"Bidenomics" soll Trump stoppen Schon jetzt setzt Biden alles auf eine Karte
29.06.2023, 03:13 Uhr Artikel anhören
Die Wirtschaftsdaten der USA sehen gut aus. Bei einer Grundsatzrede in Chicago zeigt sich Präsident Biden selbstbewusst. Der Demokrat will 2024 für eine zweite Amtszeit gewählt werden und wirbt offensiv für seine "Bidenomics". Das kann ihm noch gefährlich werden.
Seit mehreren Tagen kursiert ein mehrseitiges PDF bei den US-Medien. Darin erläutern zwei Mitarbeiter des Weißen Hauses mit Text, Zahlen und Infografik, warum Präsident Joe Biden für die Wirtschaft bislang der beste Präsident jemals gewesen sein soll: wegen des Erfolgs seiner "Bidenomics". Weshalb er auch in Zukunft der beste Mann an der Spitze der Vereinigten Staaten wäre.
Den Begriff prägten US-Wirtschaftsmedien, Bidens Team hat ihn übernommen: "Bidenomics", das bedeutet soziale Marktwirtschaft im Sinne der Mittelschicht. Den Niedriglohnsektor unterstützen, die Mittelschicht ausbauen, staatliche Investitionen für die Zukunft, etwa mit Infrastruktur und Bildung tätigen, Wettbewerb fördern sowie als nächstes Schlupflöcher für Unternehmen und Superreiche schließen, die nach Ansicht der Demokraten zu wenig Steuern zahlen.
"Diese Vorstellung ist ein grundsätzlicher Bruch mit einer Wirtschaftstheorie, welche für die amerikanische Mittelschicht seit Jahrzehnten nicht funktioniert", sagt Biden bei einer Grundsatzrede in Chicago, und wettert gegen das gegensätzliche, neoliberale Prinzip von "trickle-down" verbunden mit Globalisierung, wegen der Fabrikjobs nach Übersee exportiert und Gemeinden "ausgehöhlt" worden seien. "Mir soll es gut gehen, aber ich bin es leid, auf trickle-down zu warten", schimpft Biden. Die Trickle-down-Theorie behauptet, dass Reichtum von oberen Einkommensschichten zu unteren durchsickere und ihr Vermögen deshalb etwa mit Steuersenkungen maximiert werden müsse.
Biden will 2024 wiedergewählt werden. Dafür geht er schon jetzt volles Risiko, knüpft den Zustand der US-Wirtschaft an seinen Namen. Im Dokument war angekündigt worden, dass Biden in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten dafür werben und erklären wird, was diese Wirtschaftspolitik ausmacht. Er hat kaum eine Option, allein sein Alleinstellungsmerkmal als ältester US-Präsident jemals bedeutet: jetzt oder nie mehr.
Angriffe auf Trump
Sein Team will die mediale Deutungshoheit über den Zustand der USA nicht den Republikanern überlassen. Die bekommen ohnehin viel Aufmerksamkeit. Mehr als ein Dutzend Bewerber, in Umfragen angeführt von Ex-Präsident Donald Trump vor Floridas Gouverneur Ron DeSantis, tummeln sich bereits jetzt auf Terminen in den ersten Vorwahlstaaten. Schon im August kommt es zwischen ihnen zur ersten von vielen Fernsehdebatten. Biden muss Präsenz zeigen, sonst geht er medial unter.
Es ist nicht wahrscheinlich, aber sollte die US-Wirtschaft aus irgendeinem Grund ins Schlingern kommen, hätten die Republikaner im Wahlkampf eine gigantische Angriffsfläche. Die US-Wähler entscheiden häufig nach dem Zustand der Wirtschaft. Im Mai erklärte Biden offiziell, im kommenden Jahr für eine zweite Amtszeit antreten zu wollen. Derzeit deutet vieles darauf hin, dass es zur Neuauflage des Duells zwischen dem Demokraten Biden und dem Republikaner Donald Trump kommt, den Biden 2020 übertrumpft hatte.
