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Cem Özdemir im ntv.de-Interview "Ziel der Trump-Regierung ist ein Regime Change - auch in Deutschland"

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Cem Özdemir leitet derzeit zwei Bundesministerien - und will 2026 Ministerpräsident von Baden-Württemberg werden.

Cem Özdemir leitet derzeit zwei Bundesministerien - und will 2026 Ministerpräsident von Baden-Württemberg werden.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Trump-Regierung streicht Forschungsmittel in Milliardenhöhe. Die Stimmung in seinem Kabinett ist teils wissenschaftsfeindlich. "Sollten die Amerikaner ihre besten Wissenschaftler verprellen, müssen wir das für uns nutzen", sagt Cem Özdemir bei ntv.de. Der Grünen-Politiker leitet seit dem Ampel-Aus neben dem Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft zusätzlich das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Trump wolle "die liberale Demokratie im eigenen Land schreddern", ist Özdemir überzeugt. Deutschland und Europa müssten daher schnell "erwachsen werden". Seiner Partei rät Özdemir nach dem Abgang von Robert Habeck eine vorausschauende Personalpolitik - ihn selbst zieht es nach Baden-Württemberg.

ntv.de: Herr Özdemir, wir sprechen im Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Sie nach dem Ampel-Aus zusätzlich übernommen haben. Hätten Sie sich als alter Transatlantiker eine derart wissenschaftsfeindliche US-Regierung vorstellen können?

Cem Özdemir: Europa konnte gewarnt sein, dass Donald Trump umsetzt, was er ankündigt. Die US-Regierung verfolgt einen disruptiven Ansatz, der die liberale Demokratie im eigenen Land schreddern möchte. Die Trump-Administration erhebt zudem einen imperialen Anspruch, wie wir auch an Elon Musks Wahlkampfeinmischung zugunsten der AfD sehen konnten. Das sind Vernetzungsbemühungen des internationalen Irrsinns. Die Trump-Maschinerie unterstützt alle korrupten Autokraten dieser Welt. Das Ziel der Trump-Regierung ist ein Regime Change - auch in Deutschland, in der Europäischen Union, in Taiwan, in Südkorea, in Japan, in Neuseeland, in Australien - überall, wo die Menschen in einer liberalen Gesellschaft leben.

Sie klingen noch alarmierter als andere Bundespolitiker.

Ich habe nun einmal nicht den Eindruck, dass alle den Ernst der Lage wirklich verstanden haben. Autoritäre halten Wort. Sie wollen ihre radikalen Forderungen umsetzen. Das sollten sich mit Blick auf die AfD alle hinter die Ohren schreiben.

Die scheidende Ampel-Regierung hat China als "Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale" eingestuft. Müssen wir die USA jetzt gleichermaßen kategorisieren?

Die USA als Ganzes natürlich nicht. Das Land ist im Gegensatz zur Trump-Administration nach wie vor ein Wertepartner mit den Bundesstaaten, in denen auch einzelne republikanische Regierungspolitiker, vor allem aber die US-Demokraten sich der transatlantischen Tradition verpflichtet sehen. Wir sollten mit diesen Bundesstaaten erst recht zusammenarbeiten. Das gilt auch für mich als Wissenschaftsminister.

Das heißt?

Ich kann nur alle ermutigen, mit den wissenschaftlichen Institutionen und Hochschulen der USA zusammenzuarbeiten. Darüber haben wir uns auch mit den Spitzen der deutschen Wissenschaftseinrichtungen verständigt. Wir müssen solidarisch sein und deutlich machen: Wenn Spitzenforscher in den USA keine Möglichkeiten mehr für sich sehen, frei dort zu forschen, sind sie in Deutschland willkommen. Wir brauchen hier die besten Köpfe der Welt, ob es um Gesundheitsforschung, Klimaforschung oder Hightech geht. Die dürfen die Geschäftsmodelle der Zukunft gerne bei uns entwickeln. Es geht mir nicht um brain drain, sondern um brain circulation, also: keine bloße Abwerbung, sondern Angebote zum Austausch auf Augenhöhe, quasi ein Talentkreislauf für eine freie Forschung.

Das vom Impfgegner Robert J. Kennedy übernommene Gesundheitsministerium streicht vier Milliarden Dollar Forschungsmittel. Zudem sollen Mittel für Klimaforschung, Genderstudien und andere Gesellschaftswissenschaften gestrichen werden. Kann Deutschland hier profitieren?

