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100-Jahrfeier in der Türkei Erdogan ehrt Atatürk nach Wutrede auf Israel

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Erdogan vor dem Atatürk-Mausoleum

Erdogan vor dem Atatürk-Mausoleum

(Foto: picture alliance / Anadolu)

Ob dem türkischen Republikgründer Erdogans hitzige Rede zum Krieg in Gaza gefallen hätte? Bei einer Kranzniederlegung in Atatürks Mausoleum kommt naturgemäß nur Erdogan zu Wort: Er versichert zum 100. Jubiläum der modernen Türkei, das Land sei in guten Händen.

Begleitet von scharfen Attacken ihres Präsidenten gegen Israel und den Westen begehen die Menschen in der Türkei den 100. Jahrestag der Gründung der Republik. Staatschef Recep Tayyip Erdogan besuchte am Vormittag das Mausoleum von Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk in Ankara und legte dort einen Kranz nieder. "Unsere Republik ist in Sicherheit und in guten Händen, so wie sie es nie zuvor gewesen ist", sagte der Staatschef direkt an Atatürk gerichtet. "Ruhe in Frieden." Noch am Vortag hatte Erdogan Israel als "Kriegsverbrecher" und den Westen als "Hauptverantwortlichen für die Massaker im Gazastreifen" bezeichnet.

Der Offizier Mustafa Kemal Atatürk hatte am 29. Oktober 1923 die Republik ausgerufen und damit die moderne Türkei als Nachfolgerin des Osmanischen Reiches begründet. Zu seinen weitreichenden Reformen gehörten die Trennung von Religion und Staat, die Stärkung der Rolle der Frauen und ein neues Alphabet.

In Anspielung auf das Datum ist für 19.23 Uhr Ortszeit (17.23 Uhr unserer Zeit) eine Rede Erdogans geplant. Vor dem Parlament in der Hauptstadt Ankara sowie in Istanbul soll mit Militärparaden an die Gründung der Republik erinnert werden. Auch sind ein Schiffskonvoi auf dem Bosporus, Drohnen-Manöver, Feuerwerke und die Erleuchtung emblematischer Gebäude wie der Hagia Sophia in Istanbul geplant. Atatürk hatte die Hagia Sophia einst zu einem Museum gemacht, Erdogan ließ sie aber im Jahr 2020 wieder in eine Moschee umwandeln.

"Westen will Kreuzzugs-Atmosphäre gegen Muslime"

Am Vorabend der Feierlichkeiten organisierte Erdogans islamisch-konservative Regierungspartei AKP auf dem ehemaligen Atatürk-Flughafen von Istanbul eine Großkundgebung "zur Unterstützung Palästinas". Der Staatschef nutzte die Kundgebung vor Hunderttausenden Teilnehmern zu scharfen Attacken gegen Israel und den Westen und stellte sich klar auf die Seite der im Gazastreifen herrschenden radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas. "Israel, vor der ganzen Welt erklären wir Euch zum Kriegsverbrecher", rief Erdogan. "Was in Gaza passiert, ist keine Selbstverteidigung, sondern ein Massaker." Israel zog daraufhin sein diplomatisches Personal aus der Türkei ab und erklärte, die Beziehungen würden nun neu bewertet.

An westliche Politiker gerichtet erklärte der türkische Staatschef auf der Kundgebung: "Ihr habt um die getöteten Kinder in der Ukraine getrauert, warum schweigt ihr angesichts der getöteten Kinder im Gazastreifen?" Der Westen sei "der Hauptschuldige für die Massaker im Gazastreifen". Jeder wisse, dass Israel keinen Schritt ohne den Westen unternehmen könne, fuhr Erdogan fort und warf den westlichen Staaten vor, "eine Kreuzzugs-Atmosphäre" gegen Muslime herbeiführen zu wollen.

Experte: "Erdogan musste Seite der Palästinenser ergreifen"

In den ersten Wochen nach dem Großangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hatte sich Erdogan zunächst zurückgehalten. Mitte der Woche erklärte er dann aber über die aus der Muslimbruderschaft hervorgegangene Hamas, diese sei keine Terrororganisation, sondern eine Gruppe von "Befreiern", die für ihr eigenes Land kämpften.

Die "Neutralität" habe Erdogan nicht aufrecht erhalten können wegen der traditionellen Positionierung Ankaras und der AKP an der Seite der Palästinenser, sagte der Politikwissenschaftler Bayram Balci von der Universität Sciences Po in Paris. Auch spiele eine Rolle, dass Jerusalem vier Jahrhunderte lang zum Osmanischen Reich gehörte.

Der Experte Soli Özel von der Istanbuler Kadir-Has-Universität warf die Frage auf, warum die Kundgebung ausgerechnet am Tag vor dem Atatürk-Gedenken angesetzt wurde. "Hätte das nicht noch bis kommende Woche Zeit gehabt?", fragte er. Özel wertete dies als Zeichen dafür, dass Erdogan Atatürk nicht allzu viel Ehre erweisen wolle, da er dessen laizistisches Erbe in zahlreichen Punkten bekämpfe.

Quelle: ntv.de, mau/AFP

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