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Umfrage spricht gegen Scholz SPD würde mit Kanzlerkandidat Pistorius zulegen

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Pistorius landet beim vorweihnachtlichen Truppenbesuch in Litauen.

Pistorius landet beim vorweihnachtlichen Truppenbesuch in Litauen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Sollte die in Umfragen darbende SPD ihren Kanzlerkandidaten für 2025 tauschen? Überlegungen, ob die SPD mit Boris Pistorius besser fährt als mit dem unbeliebten Olaf Scholz, erhalten durch eine RTL/ntv-Umfrage neue Nahrung: Erstmals bemisst Forsa den "Pistorius-Effekt".

Die SPD-Spitze findet sich in einer schwierigen Lage wieder: Sie muss einen Kanzler verteidigen, der nicht nur weite Teile der Bevölkerung verloren hat, sondern auch einen wachsenden Teil seiner eigenen Partei. Letzteres zumindest geht aus Berichten von "Spiegel", "Handelsblatt" und "Süddeutscher Zeitung" hervor. Namentlich zitieren lassen will sich bislang kein Bundestagsabgeordneter mit einer Kanzler-Schelte, und diejenigen, die sich anonym äußern, sind in der Zahl überschaubar. Doch die Frage steht im Raum: Will die SPD tatsächlich auch im kommenden Bundestagswahlkampf auf einen historisch unbeliebten Bundeskanzler als Spitzenkandidaten setzen? "Der Kanzler ist Olaf Scholz und wir gehen mit ihm in den nächsten Wahlkampf", sagte SPD-Chef Lars Klingbeil im Frühstart. Im neuen Jahr gebe es viele Aufgaben zu bewältigen. "Ich bin mir sicher, der Kanzler wird sich zurückkämpfen."

Das sehen weite Teile der Wählerschaft ganz anders: Nur 12 Prozent der Menschen, die Forsa im Auftrag von RTL und ntv befragt hat, "trauen Bundeskanzler Olaf Scholz zu, bis zur nächsten Bundestagswahl 2025 das verloren gegangene Vertrauen wieder zurückzugewinnen". 85 Prozent der Befragten widersprachen dieser Aussage. Auch unter den SPD-Anhängern ist das Bild eindeutig: 35 Prozent haben Hoffnung auf eine Trendwende, 61 Prozent nicht. Die Wähler der Grünen halten eine Umkehr in den Umfragen zu 21 Prozent für möglich, die der FDP zu 15 Prozent. Bei den Anhängern von CDU und CSU sowie der AfD glauben nur 8 Prozent an eine Trendumkehr.

Auch das neue Trendbarometer deutet auf weiter sinkendes Vertrauen in Olaf Scholz: Würden er, CDU-Chef Friedrich Merz und der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck in einer Direktwahl um die Kanzlerschaft gegeneinander antreten, käme der Amtsinhaber mit zwei Punkten weniger als in der Vorwoche auf nur noch 13 Prozent. Scholz verliert, obwohl die SPD im selben Befragungszeitraum um einen Prozentpunkt zulegt. Die Bewegungen sind innerhalb der statistischen Fehlertoleranz von 2,5 Prozent, doch der Trend der vergangenen Wochen und Monate ist eindeutig und deckt sich zudem mit den Werten anderer Umfrageinstitute.

So kommt es, dass seit einigen Wochen immer häufiger jener Bundesminister ins Blickfeld gerät, dessen Zustimmungswerte glänzend sind, während die Ampel-Parteien zusammen auf dem Niveau von CDU und CSU liegen: Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius. Könnte die SPD tatsächlich den populären Niedersachsen 2025 ins Rennen schicken anstelle des wahlweise als stocknüchtern bis abgehoben wahrgenommen Hamburgers Scholz? Er kenne solche Spekulationen nicht, sagte der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, auf Nachfrage Mitte Januar. Genauer: Er hat sie bis dato nicht gekannt.

Dass die SPD mit dem Verteidigungsminister als Spitzenkandidat neue Wähler hinzugewinnen und verloren gegangene zurückholen könnte, zeigt eine Forsa-Umfrage zum "Pistorius-Effekt" im Auftrag von RTL und ntv: Von denjenigen, die bei der kommenden Bundestagswahl nicht SPD wählen wollen, würden 7 Prozent ihr Kreuzchen doch bei den Sozialdemokraten machen, wenn der Spitzenkandidat Pistorius hieße. Aus der Teilgruppe der früheren SPD-Wähler würden sogar 17 Prozent zu der Partei zurückkehren.

Auf alle Wählenden umgerechnet, würde diese Gruppe der SPD einen Stimmenzuwachs von vier Prozentpunkten bescheren. Dagegen würden 12 Prozent derjenigen, die die SPD derzeit zu wählen gedenken, es mit Pistorius anstelle von Scholz nicht tun. Dadurch verlöre die SPD wiederum einen Prozentpunkt. Zusammengenommen liegt der Pistorius-Effekt damit bei drei Prozent: Die SPD käme aktuell auf 17 statt 14 Prozent.