Die Gesundheitsbranche ist eine enorme Wachstumsbranche. Wir reden auch über Schlüsseltechnologien und Cybersicherheit. Es ist klar: Europa muss technologisch souveräner werden. Wir müssen aus uns selbst heraus Stärke entwickeln. Grundlage dafür ist exzellente Forschung.

Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Patrick Cramer, hat die USA als neuen Talentpool für die deutsche Forschungslandschaft bezeichnet. Gehen Sie da mit?

Lange Zeit sind die besten Wissenschaftler und ambitionierten Gründer von Europa in die USA gegangen. Das können wir versuchen umzudrehen. Sollten die Amerikaner ihre besten Wissenschaftler verprellen, müssen wir das für uns nutzen. Deutschland ist heute bereits nach den USA wichtigstes Zielland für internationale Wissenschaftler. Das wollen wir stärken und weiter ein Leuchtturm für die freie Wissenschaft sein. Wir haben aber keinen Grund zu Überheblichkeit.

Weil?

Regionen, in denen 40 Prozent der Menschen AfD wählen, sind für Forschende und ihre Familien, denen ihr Migrationshintergrund anzusehen ist, nicht attraktiv. Auch beim Thema Visa haben wir Nachholbedarf, weil viele Forschende in den USA aus anderen Ländern kommen. Da sind die USA bislang besser aufgestellt als wir. Hinzukommt die Bürokratie: Da braucht der Wissenschaftsstandort Deutschland ein Update. Und es geht auch um attraktive Rahmenbedingungen für Forschende: Kinderbetreuung, Jobmöglichkeiten für die Partner, Wohnungsmarkt. Da geht es um ganz praktische Dinge. Wenn wir im Wettbewerb um die besten Köpfe an der Spitze sein wollen, müssen wir da besser werden.

China hat vor Jahren begonnen, für viel Geld seine besten Wissenschaftler aus den USA zurückzuholen und seither einige Exzellenz-Institute hochgezogen. Eine Blaupause für Deutschland?

Unser Vorteil im Vergleich zu China ist Freiheit. Ich bin überzeugt: Exzellenz entsteht dort, wo der Geist frei ist. Zudem bieten wir exzellente Forschungseinrichtungen, die weltweit höchstes Ansehen genießen. Dank des Pakts für Forschung und Innovation wachsen die Mittel für unsere Forschungseinrichtungen stetig an. Eine neue Bundesregierung sollte noch mehr investieren. Forschung sichert Wohlstand von morgen.

Was kann Ihre Nachfolgerin oder Ihr Nachfolger unternehmen, damit Deutschland Talente herüberholen kann?

Es braucht das Signal: Wir wollen die Zusammenarbeit um Washington herum ausweiten. Dafür muss man Angebote machen, etwa in Form von Stipendien. Das können auch temporäre Angebote sein, die auf die Bedürfnisse der unter Druck stehenden Wissenschaftler zugeschnitten sind.

Exzellente Wissenschaftler bringen es in Deutschland ohne einen Cent Studiengebühren vom Schulabschluss bis zum Doktor. Das aus ihren Forschungen abgeleitete Geschäftsmodell entwickeln sie dann oft in den USA.

Ja, im Vergleich zu den USA fehlt es hier an Risikokapitalgebern. Selbst wenn wir es nun in einem gemeinsamen Schulterschluss - im Moment ist da ja einiges in Bewegung - noch schaffen sollten, neue finanzielle Spielräume für dringend notwendige Investitionen zu mobilisieren - wird es nicht reichen, um ausreichend Risikokapital vom Staat zu mobilisieren. Es kommt also auch auf mehr privates Kapital an. Dieses Geld ist in Deutschland vorhanden, wir müssen es nur richtig heben. In Baden-Württemberg wird gerade gezeigt, wie das geht: mit einer Art Private-Public-Partnership zwischen einem Max-Planck-Institut und der Schwarz-Gruppe.

Welche Rolle kann das Bundesministerium für Bildung und Forschung dabei künftig spielen?

