Messer, einen Revolver und mehrere Pistolen. Dazu scharfe Munition aus Behördenbeständen. Von Spezialeinheiten stammt sie, das ist sicher, woher genau, bleibt unklar. Klar aber ist, Susanne G. ist eine Rechtsterroristin.
Auch für Lisa Licentia alias Lisa H. war der Kampf für ein möglichst ausländerfreies Deutschland oberstes Credo. Das einstige Poster Girl der Identitären Bewegung und AfD verkörpert das Ideal der Neuen Rechten. Als junge und attraktive Frau zieht sie Männer und Medien an, steht für Harmlosigkeit und Orientierung auf Familie und somit für das Wunsch-Image der neuen Rechten: weiblich, sexy und rechtsextrem. Dieser Typus Frau ist auserkoren, dem Extremismus vom Rand in die Mitte der Gesellschaft zu verhelfen.

Lisa H. - inzwischen ausgestiegen aus der rechten Szene, die sie danach massiv bedrohte.
(Foto: (privat))
"Dass Frauen eine Galerie-Funktion haben, ist inzwischen bekannt," sagt die Politologin Andrea Röpke, eine Expertin auf dem Gebiet rechtsextremer Frauen, im Interview mit ntv.de. "Heute wird ganz konkret um sie geworben. Denn es ist klar: Frauen können genauso rechtsextrem, genauso antisemitisch, genauso demokratiefeindlich sein wie Männer."
Propaganda für die "deutsche Mutter"
Und es gibt immer mehr Frauen, die in der globalen Welt eine große Sehnsucht nach klaren traditionellen Rollenbildern haben, weiß Röpke. "Ein Feindbild ist der Feminismus. Und das Bild der deutschen Mutter wird propagiert. Das zieht durchaus viele Frauen an." Und dafür kämpfen sie.
Susanne G. wollte dafür sogar töten. Möglichst viele, da ist sich die Bundesanwaltschaft sicher. Die 55-jährige Heilpraktikerin sei eine Rechtsterroristin. Sie stand im engen Kontakt zu Mitgliedern des ehemaligen NSU, des Nationalsozialistischen Untergrunds. Mit Ralf Wohlleben schrieb sie sich während dessen Haftzeit regelmäßig Briefe. G. habe Waffen gehortet und Ziele ausgekundschaftet. Beweisen sollen das unter anderem auch Auszüge aus einer mutmaßlichen Anschlagsliste. Dazu zählte die muslimische Gemeinde in Röthenbach, zwei Polizeistationen in Lauf und Altdorf (Bayern), zwei Flüchtlingsunterkünfte und ein jüdisches Museum.
Rechtsextrem wird Lisa H., die Tochter einer Deutschen und eines Türken, nach eigenen Aussagen in der Silvesternacht vom 31.12. 2015, als am Kölner Hauptbahnhof überwiegend Nordafrikaner Hunderte Frauen sexuell attackieren. Dieser Moment war ein Katalysator. "Das Thema hat mich total vereinnahmt", so die gelernte 27-jährige Einzelhandelskauffrau und dreifache Mutter zu ntv. "Ich habe Tage, Wochen, Monate auf allen Plattformen nur noch Berichte über Vergewaltigungen und Missbrauch durch Flüchtlinge konsumiert. Ich lebte in einer totalen Blase." Sie eröffnet eigene Channels auf Youtube und Telegram und twittert drauflos. Sie hetzt gegen Asylbewerber und Flüchtlinge, macht sich über religiöse Bräuche oder über die Protestbewegung für den Hambacher Forst lustig. Und das gefällt Zehntausenden Followern.
Auf über zehn Prozent ist der Frauenanteil bei rechtsextremen Straftaten inzwischen gestiegen. Rund 40 Prozent soll ihr Anteil in der rechtsextremen Szene betragen. Tendenz steigend. Daran hat auch die Querdenker-Bewegung einen Anteil. "Das mag daran liegen, dass viele Frauen schon immer offen für alternative Medizin und Behandlungsmethoden waren", so Andrea Röpke.
Und so rückten Impfgegner, Verschwörungsgläubige und Rechtsextreme auf den deutschlandweiten Protesten immer näher zusammen. "Durch die Querdenker-Bewegung sind Hemmschwellen gefallen. Frauen trauen sich jetzt auf die Bühnen, Frauen sind Rednerinnen oder wir erleben sie als Ordnerinnen. Und sie teilen ein gemeinsames Feindbild: den Staat." Rechtsextremistinnen schlagen zwar seltener zu, aber hassen können sie mit der gleichen Wucht, so das Fazit.