Viel Potenzial, aber auch Risiko

Drei Prozentpunkte scheinen auf den ersten Blick nicht viel zu sein, doch wäre die SPD damit wieder deutlich vor den Grünen und in Reichweite zur AfD auf Platz zwei. Zudem kann auch eine kleine Trendumkehr einen sich selbst verstärkenden Effekt haben. Zumal die Zustimmung zu Pistorius als Kanzlerkandidat im Vergleich zum wahrscheinlichen Unionskandidaten Friedrich Merz noch einmal höher ausfallen könnte. Unionsfraktionschef Merz kämpft seit jeher mit niedrigen Sympathiewerten. Ausgerechnet diese aber sind die Stärke des bodenständig auftretenden, verständlich und prägnant sprechenden Pistorius.

Freilich könnte aber der Pistorius-Effekt auch schnell wieder verpuffen - erst recht, wenn es im laufenden Jahr in seinem Verantwortungsbereich haken sollte: Die immensen Anschaffungsprogramme der Bundeswehr im Rahmen des 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögens bergen reichlich Stolperfallen. Auch die von Pistorius vorangetriebene dauerhafte Stationierung von 5000 Bundeswehrsoldaten in Litauen, die Wladimir Putin von einem Angriff aufs Baltikum abschrecken soll, ist ein schwer zu kalkulierender Kraftakt: Den Streitkräften verlangt das Vorhaben viel ab in puncto Material und Logistik, mehr noch aber in Fragen des Personals, das seinen Wohnort dauerhaft ins Ausland verlegen soll. Pistorius muss seinen glänzenden Start ins Amt in diesem Jahr durch Taten untermauern.

Panik im Osten, vor allem auf dem Land

Derweil dürfte das Szenario eines Kanzlertauschs in Partei und Fraktion immer breiter diskutiert werden. Schließlich droht den SPD-Abgeordneten reihenweise der Verlust ihres Mandats, ganz besonders im Osten des Landes, wo die Partei 2021 mit 27 von 55 Direktmandaten überraschend die Hälfte aller Wahlkreise eroberte und mit einem Stimmenzuwachs von mehr als zehn Prozentpunkten auch stärkste Kraft nach Zweitstimmen wurde. Dieser immense Zuspruch ist laut Umfragen dahin.

Bei den Landtagswahlen am 1. September in Sachsen und Thüringen könnte die altehrwürdige Partei sogar den Wiedereinzug in die Landtage verpassen. Drei Wochen später wackelt bei den Wahlen in Brandenburg die Ministerpräsidentschaft von Dietmar Woidke, dessen Partei weit hinter der führenden AfD auf Platz drei liegt. Selbst ein Ergebnis an zweiter Stelle könnte nicht für eine Regierungsbildung mit CDU und Grünen reichen.

Schwesig klagt über Kanzler und Ampel

Wie nervös die Partei im Osten ist, zeigt ein Interview mit Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, die sich als einziges politisches Schwergewicht der Partei mit offener Kritik aus der Deckung gewagt hat. Die Bundesregierung sei zerstritten und unberechenbar, sagte sie dem "Tagesspiegel". "Teilweise erfahren wir über Nacht von neuen Gesetzen und Vorschlägen", so Schwesig. Wie in den vergangenen zwölf Monaten dürfe es nicht weitergehen. Vom Kanzler fordert sie mehr Bürgerdialoge.

"Viele Menschen, gerade auf dem Land, fühlen sich ungerecht behandelt", sagt Schwesig. Die SPD-Spitzenkandidaten in Brandenburg, Sachsen und Thüringen sind zur Geschlossenheit mit Scholz verdammt - genauso die SPD-Spitzenkandidatin zur Europawahl, Katarina Barley. Schwesig dagegen kann frei für die SPD im Osten und auf dem Land sprechen und tut das in aller Deutlichkeit: "Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie dem ländlichen Raum aufmerksamer und empathischer begegnet."

Doch kann Scholz noch einmal die Fläche für sich gewinnen, nachdem er die Bauern mit der zunächst geplanten Mehrbelastung bei Kfz-Steuer und Agrardiesel aktiv verprellt hatte? Falls nicht, hat die SPD noch einen äußerst beliebten Bundesminister in Reserve, der bis Februar letzten Jahres zehn Jahre lang Innenminister des zweitgrößten Flächenlandes und Agrarstaats Niedersachsen war - und der sich auch dort großen Zuspruchs erfreute. Er heißt Boris Pistorius. Spätestens nach den drei für die SPD denkbar schwierigen Landtagswahlen könnte sein Name noch einmal ganz neues politisches Gewicht in Berlin bekommen - und der "Pistorius Effekt" auch in der Partei vermessen werden.

Quelle: ntv.de

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