"Immer die Freiheit wählen" Johnson vergleicht Kampf der Ukrainer mit Brexit
19.03.2022, 21:52 Uhr
Nimmt einen kleinen Umweg über die Ukraine, um sich selbst zum Helden zu erklären: Der britische Premier Johnson in Blackpool.
(Foto: REUTERS)
Der Freiheitskampf der Ukrainer gegen Russland inspiriert die ganze Welt. Der britische Premier Johnson vergleicht ihn allerdings mit einer Heldentat, die er sich selber zurechnet: Dem Brexit. Das Echo ist vernichtend, sogar in der eigenen Partei kommt das Eigenlob nicht gut an.
Der britische Premierminister Boris Johnson sieht Parallelen zwischen dem Kampf der Ukrainer gegen russische Dominanz in ihrem Land und dem EU-Austritt Großbritanniens. "Ich weiß, dass es der Instinkt der Menschen in diesem Land ist wie auch der Menschen in der Ukraine, immer die Freiheit zu wählen", sagte Johnson bei der Frühjahrskonferenz seiner konservativen Partei im nordwestenglischen Blackpool.
Als Beispiel für den Vergleich nannte er unter anderem das knappe Votum der Briten für den EU-Ausritt im Jahr 2016 mit 52 Prozent der Stimmen. "Als die Menschen in so großer Zahl für den Brexit stimmten, taten sie das meiner Meinung nach nicht, weil sie feindselig gegenüber Ausländern waren, sondern weil sie frei sein wollten", sagte der Premier und fügte nach einer längeren Pause hinzu: "...Dinge anders zu tun und in der Lage zu sein, in diesem Land selbst zu bestimmen".
Der Vergleich sorgte innerhalb und außerhalb Großbritanniens für Kopfschütteln und Empörung. Viele Kritiker führten an, dass die Ukraine als Reaktion auf den russischen Angriff einen dringenden Antrag auf sofortige Aufnahme in der EU gestellt hatte. Johnsons Brexit-Vergleich legte dagegen nahe, dass er die Briten aus einer Art EU-Tyrannei befreien musste.
"Beleidigt den gesunden Menschenverstand"
Donald Tusk, ehemaliger Präsident des Europäischen Rates und Ex-Premierminister Polens, sagte, Johnsons Worte würden das ukrainische Volk verärgern: "Boris Johnson vergleicht den Kampf der Ukrainer mit dem britischen Volk, das für den Brexit stimmt. Boris, deine Worte beleidigen die Ukrainer, die Briten und den gesunden Menschenverstand", zitierte der "Guardian" den polnischen Politiker.
Auch hochrangige Konservative schlossen sich der Verurteilung an. Lord Gavin Barwell, ein ehemaliger Tory-Abgeordneter, twitterte sarkastisch: "Abgesehen davon, dass die Teilnahme an einem freien und fairen Referendum in keiner Weise damit vergleichbar ist, sein Leben zu riskieren, um sein Land gegen eine Invasion zu verteidigen, und abgesehen von der peinlichen Tatsache, dass die Ukrainer für die Freiheit kämpfen, der EU beizutreten, trifft dieser Vergleich voll und ganz zu."
Der ehemalige Tory-Kabinettsminister und stellvertretende Ex-Premierminister Lord Heseltine sagte gegenüber dem "Observer": "Boris Johnson kann sich seiner Verantwortung für die Brexit-Katastrophen nicht durch eine zynische Ausbeutung der unglaublichen Tapferkeit des ukrainischen Volkes entziehen. Millionen von Konservativen werden sich schämen für einen so eklatanten Versuch, die Schrecken, die wir jeden Tag sehen, zum Vorteil der Partei auszunutzen."
"Noch keine Einladung zum EU-Gipfel bekommen"
Süffisant wies der "Guardian" darauf hin, dass die Downing Street sich gleichzeitig bitter beklagt habe: Trotz der Begeisterung des Premiers für eine Teilnahme am kommenden EU-Gipfel in Brüssel, sei er noch immer nicht eingeladen worden. Am Donnerstag wollen die Staats- und Regierungschefs der EU eine neue Sicherheitsstrategie besprechen, die auch die militärische Unabhängigkeit betreffen soll.
Die britische Außenministerin Liz Truss ließ sich beim Tory-Frühjahrstreffen ebenfalls zu fragwürdigen Vergleichen hinreißen. Bei ihrer Rede in Blackpool nannte sie Großbritanniens Einsatz für kürzlich aus iranischer Haft freigekommene britisch-iranische Doppelstaatler in einem Atemzug mit den britischen Versuchen, das Nordirland-Protokoll neu zu verhandeln. Das Protokoll soll den Frieden in der ehemaligen Bürgerkriegsprovinz sichern und wurde als Teil des Brexit-Abkommens von Großbritannien ausgehandelt und ratifiziert. In einem Interview der "Times" drohte Truss erneut damit, das Protokoll teilweise außer Kraft zu setzen. Für diesen Fall wird ein Handelskrieg zwischen Großbritannien und der EU befürchtet.
Quelle: ntv.de, mau/dpa