Erfolge statt "Pattsituation"? Selenskyj: Haben einen Plan für die Zeit nach der Gegenoffensive
08.11.2023, 22:29 Uhr Artikel anhören
Der ukrainische Präsident ist bemüht, Kriegsmüdigkeit etwas entgegenzusetzen.
(Foto: IMAGO/Bestimage)
Der ukrainische Präsident Selenskyj gibt sich nach zuletzt eher pessimistischeren Aussagen aus der Führungsriege der Armee zuversichtlich. Er hat demnach einen Plan, man wolle schon bald Erfolge vorweisen. Einer seiner Mitarbeiter skizzierte zuletzt sogar eine Strategie bis zum Kollaps des Putin-Regimes.
Nach den ernsten und weltweit viel beachteten Worten des Oberbefehlshabers der Ukraine, Walerij Saluschnyj, der von einem festgefahrenen Krieg sprach, haben sich Sorgen breitgemacht. Könnte das dem russischen Angriffskrieg in die Hände spielen? Die einen spekulieren, Saluschnyj habe mit seinen Aussagen vor allem Druck auf den Westen für weitere Waffenlieferungen ausüben wollen, andere pflichteten ihm aufgrund der nur minimal ausgefallenen Veränderungen an der Front in den vergangenen Wochen bei. Und wiederum andere widersprachen Saluschnyjs Aussagen vehement. Dazu gehörte ausgerechnet auch der ukrainische Präsident Selenskyj. "Es gibt keine "Pattsituation", sagte dieser. Nun legt er mit weiteren Aussagen nach, die den aufkommenden Sorgen oder einer Kriegsmüdigkeit möglicherweise etwas entgegensetzen sollen.
In einer Video-Schalte bei der Konferenz "Reuters Next" in New York sagte Selenskyj, die Ukraine habe einen Plan, wie die Kämpfe nach der langsamen Gegenoffensive der vergangenen Monate im Süden weitergeführt werden sollten. Das Militär wolle noch in diesem Jahr Erfolge auf dem Schlachtfeld vorweisen. Eine genaue Strategie, wie das vonstattengehen soll, wurde indes nicht preisgegeben. Ein Fortschritt könnte sich am südlichen Ufer des Dnipro ergeben: Laut dem US-Thinktank ISW baut die Ukraine ihre Präsenz dort aus. Mehrere hundert Soldaten sollen übergesetzt haben, auch Militärtechnik wurde offenbar verschifft.
Aufhorchen ließ zuletzt ein Beitrag vom Berater des Leiters des Büros von Selenskyj, Mykhailo Podolyak. Dieser stellte auf der Plattform X dar, was die "Ziele und Strategien" sind, um den russischen Angriff letztlich erfolgreich abzuwehren, nannte jedoch keinen möglichen Zeitrahmen. Podolyak schrieb jedoch, man habe "eine klare Vorstellung davon, wie das Ende des Krieges aussehen wird".
Glaube an technologische Überlegenheit
Gleichzeitig gab er zu, dass es in der gegenwärtigen Phase "Schwierigkeiten" gebe, doch Hoffnung schöpfe Kiew - trotz des langsamen Tempos - weiterhin aus der "Verstärkung des Waffenangebots", womit die westlichen Lieferungen gemeint sind. Gleichzeitig sprach Podolyak von "technologischer Überlegenheit", die es so auf dem Schlachtfeld zu erreichen gelte.
So soll die technologische Überlegenheit Russland "erhebliche taktische Niederlagen" zufügen. Ukrainische Piloten trainieren bald an den ersten F-16-Kampfjets, nächstes Jahr sollen diese auf dem Schlachtfeld zum Einsatz kommen. Auch hat das Land zuletzt die ersten ATACMS-Raketen erhalten und konnte erfolgreiche Angriffe damit durchführen.
Kiew bemüht sich jedoch auch an anderer Stelle. Der ukrainische Minister für digitale Transformation, Mychajlo Fedorow, berichtete kürzlich in sozialen Netzwerken von einem neuen System der elektronischen Kriegsführung, das nun bereit sei für die Massenproduktion: Der Piranha AVD 360. Er soll helfen, gepanzerte Fahrzeuge und Soldaten effektiver vor feindlichen Drohnen zu schützen - ein in diesem Krieg nicht zu unterschätzender Faktor.
"Er erzeugt eine Schutzkuppel von bis zu 600 Metern um sich herum. Unter dem Einfluss des Systems kann ein Kopter oder eine Kamikaze-Drohne keine Befehle empfangen oder Daten übertragen. Infolgedessen schwebt der 'Vogel' entweder in der Luft, macht eine Notlandung oder stürzt unkontrolliert ab", schrieb Fedorow. Technologie und Innovation seien der Schlüssel zum Sieg der Ukraine, glaubt auch der Minister. "Sie helfen uns, den Feind effektiver zu vernichten und das Leben unserer Soldaten zu retten."
Oleksij Melnyk, Oberstleutnant a.D. der ukrainischen Armee, sagte im Interview mit ntv.de über Vorschläge von Oberbefehlshaber Saluschnyj, der fünf Bereiche nannte, um aus der "Sackgasse" des Krieges herauszukommen: "Einige Vorschläge für den Kampf gegen Drohnen oder in Sachen elektronische Kampfführung halte ich für ganz spannend. Ob aber nur diese fünf Bereiche helfen werden, den Krieg entscheidend zu wenden, da bin ich mir nicht sicher."
Podolyak skizziert Ende von Putin
Nicht unterschlagen werden darf natürlich auch, dass Regierungsverantwortliche die Moral und Hoffnung der Soldaten und Bevölkerung besonders in schwierigen Phasen hochhalten wollen. Das Anpreisen von Plänen oder technischen Errungenschaften kann dabei ein geeignetes Mittel sein.
Präsidenten-Berater Podolyak glaubt nach wie vor an "den Zusammenbruch der russischen Verteidigung" durch die ukrainischen Gegenangriffe. Und auch für die Zeit danach gibt er eine Strategie - oder Hoffnung - an: "Die Rückkehr aggressiver mobilisierter Kräfte nach Russland - der Zusammenbruch der grundlegenden Mythen der russischen Propaganda - der endgültige Rückgang des Einflusses Putins und seiner Mitstreiter, die Selbstisolierung Russlands, innere Unruhen, die Ersetzung der derzeitigen russischen Eliten durch Eliten der Übergangszeit." Danach werde Russland beginnen, den Platz in der Welt einzunehmen, der ihm "wirklich zusteht", so Podolyak.
Quelle: ntv.de, rog