"Anreize für Investitionen" EU-Länder einigen sich auf neue Schuldenregeln
20.12.2023, 18:03 Uhr Artikel anhören
Die Finanzminister von Frankreich und Deutschland, Bruno le Maire und Christian Lindner, hatten bereits kurz vor der Einigung eine gemeinsame Linie gefunden.
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Die Finanzminister der EU-Staaten verständigen sich auf eine Reform der europäischen Schuldenregeln. Die individuellen Situationen der Länder sollen stärker als bislang berücksichtigt werden. Die spanische EU-Ratspräsidentschaft teilt mit, durch die Einigung würden "Stabilität und Wachstum" gesichert.
Nach langem Ringen haben sich die Finanzminister der Europäischen Union auf eine Reform der gemeinsamen Schuldenregeln geeinigt. Das gab die spanische EU-Ratspräsidentschaft auf X bekannt. Durch die Einigung würden "Stabilität und Wachstum" gesichert. Die Reform soll unter anderem vorsehen, dass die jeweils individuelle Situation der Länder stärker als bislang berücksichtigt wird, wie mehrere Diplomaten nach einer Videokonferenz der Finanzminister sagten. Die Pläne müssen von den Ländern noch angenommen und mit dem Parlament verhandelt werden.
Die neuen Fiskalregeln für die EU-Mitgliedstaaten seien realistischer und wirksamer zugleich, schrieb Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP auf X. "Sie verbinden klare Zahlen für niedrigere Defizite und sinkende Schuldenquoten mit Anreizen für Investitionen und Strukturreformen." Die Stabilitätspolitik sei gestärkt.
Später sagte Lindner, niemand müsse fürchten, dass es in Europa eine uferlose Verschuldung geben könne. Er betonte, die alten Regeln seien nicht mehr realistisch gewesen. Schon vor der Corona-Pandemie seien die Staatsschulden gestiegen. Nun gebe es zum einen Sicherheitslinien, die zu niedrigeren Defiziten und sinkenden Schuldenquoten führten. Zugleich würden Anreize für eine Modernisierung der Wirtschaft und die Stärkung der Verteidigung gesetzt.
Der Einigung der 27 Länder war ein deutsch-französischer Vorschlag vorausgegangen, auf den sich Lindner und sein Amtskollege Bruno Le Maire am Dienstagabend verständigt hatten. Vor allem die beiden Wirtschaftsschwergewichte der EU standen sich in der Debatte lange gegenüber. Eine Einigung aller 27 Länder ohne eine Verständigung zwischen Paris und Berlin galt als nahezu ausgeschlossen.
Monatelanges Ringen
Nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen beinhaltete der Vorschlag der Nachbarländer wirksamere Sicherheitslinien für den Abbau von Haushaltsdefiziten und Staatsverschuldung als bisher. Zugleich sollten Investitionen und Strukturreformen der Mitgliedstaaten besser berücksichtigt werden. Le Maire schrieb am Dienstagabend auf X von hervorragenden Nachrichten für Europa, die gesunde öffentliche Finanzen und Investitionen in die Zukunft garantierten.
Italiens Finanzminister Giancarlo Giorgetti etwa äußerte sich nach der Einigung insgesamt zufrieden über den ausgehandelten Kompromiss. "Das sind realistischere Regeln als die, die heute gelten", heißt es in einer Erklärung des Ministers, die am Mittwochabend in Rom verbreitet wurde. "Es gibt einige positive Dinge und einige weniger positive. Italien hat jedoch viel erreicht."
Europas Finanzminister rangen monatelang um einen Kompromiss für eine Reform des sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakts. Grundlage war ein Vorschlag der Europäischen Kommission von April. Er sieht vor, hochverschuldeten Ländern wegen der Folgen der Corona-Krise und des Ukraine-Kriegs mehr Flexibilität beim Abbau von Schulden und Haushaltsdefiziten einzuräumen.
In den Hauptstädten waren die Vorschläge umstritten. Die Bundesregierung etwa forderte strenge und einheitliche Mindestvorgaben. Frankreich, nach Deutschland die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU, hatte sich hingegen klar gegen einheitliche Regeln ausgesprochen.
Länder müssen noch zustimmen
Die bislang geltenden Regeln schreiben vor, Schulden bei maximal 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zu begrenzen und Haushaltsdefizite unter 3 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts zu halten. Wegen der Corona-Krise sowie der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine sind sie vorübergehend bis 2024 ausgesetzt. Bislang müssen Staaten normalerweise fünf Prozent der Schulden, die über der 60-Prozent-Marke liegen, im Jahr zurückzahlen. Eine Rückkehr zu den alten Regeln gilt als Gefahr für die wirtschaftliche Erholung Europas. Zudem wurde das Regelwerk auch schon vor der Pandemie oft missachtet - auch von Deutschland.
Bevor die neuen Regeln in Kraft treten können, müssen sie noch von den Ländern angenommen und mit dem Europaparlament verhandelt werden. Es wird erwartet, noch vor der Wahl zum Europäischen Parlament die Gesetzgebung abschließen zu können. Die Europawahl findet Anfang Juni 2024 statt.
Quelle: ntv.de, mpe/dpa/AFP