Ebenfalls im vergangenen Monat sagte nur ein Drittel der US-Amerikaner, die Wirtschaft sei auf dem richtigen Weg, womöglich wegen der Inflation. Trump wird in Umfragen deutlich mehr wirtschaftliche Kompetenz zugesprochen als Biden. Trotz dessen Zwischenbilanz, die er in Chicago auflistet: 13,4 Millionen neue Jobs in zwei Jahren, die längste Periode mit einer Arbeitslosenquote unter 4 Prozent seit mehr als 50 Jahren, die höchste Zufriedenheit im Job seit den 1980ern, die größte Unterstützung für Gewerkschaften im Land seit 60 Jahren. Nie wurden mehr Kleinunternehmen angemeldet als in seiner Amtszeit, mehr als 10 Millionen.
Rund 40 Prozent der US-Amerikaner bescheinigen Biden insgesamt einen guten Job. Das ist aber nur solide für den Zeitpunkt der Amtszeit, mehr nicht. Trotz seiner politischen Erfolge im Kongress, die parteiübergreifend positiv gesehen werden. Eben damit macht er ab jetzt Wahlkampf für seine Wiederwahl. Das Infrastrukturpaket, das Trump ständig versprach, aber im Gegensatz zu Biden nie lieferte. Das historische Anti-Inflationspaket mit der Förderung für Erneuerbare Energien und Elektromobilität gegen den Klimawandel. Zuletzt die Finanzierung von Breitbandinternet für ländliche Gegenden.
Auch das Subventionspaket für die nationale Halbleiterindustrie, der Chips Act, ist ein zentrales Argument Bidens. Seit Verabschiedung haben die Investitionen für Fabriken um 80 Prozent angezogen. In den vier Jahren zuvor seien es zwei Prozent mehr gewesen, sagt der Präsident. Das Publikum johlt schon fast über diesen klaren Angriff auf Trump, der sich damit brüstet, er habe das manufacturing zurückgebracht in die USA. Der geopolitische Hintergrund ist, sich unabhängiger von China zu machen.
Werben um ländliche Wähler
Bei der Rede in Chicago sprüht Biden deshalb vor Selbstbewusstsein. Seine" Bidenomics" ist nun die Überschrift seiner Präsidentschaft und zugleich auch rhetorischer Gegenentwurf zu den "Reaganomics" des früheren Präsidenten Ronald Reagan, der in den 1980er Jahren die Trickle-Down-Theorie zur Wirtschaftspolitik erhoben hatte. Niedrige Steuern für Unternehmen und auf Vermögen, staatliche Leistungen so klein wie möglich halten, privatisieren. Biden schimpft in Chicago immer wieder vom Pult herab: Das Prinzip habe Jobs vernichtet, zahllose Gemeinden im Mittleren Westen ausgehöhlt und den Staat ins Defizit getrieben".
Seine typischen Aussetzer kommentiert Biden mit Selbstironie. Trump oder einen anderen Kandidaten erwähnt er nicht - wohl aber spricht er davon, dass es für "Demagogen" schwieriger werde, wenn etwas funktioniere. Zwar gewann Biden 2020, weil er nicht Trump war, aber er weiß auch, warum: Vor allem wegen der Mobilisierung der Vorstädte und dort der Frauen, die er explizit erwähnt. Deren Arbeitslosenquote sei auf einem 70-Jahres-Tief, und sie machten "die Hälfte der Arbeiterschaft aus", woraufhin hörbar weiblicher Jubel aufbrandet und der Präsident hinzufügt: "… und wahrscheinlich zwei Drittel der Intelligenz".
Auch fischt Biden nach typischer republikanischer Klientel in ländlichen Gegenden wie dem Mittleren Westen. "Die Kinder mit einem guten Gehalt dort aufziehen können, wo man selbst aufgewachsen ist", dies sei "Bidenomics". "Es wird den amerikanischen Traum nicht sofort wiederherstellen", aber die Spaltung des Landes verringern, meint er. Und ihn und die Demokraten womöglich vier weitere Jahre an der Regierung belassen.
Quelle: ntv.de