Bei vergangenen Regierungsbildungen haben sich die Parteien wie die Kesselflicker um die vermeintlich großen Häuser gestritten. Und ganz zum Schluss erst kam immer die Frage: Wer macht Bildung und Forschung? Das ist ein Alarmsignal für eine Republik, die im Schlafwagen aufs Abstellgleis fährt. Diesem Ministerium sind die besten Wissenschaftseinrichtungen der Welt zugeordnet. Ich kann nur empfehlen, dieses Haus zu stärken. Ich denke konkret an das Schlüsselthema Künstliche Intelligenz. In diesem Ministerium wird Zukunft gemacht.

Baden-Württemberg, wo Sie 2026 Ministerpräsident werden wollen, ist seit Jahrzehnten Standort mehrerer US-Militärbasen. Die GI’s haben das Land auch kulturell geprägt. Bleiben die USA ein kultureller Fixpunkt trotz Trump?

Wir sollten nie vergessen, dass amerikanische Soldaten im Kampf gegen Nazi-Deutschland für unsere Freiheit gestorben sind. Es waren die USA, die Freiheit, Demokratie und Wohlstand nach Deutschland gebracht haben.

Das war ein anderes Amerika.

Aber dieses Amerika sollten wir hochhalten und diesem Amerika die Treue halten, bis die Demokraten und die vernünftigen Republikaner, die es hoffentlich noch gibt, den Rechtsstaat zurückerkämpft haben. Darauf können Deutschland und Europa aber nicht warten. Wir müssen unsere eigene Verteidigung so stärken, damit Putin weiß: Jede Überschreitung der Nato-Grenzen hätte für Russland drastische Folgen. Wir müssen die Cyberabwehr verbessern und die Resilienz der Infrastruktur stärken. Im Vergleich dazu war das Sondervermögen ein laues Lüftchen.

Weil die USA Europa keinen zuverlässigen Schutz mehr bieten?

Wir müssen endlich erwachsen werden. Für mich ist klar: Bei allen Unterschieden zu SPD, CDU und CSU verbindet uns das gemeinsame Interesse, dass Deutschland und Europa die liberale Demokratie verteidigen. Das sollten wir gemeinsam betonen. Das kostet uns was. Aber es kostet uns so viel mehr, wenn wir nicht in unsere Verteidigung investieren, wenn wir die Ukraine nicht mehr unterstützen: an erster Stelle unsere Freiheit. Und es bedroht auch unseren Wohlstand, wenn wir in Sicherheitsfragen erpressbar sind, weil wir in den drohenden Handelskonflikten kostspielige Kompromisse schließen müssen. Im Übrigen liegt in einer modernen Verteidigungswirtschaft, die sich robust aufstellt, auch eine Chance für den Standort Deutschland. Wir sollten künftig in der Dual-Use-Forschung, also der Forschung für zivile Zwecke mit militärischem Anwendungspotenzial, mehr Chance als Gefahr sehen.

Robert Habeck zieht sich aus der ersten Reihe der Grünen zurück. Wie bewerten Sie diese Entscheidung?

Das ist ein herber Verlust für uns. Ich bin aber sehr froh, dass er sein Bundestagsmandat wahrnehmen wird. Die Grünen haben Robert Habeck sehr viel zu verdanken. Er hat erst als Bundesvorsitzender und dann als Vize-Kanzler viel dazu beigetragen, dass die Grünen sich in die gesellschaftliche Mitte weiter geöffnet haben und sich die Partei ihren eigenen Widersprüchen gestellt hat. Dieser Weg, der sich gesellschaftlichen Notwendigkeiten stellt und die Perspektiven weitet, statt zu verengen, muss weiter Richtschnur für unsere Partei sein.

Was folgt aus Habecks Rücktritt aus der ersten Reihe der Grünen?

Die Partei ist gut beraten, wenn sie bei den zu besetzenden Funktionen nicht nur die innere Parteilogik bedenkt, sondern auch die Außenwirkung. Unsere Redezeit im Bundestag ist weniger. Umso wichtiger ist es, die exponierten Positionen mit Weitsicht so besetzen. Als Baden-Württemberger habe ich von Winfried Kretschmann gelernt: Eine gute Opposition ist eine Regierung im Wartestand und wenn sie es besonders gut macht, regiert sie sogar ein Stückweit mit. Das muss unser Anspruch sein. Für mich spielt die Musik künftig in Baden-Württemberg, aber ich werde meine Partei im Bund weiter nach Kräften unterstützen.

Mit Cem Özdemir sprach Sebastian Huld

Quelle: ntv.de

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