Satelliten beobachten den Krieg Russische Raketen treffen Treibstofflager
28.03.2022, 16:14 Uhr
Der Krieg in der Ukraine bringt Tod und Zerstörung: Seit die russische Offensive am Boden stockt, geraten zunehmend auch Ziele hinter der Frontlinie ins Visier. Ein schwerer Luftschlag trifft ein Sprit-Depot. Satellitenbilder zeigen das Ausmaß der Schäden.
Mit einem nächtlichen Raketenschlag haben die russischen Streitkräfte Ende vergangener Woche eigenen Angaben zufolge eines der größten Treibstofflager im Südwesten von Kiew zerstört. Das Lager im Ort Kalyniwka sei am Donnerstagabend mit Kalibr-Marschflugkörpern beschossen worden, erklärte ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums. Von ukrainischer Seite gab es dazu keine Bestätigung. Aktuelle Satellitenbilder aus unabhängiger Quelle ermöglichen einen Blick auf den Angriffsort.
Die rund 5000 Einwohner zählende Ortschaft Kalyniwka (Калинівка) liegt rund 32 Kilometer südwestlich der ukrainischen Hauptstadt nahe der Fernstraße M05/E95, die von Kiew Richtung Süden über Bila Zerkwa und Uman nach Odessa führt. Von Kampfhandlungen war der kleine Ort Kalyniwka bisher weitgehend verschont geblieben.
Die Frontlinien liegen allerdings nicht weit entfernt: Die ukrainischen Verteidiger konnten die russischen Panzerspitzen rund 20 Kilometer nördlich von Kalyniwka an der Autobahn nach Schytomir (M06/E40) vorerst stoppen. Die russische Offensive scheint festgefahren. Wäre es zur geplanten Belagerung von Kiew gekommen, wäre Kalyniwka mitten im Angriffsweg der russischen Bodentruppen gelegen.
Das Treibstofflager bei Kalyniwka vor dem Angriff:

Aufnahme vom 18. März: Das Treibstofflage nordöstlich des Bahnhofs von Kalyniwka.
(Foto: Copyright: Satellite Imagery © Maxar Technologies Provided by European Space Imaging)
Knapp eine Woche vor dem russischen Luftschlag sind auf dem Gelände des Treibstofflagers bei Kalyniwka keinerlei Schäden zu sehen - und auch keine ukrainischen Militärfahrzeuge. Der Satellit, von dem die Aufnahmen stammen, überflog das Gebiet am späten Vormittag, wie unter anderem auch an dem Schattenwurf der Gebäude zu erkennen ist. Das Gelände des Treibstofflagers wirkt an jenem Freitag, dem 18. März, wie verlassen.
Innerhalb der Umfassungsmauer sind keinerlei Anzeichen eines regulären Betriebs zu entdecken. Das Verladeterminal scheint verlassen. Die Tanklastwagen des Betreibers sind außerhalb der Anlage geparkt. Dicht an dicht stehen fast zwei Dutzend weiße Lkw auf der zur Ortschaft abgewandten Seite beiderseits der Zufahrtsstraße. War dieses Treibstofflager etwa gar nicht mehr in Betrieb?

Vergrößerter Ausschnitt der Aufnahme vom 18. März: Freitagvormittag herrscht auf "einem der größten Treibstofflager der Ukraine" kein Betrieb?
(Foto: Copyright: Satellite Imagery © Maxar Technologies Provided by European Space)
Als strategisches Ziel dürfte Kalyniwka auf den Karten der russischen Militärplanung dennoch längst vermerkt gewesen sein: Durch den Ort führt eine der wichtigsten Bahnstrecken von Kiew aus Richtung Südwesten. Züge, die von der Hauptstadt der Ukraine aus in Richtung des wichtigsten Seehafens Odessa fahren, rollen durch Kalyniwka.
Der russische Luftschlag galt jedoch offenbar nicht der Kiewer Bahnanbindung. Kalyniwka ist Haltepunkt für den Passagierverkehr, verfügt jedoch auch über einen Bahn-Umschlagplatz zur Entladung von Tank-Waggons. Östlich der Ortschaft liegt ein größeres Industriegebiet. Noch einmal zwei Kilometer weiter befindet sich die ukrainische Luftwaffenbasis bei Wassylkiw, die bereits in den ersten Kriegstagen Ziel russischer Angriffe war. Die Basis liegt nur rund viereinhalb Kilometer von Kalyniwka entfernt.
Das Treibstofflager bei Kalyniwka nach dem Angriff:

Brennende Treibstofftanks am Tag nach dem Einschlag der russischen Raketen: Diese Aufnahme stammt vom 25. März.
(Foto: Copyright: Satellite Imagery © Maxar Technologies Provided by European Space)
Wie auf den Aufnahmen aus dem All gut zu erkennen ist, schlugen die russischen Raketen nordöstlich des Ortskerns in einem eng begrenzten Umkreis inmitten der Treibstofftanks ein. Bei dem nördlich der Bahnlinie gelegenen Treibstoffdepot handelt es sich offenkundig nicht um eine militärische Anlage: Die Einrichtung ist in allen Kartendiensten offen verzeichnet. Weder sind die Tanks getarnt, noch gesondert geschützt.

Vergrößerter Ausschnitt der Aufnahme vom 25. März: Treibstofftanks sind ein leichtes Ziel für russische Kalibr-Marschflugkörper.
(Foto: Copyright: Satellite Imagery © Maxar Technologies Provided by European Space)
Ursprünglich wurden von hier aus zivile Tanklastwagen mit Benzin, Diesel und Heizöl beladen, um die Treibstoffversorgung der Ukraine via Straßentransport sicherzustellen. In Kriegszeiten lässt sich allerdings nicht ausschließen, dass von hier aus auch Lieferungen an das ukrainische Militär gingen. Belege dafür sind jedoch nicht ersichtlich.
Sicher jedoch ist, dass der russische Angriff die Versorgungssituation der Zivilbevölkerung in der Ukraine massiv beeinträchtigen wird. Millionen Menschen sind im Großraum Kiew auf eine ununterbrochene Belieferung mit Lebensmitteln und anderen lebenswichtigen Gütern des täglichen Bedarfs angewiesen. Das ukrainische Tankstellennetz muss sich kurzfristig auf andere Lieferwege einstellen. Der Treibstoff aus Kalyniwka wird nicht nur der ukrainischen Armee fehlen, sondern in erster Linie beim Warentransport und auch im zivilen Straßenverkehr.
Quelle: ntv.de