Dekret für besetzte Gebiete Putins Kriegsrecht zielt auch auf Russen
19.10.2022, 18:09 Uhr
Russische Rekruten trainieren für die Front: Das neue Kriegsrecht für die besetzten Gebiete erlaubt dem Kreml auch Mobilisierungen und Grenzkontrollen in allen Regionen Russlands.
(Foto: picture alliance/dpa/ZUMA Press Wire)
Formal verhängt der russische Präsident das Kriegsrecht nur für die besetzten Gebiete in der Ukraine. Experten befürchten allerdings Folgen für alle Regionen Russlands. So könnten ab sofort Reisebeschränkungen für junge Männer greifen, die sich dem Frontdienst entziehen wollen. Der Kreml wiegelt sofort ab.
Mit Blick auf den genauen Text des von Wladimir Putin verhängten Kriegsrechts in den besetzten Gebieten haben russische Experten darauf hingewiesen, dass davon im Grunde theoretisch alle Regionen Russlands in der einen oder anderen Weise betroffen sein könnten. Kremlsprecher Dmitri Peskow trat sogleich Befürchtungen entgegen, Russland werde jetzt seine Grenzen für die eigenen Bürger schließen. Das sei nicht geplant, sagte er der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti. Auch Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin betonte, das Kriegsrecht in den vier annektierten Gebieten werde das Alltagsleben der Hauptstädter "derzeit" nicht beeinflussen.
Der russische Präsident Putin nannte seinen als "militärische Spezialoperation" bezeichneten Angriff auf die Ukraine zwar immer noch nicht Krieg. Er verhängte aber in den vier annektierten Regionen den Kriegszustand - unter anderem mit der Begründung, dass vor der Annexion dort ja bereits das ukrainische Kriegsrecht gegolten habe. Damit gilt in den besetzten Gebieten ab sofort russisches Kriegsrecht, was mit massiven Einschränkungen für die Bürgerrechte einhergeht. So gelten etwa eine Sperrstunde und Militärzensur; es werden Checkpoints eingerichtet und Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt.
Der russische Menschenrechtsanwalt Pawel Tschikow erklärte, dass auch Festnahmen von bis zu 30 Tagen möglich seien, die Beschlagnahme von Eigentum, die Internierung von Ausländern sowie grundsätzlich auch Reisebeschränkungen für russische Staatsbürger ins Ausland. Auch die Zwangsarbeit in Rüstungsbetrieben soll möglich sein. Tschikow und andere Experten hoben hervor, dass im Zusammenhang mit dem Kriegsrecht im Grunde alle Regionen Russlands in der einen oder anderen Weise betroffen sein könnten.
Kiew gelassen: Lizenz zum Plündern
Der Kriegszustand zieht Kremlangaben zufolge nach sich, dass die Bewachung von militärischen und anderen staatlichen Objekten weiter verschärft wird. Besonders geht es demnach um die Sicherung der öffentlichen Ordnung, also um den verstärkten Schutz etwa von Verkehrs- und Kommunikationswegen sowie Energieanlagen. Zudem können Evakuierungen angeordnet werden, um Menschen in sichere Regionen umzusiedeln.
Bürger könnten auch zur Unterstützung bei Verteidigungsaufgaben herangezogen werden, um etwa Kriegsschäden zu beseitigen, führt der Jurist Tschikow weiter aus. Eingeschränkt werde nicht zuletzt die Arbeit politischer Parteien und das Versammlungs- oder Streikrecht. Menschenrechtler befürchten, dass sich die schwierige Lage in den betroffenen ukrainischen Regionen, die schon bisher unter Kriegsrecht lebten, weiter verschärft, weil die Behörden größere Machtbefugnisse besitzen.
Die ukrainische Regierung reagierte gelassen auf die jüngsten Schritte Putins. Präsidentenberater Mychailo Podoljak erklärte: "Das von Russland verhängte Kriegsrecht in besetzten Gebieten bedeutet nichts weiter als eine Pseudo-Legitimierung für die Plünderung ukrainischen Eigentums." Für die Ukraine ändere dies nichts. "Wir werden mit der Befreiung und Beendigung der Besetzung weitermachen", sagte Podoljak.
Quelle: ntv.de, mau/dpa