Teherans Arm reicht bis Berlin "Onkel, sie wissen von all deinen Aktivitäten"


Ghazaleh Zarea besuchte ihren Onkel 2019 in Berlin.
Das Mullah-Regime lässt Opposition und Presse im Iran kaum Luft zum Atmen. Auch in Deutschland sind missliebige Menschen nicht sicher vor Einschüchterungsversuchen: Einem Berliner Journalisten wird gedroht, er bangt um seine Nichte.
Mitte August hätten sie sich wiedersehen sollen, der Flug war bereits gebucht. Aber Ghazaleh Zarea wird knapp einen Monat bevor sie nach Berlin zu ihrem Onkel reisen wollte, im west-iranischen Khorramabad verhaftet. 23 Tage lang sitzt sie in Einzelhaft, kommt erst wieder frei, nachdem ihre Eltern deren Haus als Kaution hinterlegt haben. Das alles erzählt Zareas Onkel im Gespräch mit ntv.de.
Farhad Payar spricht bestimmt und ohne viel Zögern. Falls er verunsichert ist, zeigt er das nicht. Während seine 47-jährige Nichte in Haft sitzt, bekommt Payar wunderliche Nachrichten von ihr: Über Whatsapp fragt Zarea plötzlich nach Geld. "Da war mir klar, dass das ihre Verhörer sind", sagt der Journalist. Ihm sei in diesem Moment auch klar geworden, dass die iranischen Behörden belastbares Material suchten, um es seiner Nichte anzuhängen - Finanzierung aus dem Ausland etwa.
Payar schreibt weiter mit Zareas Verhörern. Sie geben sich nicht zu erkennen, jede Nachricht beginnt gleich: "Onkel, sie wissen von all deinen Aktivitäten." "Man wirft mir vor, mit dir zusammenzuarbeiten", schreibt die vermeintliche Nichte. "Onkel, pass auf dich auf", warnt sie Payar. Der Onkel sitzt in Deutschland und versteht. In einer Diktatur gebe es Codes für indirekte Drohungen, sagt der Exil-Journalist.
Macht wächst über Landesgrenzen hinweg
Payar ist ein stattlicher Mann mit Glatze. Er lebt seit 1980 in Berlin, studiert dort erst Politikwissenschaften, wird dann Journalist, arbeitet für die Deutsche Welle. 2019 besucht ihn seine Nichte in Berlin. Er zeigt ihr die Redaktion der Deutschen Welle, sie machen ein Foto als Andenken. Das wird ihr später angelastet: Ihre Kooperation mit der Deutschen Welle werde ihr zum Verhängnis, schreibt Zarea angeblich aus der Haft. Aber sie habe nie für die Deutsche Welle geschrieben, nie auch nur irgendeine Information weitergeleitet, sagt Payar. Dennoch wurde Ghazaleh Zarea am 13. Januar 2024 zu drei Jahren Haft verurteilt. Unter anderem wegen "Zusammenarbeit mit antirevolutionären Netzwerken im Ausland".
Zarea kann Widerspruch einlegen gegen das Urteil. Ausgang ungewiss. Sicher sei nur, seine Nichte könne jetzt jede Nacht abgeholt und eingesperrt werden, sagt Payar. Er weiß, dass er keine Schuld an der Verhaftung seiner Nichte trägt und auch keine Verantwortung für sie hat. Sie sei schließlich kein Kind mehr, sagt Payar. Aber wenn er über sie spricht, spricht Payar leiser, wägt seine Worte länger ab. Als er 19 war, kam Zarea zur Welt, erzählt er. Er habe sie in seinen Händen gehalten, noch am Tag der Geburt.
Das iranische Regime will, dass sich Menschen wie Payar verantwortlich fühlen für das Schicksal ihrer Liebsten, die in der Heimat stellvertretend drangsaliert werden. So üben die Machthaber ihren Einfluss aus, auch über die Landesgrenzen hinweg. Sie bieten Anreize, zu schweigen, sich zurückzuhalten.
Wieder wird der Protest brutal zurückgeschlagen
Wenn er im Iran anruft, kann Payar mit Zareas Mutter nicht offen sprechen. Das Telefon werde wahrscheinlich abgehört, sagt er. Payar vertraut darauf, dass seine Schwester ihn versteht, dass sie weiß, dass er nicht anders kann. Dass er beobachten muss und schreiben, über das, was er sieht. "Und da kann man im Iran nicht viel Gutes beobachten", sagt Payar - abgesehen von der wunderbaren Landschaft und den lieben Menschen. Es sei wirklich traurig, was im Iran geschehe.