Auch Susanne G. ist in der Naturheilkunde erfahren. Dann kommen die Proteste der Querdenker und Verschwörungsgläubigen hinzu, und am Ende will sie laut Anklage nicht mehr reden, sie will töten. Die 55-Jährige besorgt sich laut Bundesanwaltschaft Anleitungen zum Bombenbau aus dem Internet, das Material wird bei ihr sichergestellt. Experten des LKA wollen wissen, wie gefährlich der Brandsatz ist, und bauen ihn nach. Auf Video erlebt man im Gerichtssaal mit, wie ein riesiger Feuerball in die Luft schießt, Temperaturen von über 1000 Grad erzeugt und im Umkreis von 50 Metern alles in Flammen aufgeht.
AfD freut sich über weiblichen Zuwachs
Lisa H. wird 2018 politisch aktiv. Zunächst in der völkisch-rassistischen Bewegung "120 Dezibel" der Identitären Bewegung (IB). "Getrieben hat mich damals die Vorstellung, dass meine Tochter einmal eine Burka tragen muss. Ich hatte regelrechte Angststörungen deswegen", so Lisa. Nachdem der IB aber immer mehr Anhänger die Gefolgschaft verweigern, kehrt auch Lisa der Bewegung den Rücken.
Prompt erhält sie eine Einladung zur "Konferenz der freien Medien" der AfD im Bundestag. Und es ist einfach, in rechten Parteien als Frau das Podium zu erstürmen. Alice Weidel hat es geschafft, Frauke Petry, Beatrix von Storch. Geschätzt ein Drittel der AfDler sind Frauen. Und die Partei freut sich über weiblichen Zuwachs. Denn sie verkörpern die Familie, das Emotionale und das Gewaltfreie. Sie engagieren sich in dörflichen Gemeinschaften, sind in Elternbeiräten anzutreffen oder helfen ehrenamtlich in Kindergärten und Sportvereinen. Und so tragen sie die völkisch-nationale, rechtsextreme DNA unauffällig in die Mitte der Gesellschaft.
Beide rechtsextreme Biografien enden abrupt. Für Susanne G. nach ihrer Verhaftung und dem Beginn ihres Prozesses vor dem Oberlandesgericht in München im April dieses Jahres. Dort muss sie sich jetzt unter anderem für die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat verantworten. Im August wird das Urteil erwartet.
Für Lisa ist die Episode Rechtsextremismus nach eigenen Angaben beendet, als sie merkt, dass man als Frau in der rechten Szene nur verpulvert wird, als sie spürt, das am Ende immer nur die Männer das Sagen haben und Sexismus ein großes Problem in der Partei ist. Sie steigt aber nicht nur aus. Vielmehr holt sie zum Gegenschlag aus. Lisa lässt sich bei einem vermeintlich vertraulichen Gespräch mit dem damaligen Pressesprecher der AfD Fraktion im Bundestag, Christian Lüth, für eine Fernsehdokumentation filmen. Dabei äußert Lüth, man könne Flüchtlinge auch "erschießen" oder "vergasen".
Hetzer wollen sie "einschläfern"
Das Interview wird ihn den Job kosten. Und Lisa wird zum Feindbild erklärt. Jetzt schlägt der braune Sumpf zurück. Manche Hetzer wollen sie einschläfern, erschießen oder sie und ihre Kinder vergewaltigen. Beim Jugendamt wird sie anonym verleumdet, sie drehe zu Hause Pornos. Wiederum andere hacken ihre Accounts und verunglimpfen sie. Jetzt wird diejenige bedroht, gehetzt und gejagt, die einst selbst drohte, hetzte, jagte.
Lisa H. ist nun im NRW-Aussteigerprogramm untergekommen und will in Zukunft in der Prävention arbeiten. Und da gibt es noch viel zu tun, so Andrea Röpke. "Man muss für die Frauen völlig neue Ausstiegskonzepte entwickeln", mahnt die Rechtsextremismus-Expertin. Denn Frauen sind der Szene oft lange treu. "Viele haben ihre Kinder, ihren alten Freundes- und Bekanntenkreis verlassen und kaum Alternativen. Und denen muss geholfen werden."
Quelle: ntv.de