Politik

Terrorexperte besorgt "Gibt eine große Gefahr durch IS-Rückkehrer"

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Die Türkei droht damit, mehr Anhänger des IS nach Europa zu schicken.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Türkei schickt mehrere Deutsche mit möglichem IS-Hintergrund zurück. Wie gefährlich sind sie? Terrorexperte Yan St-Pierre sagt im Interview: "Bei allen Extremisten ist die Gefahr groß, dass sie früher oder später rückfällig werden." Und er warnt: "Der IS ist immer noch sehr, sehr stark."

n-tv.de: Die Türkei schickt allein in dieser Woche zehn Deutsche mit möglichem IS-Hintergrund zurück in die Bundesrepublik. Wie brisant ist das für die Sicherheitsbehörden?

Yan St-Pierre: Es geht eine große Gefahr von IS-Rückkehrern aus, auch wenn natürlich jede Person ein anderes Bedrohungspotenzial hat. Die Kampferfahrung, die Kriegserfahrung machen sie gefährlich, so dass die Behörden genau gucken müssen: Lassen sich die Rückkehrer wieder integrieren? Oder haben sie sich schwerer Straftaten in Syrien oder im Irak schuldig gemacht und müssen vor Gericht?

Wie leicht ist es denn, IS-Kämpfer zu verurteilen?

Das ist extrem kompliziert. Sehr oft gilt in Prozessen die Arbeit von Nachrichtendiensten nicht als Beweis. Für den Generalbundesanwalt wird es extrem schwer, genau nachzuweisen, inwiefern diese Kämpfer oder vermutlichen IS-Mitglieder gefährlich sind und am Krieg teilgenommen haben. Es ist gut möglich, dass die Strafen mangels Beweisen recht gering ausfallen werden.

Wie problematisch ist es denn, dass IS-Kämpfer im Gefängnis andere radikalisieren?

Es ist tatsächlich eine Gefahr, dass sie Mithäftlinge radikalisieren. Und es kommt noch ein Problem hinzu: Teilweise verstärken sie im Gefängnis auch ihre Netzwerke.

Und was macht man mit denen, die nicht im Gefängnis landen, aber potenzielle Gefährder sind?

Es gibt natürlich polizeiliche Maßnahmen, die kurzfristig möglich wären. Aber allein um einen Gefährder rund um die Uhr zu beobachten, sind etwa 25 Beamte nötig. Schon bei einer Observierung über mehrere Monate oder Jahre ist das extrem problematisch und unter den aktuellen Bedingungen nicht zu leisten.

Mögliche Gefährder können also gar nicht richtig beobachtet werden?

Wenn wir elektronische Komponenten wie Fußfesseln oder eine andere Art von Beobachtungstechnologie einsetzen würden, wäre das einfacher. Aber dafür haben wir in Deutschland nicht die juristischen und technologischen Voraussetzungen. Außerdem gibt es genug Beispiele aus anderen Ländern, wo trotz dieser Maßnahmen Gefährder geflohen sind.

Wie viele Gefährder könnten jetzt überhaupt aus Syrien zurückkehren?

Zahlen sind extrem schwer zu benennen. Letztlich gehen die Behörden von bis zu 60 Gefährdern aus. Insgesamt sind noch mehr als 100 Deutsche in Syrien - unter ihnen 40 bis 50 ehemalige Kämpfer. Der Rest sind Frauen und Kinder.  

Welche Gefahr geht von den Frauen aus?

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Yan St-Pierre ist Geschäftsführer der Mosecon Group, die Regierungen in Sicherheits- und Terrorismusfragen berät.

Früher galten Frauen eher als Unbeteiligte. Aber mittlerweile wissen wir: Sie sind nicht nur traumatisierte Opfer. Oft nahmen sie auch am Kriegsgeschehen teil. Sie bekamen eine Kampfausbildung, etwa als Scharfschützinnen, sie mussten Sprengstoffgürtel tragen. Und das macht die Situation so kompliziert. Sie sind nicht einfach unschuldig, und ihre Kinder können nicht automatisch bei ihnen bleiben.

Was machen die Behörden dann mit den Kindern?

Die Kinder sind meist jünger als sechs Jahre. Sie brauchen psychologische Behandlung und müssen meist an andere Familienangehörige übergeben werden.

Etliche IS-Rückkehrer dürften auch desillusioniert sein und ihre Taten bereuen. Geht von ihnen keine Gefahr mehr aus?

Bei allen Extremisten ist die Gefahr groß, dass sie früher oder später rückfällig werden. Die Gefahr besteht ein Leben lang, wie bei Drogenabhängigen. Und es ist unmöglich, sie immer und überall zu beobachten. Deshalb ist die langfristige Betreuung von ihnen so wichtig. Diese darf sich nicht nur über ein halbes oder ein Jahr erstrecken, sondern ist tatsächlich eine lebenslange Aufgabe. Dafür müssen die Behörden gut kooperieren und der Staat die passenden Ressourcen zur Verfügung stellen.

Und, tut er das?

In Deutschland gibt es leider noch eine sehr große Kluft zwischen den aktuellen Ressourcen und dem, was nötig ist. Die Behörden wollen eine sofortige Lösung, doch leider ist die unmöglich. Die Erwartungen sind zu kurzfristig und kurzsichtig, und das macht die Terrorismusbekämpfung ineffizient.

Wie äußert sich diese Kurzfristigkeit?

Es gibt viele zivile Organisationen in Deutschland, die sich um eine wirksame und langfristig effektive Reintegration bemühen. Diese Organisationen brauchen mehr Unterstützung. Vor Kurzem erst wurden einer nichtstaatlichen Initiative, dem Zentrum für demokratische Kultur, die Gelder gekürzt. Das betraf auch den Verein Hayat, der sich um Islamisten kümmert. Jedes Jahr muss er um die Finanzierung kämpfen, was seine Arbeit enorm erschwert.

Nimmt denn die Bedrohung durch den IS ab? Immerhin gab es zuletzt weniger Anschläge in Europa, und erst im Oktober töteten US-Spezialkräfte IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi?

Der IS ist immer noch sehr, sehr stark: in Afrika, in der Sahel-Region, in Pakistan und Afghanistan, in Südostasien. Und auch in Syrien und im Irak ist er dabei, zurückzukehren. Er ist immer noch eine große und langfristige Bedrohung für Europa und Deutschland. Egal was passiert: Wir dürfen nicht fahrlässig werden.

Mit Yan St-Pierre sprach Gudula Hörr

Quelle: ntv.de

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