Payar erlebt derzeit eine Art Déjà-vu. Wieder ist eine Protestwelle durch den Iran geschwappt, Menschen haben sich gegen das Regime erhoben. Und Teheran zieht die Daumenschrauben an, bedrängt und bestraft Menschen, die sich einsetzen für Veränderungen. 2009 war das so, als die oppositionelle "grüne Bewegung" den Ausgang der Präsidentschaftswahlen anzweifelte. Bei Unruhen kamen Dutzende Menschen ums Leben, Tausende wurden verhaftet.
2022 dann wieder: Nachdem Jina Mahsa Amini in Polizeihaft gestorben war, kam es zu landesweiten Protesten. Viele Menschen im Iran witterten Morgenluft, das Regime schlug umso brutaler zurück. Hunderte wurden hingerichtet, Zehntausende festgenommen und teilweise zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt.
Angst führt zu Abschottung
Auch außerhalb der Landesgrenzen sind Regimegegner nicht sicher: Anfang 2023 wurde der deutsch-iranische Exil-Oppositionelle Jamshid Sharmahd zum Tode verurteilt. Er wurde zuvor wohl aus Dubai entführt und nach Teheran verschleppt. Nach Angaben des Verfassungsschutzes versuchen die iranischen Nachrichtendienste selbst in Deutschland oppositionelle Strukturen auszuspähen, zu unterwandern und deren Protagonisten einzuschüchtern.
In diesem Zusammenhang sind laut Bundesregierung seit 2018 gegen 24 mutmaßliche iranische Agentinnen und Agenten Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Aber: Die Angst vor der geknackten Wohnungstür, den Mitlesern auf Whatsapp oder auch dem körperlichen Übergriff führe zur Abschottung, berichten Betroffene. Der Protest verliert so seine Effektivität. Menschen wie Farhad Payar verlieren so den Kontakt zu ihren Liebsten im Iran.
Schon nach der ersten großen Protestwelle spürte er in Berlin den Zorn Teherans. Eine iranische Schauspielerin, mit der Payar zusammengearbeitet hatte, landete dafür 2011 im Gefängnis. Von ihr erfuhr Payar, dass die iranischen Nachrichtendienste auch über ihn eine Akte führten. Seitdem sei er deshalb nicht mehr im Iran gewesen, sagt er.
"Solange keine guten Nachrichten aus dem Iran kommen …"
Mehr als ein Jahrzehnt später spülen Payar erneut die Ausläufer einer iranischen Protestwelle um die Füße: Das Regime habe es mit seinen Strafaktionen nie nur auf eine Person abgesehen, sagt er. Es wolle seine Nichte, eine umtriebige Sozialarbeiterin, zur Passivität zwingen, sicher. Aber sie lebe in einer kleinen Stadt, ihre Verurteilung sei eine Warnung an andere. "Das Regime möchte Frauen am liebsten am Herd sehen", sagt Payar. Nicht zuletzt ginge es darum, Journalisten wie ihn einzuschüchtern. Bei ihm persönlich bewirke Teheran damit allerdings das Gegenteil.
Bis zur Verurteilung Zareas hatte Payar über die Sache geschwiegen, auch weil ihre Eltern bis zuletzt auf einen Freispruch gehofft hatten. "Das lässt mich natürlich nicht kalt", sagt Payar. Die Verhaftung seiner Nichte habe ihn vielmehr motiviert, seine journalistische Aufgabe noch ernster zu nehmen, mehr zu berichten. Er werde sich dem Druck nicht beugen.
Das habe er auch den Verhörern seiner Nichte zu verstehen gegeben, als sie mit ihm über Zareas Handy kommuniziert hatten, sagt Payar. Er sei als Journalist verpflichtet, über die Ereignisse im Iran zu berichten und nichts zu erfinden, nichts zu beschönigen. "Und solange keine guten Nachrichten aus dem Iran kommen, kann ich keine guten Nachrichten verbreiten", sagt Payar.
Von seiner Nichte sind diese guten Nachrichten erst einmal nicht zu erwarten. Nach den Protesten 2009 veröffentlichte der Spiegel "ein Bild vom Leben in der Islamischen Republik". Vier Iraner und Iranerinnen notierten dafür eine Woche lang ihre Sorgen und Hoffnungen. Eine davon war Ghazaleh Zarea. Sie schrieb damals: "Man kann hier gut leben, solange man nicht nachdenkt."
Quelle: ntv.de