Israel jagt Hamas-Führer Sinwar "Osama bin Laden des Gaza" soll in Chan Junis sein
10.12.2023, 12:39 Uhr Artikel anhören
Es soll nur "eine Frage der Zeit" sein, bis man Sinwar findet.
(Foto: dpa)
Die Stadt Chan Junis im südlichen Teil des Gazastreifen ist bereits umstellt. Nun ist klar, dass es die israelische Armee offenbar auf den Hamas-Führer Jihia al-Sinwar abgesehen hat. Als Planer des Massakers in Israel vom 7. Oktober steht er ganz oben auf der Abschussliste.
Der Hamas-Führer Jihia al-Sinwar hat sich den Zugriffen des israelischen Militärs bislang entziehen können. Der für den Terrorangriff am 7. Oktober verantwortliche Sinwar sei zu Beginn der Kämpfe aus dem nördlichen Gazastreifen geflohen, indem er sich in einem humanitären Konvoi versteckt hat. Das berichtet der israelische Sender Kan TV unter Berufung auf einen israelischen Beamten, der mit den Details vertraut ist. Der 61-Jährige fuhr demnach in Richtung Süden und halte sich nun in Chan Junis auf.
Der Bericht zufolge soll sich Sinwar in einem der Tunnel unter der Stadt befinden. Israels Truppen haben Chan Junis nach eigenen Angaben bereits umstellt. Bewohner dort berichteten von Panzergeschossen und heftigen Feuergefechten zwischen den israelischen Streitkräften und der Hamas in der Nacht sowie von einer Reihe von Luftangriffen.
Armeesprecher Daniel Hagari erklärte, Terroristen und Hamas-Kommandeure, die sich ergeben haben, hätten ausgesagt, dass sich ihre Kämpfer in einer "schwierigen Lage" befänden und die Hamas-Führung unter Sinwar die "Realität leugnet". Keine dieser Angaben kann von unabhängiger Seite überprüft werden.
Drahtzieher des Massakers
Sinwar wird in Israel mit dem ehemaligen Anführer des Terrornetzwerkes Al-Kaida, Osama bin Laden, verglichen - in Anspielung auf den Drahtzieher der Terroranschläge in New York vom 11. September 2001. Der Hamas-Anführer in Gaza steht ganz oben auf der Abschussliste der Armee. Der 1962 in einem Flüchtlingslager von Chan Junis geborene Sinwar gilt gemeinsam mit Mohammed Deif, Kommandeur des bewaffneten Arms der Hamas, als Planer des in der Geschichte Israels beispiellosen Massakers vom 7. Oktober, in dessen Folge rund 1200 Israelis getötet und rund 240 Menschen nach Gaza verschleppt wurden.
Sinwar, ein drahtiger, bärtiger Mann mit kurz geschorenem weißen Haar und tief liegenden Augen unter buschigen dunklen Brauen, gehört zur Gründergeneration der Hamas. In den Anfangsjahren der islamistischen Bewegung war er für den Kampf gegen mutmaßliche Kollaborateure mit Israel in den eigenen Reihen zuständig. Dabei ging er so brutal vor, dass er als "Schlächter von Chan Junis" bekannt wurde. Wegen des Mordes an vier mutmaßlichen Kollaborateuren und zwei israelischen Soldaten verbrachte er mehr als zwei Jahrzehnte in israelischer Haft. Die nutzte er, um Hebräisch zu lernen und den Feind zu studieren.
2011 kam Sinwar frei - als einer von mehr als 1000 palästinensischen Häftlingen im Gegenzug für den israelischen Soldaten Gilad Schalit. Im selben Jahr wurde Bin Laden in Pakistan von US-Spezialkräften getötet. Wie dieser, so versichert Israels Regierung, sei auch Sinwar ein todgeweihter Mann.
Sinwar nicht die einzige Führungsfigur
Nachdem israelische Soldaten das Haus des Gaza-Chefs in Chan Junis umstellt hatten, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Mittwochabend: Jihia al-Sinwar könne fliehen, "aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn finden". Doch selbst wenn die israelische Armee Sinwar aufspüren und töten sollte, bedeute das nicht notwendigerweise, dass es die Hamas zu Fall bringen werde, sagte Harel Chorev vom Moshe Dayan Center für Nahost- und Afrikastudien an der Tel Aviv University dem US-Sender CNN. Grund sei, dass Sinwar zwar eine Schlüsselrolle innerhalb der Hamas habe, aber nicht die einzige Führungsfigur sei.
"Die Hamas kann auch dann noch gestürzt werden, wenn Sinwar am Leben bleibt", so Chorev. Hierzu bedürfe es der Zerstörung einer "kritischen Masse" an Machtzentren. Sinwar sei nur eines dieser Zentren. Die Tageszeitung "Jediot Achronot" schrieb am Freitag, Israel habe noch nicht den Punkt erreicht, an dem die Hamas "genug" sage. Dies könne mit der Tötung von Leuten wie Sinwar oder Deif geschehen, "aber es ist noch nicht geschehen". Nur, indem die Armee den militärischen Druck in Sinwars Geburtsstadt Chan Junis aufrechterhalte, könne die Hamas dazu gebracht werden, einen weiteren Deal zur Freilassung weiterer Geiseln einzugehen, schrieb das Blatt.
Quelle: ntv.de, mba/dpa