Merz steht sich selbst im WegStörsender im Kanzleramt
Johannes Hillje
Bundeskanzler Merz lässt seine eigenen Botschaften immer wieder im selbst verursachten Lärm untergehen. Merz sollte weniger Lärm produzieren. Sonst kommen die Ziele seiner Reformprojekte auch weiterhin nicht bei den Menschen an.
Meteorologisch beginnt am kommenden Montag der Winter. Politisch endet damit, weil es vom Bundeskanzler ausdrücklich so festgelegt wurde, der "Herbst der Reformen". Zweifelsohne muss auch im Winter reformiert werden, aber bitte nicht so, wie Kanzler und Kabinett es die letzten Monate aufgeführt haben.
Es war ein Herbst der Erregung, den sich Friedrich Merz in erster Linie selbst anlasten muss, auch wenn in seiner medialen und politischen Umwelt die Schwelle zur Entrüstung mittlerweile äußerst niedrig ist - dass er im Ausland ein "ordentliches Stück Brot" vermisst, ist nun wirklich nicht der Rede wert.
Merz redet gerne frei von der Leber weg. Einerseits ist das nach den Jahren der Scholz'schen Sprechausterität erfrischend. Andererseits gelingt es dem Kanzler nicht, seine rhetorische Direktheit vor politischer Verwundbarkeit zu schützen. Merz entgleitet zunehmend die kommunikative Kontrolle, die Deutungsmacht über seine eigene Politik.
"Problem im Stadtbild" ist Problem in der Kommunikation
Ein Kernversprechen seiner Regierung ist das Zurückdrängen der irregulären Migration. Die Zahlen sinken, zwar auch mit Unterstützung der Vorgängerregierung, aber unterm Strich tatsächlich wie von Merz und Co. angekündigt. Hier könnte man die Arbeit also in Ruhe fortsetzen. Doch dann haut er die pauschalisierende und diskriminierende "Problem im Stadtbild"-Aussage raus, räumt die Debatte nicht umgehend durch eine Präzisierung ab, sondern verlängert sie mit seinem bockigen Verweis auf die "Töchter" und verstärkt damit die empörte Geräuschkulisse um sich herum.
Diese ist mittlerweile so laut, dass nicht nur die Stipendiaten der Deutschlandstiftung Integration seine Rede zur Einwanderungsgesellschaft gar nicht erst hören wollten. Der selbst eingebrockte Protest führt auch dazu, dass der Rest der Öffentlichkeit die differenzierten und sogar selbstkritischen Worte des Kanzlers auf dieser Veranstaltung nicht mitbekommt.
Dasselbe Muster bei dem despektierlichen Brasilien-Deutschland-Vergleich: In einer Rede beim Handelskongress appellierte Merz an die Wirtschaftsvertreter, den Standort Deutschland nicht schlechtzureden. Für die Würdigung Deutschlands bemühte Merz aber jene Herabsetzung Brasiliens, die er zuvor in einem vertraulichen Pressegespräch benutzt hatte und offenbar so gelungen fand, dass er sie auf großer Bühne wiederholte.
Merz lässt seine eigenen Botschaften untergehen
Was folgte, ist bekannt. Was nicht folgte, ist eine Auseinandersetzung mit seiner eigentlichen Botschaft, dass sich Deutschland auf seine Stärken konzentrieren solle, statt den florierenden Niedergangserzählungen zu verfallen.
Am schlimmsten ist für den Kanzler indes, dass auch seine Botschaften zu den wichtigen Reformvorhaben immer wieder im selbst verursachten Lärm untergehen. Die Debatte über das Bürgergeld begann Merz nach der Sommerpause mit scharfen Tönen in Richtung SPD, worauf Bärbel Bas "Bullshit" zurückkofferte. Auch hier ging der Koalitionseinigung wochenlanger Lärm voraus.
Ähnliches spielt sich derzeit in der Rentendebatte ab, wenn auch entlang einer anderen Konfliktlinie. Diese verläuft zwischen Junger Union und Kanzler-Union, weil Merz es versäumt hat, den internen Konflikt rechtzeitig zu entschärfen. Nun ist er zur offenen Machtfrage eskaliert. Was der Kanzler bis zum Ende der Legislaturperiode bei der Rente vorhat, was jenseits einer Rentenkommission seine Vision ist, bleibt unterdessen unverständlich. Mit der Beschreibung des "Epochenbruchs" setzt Merz zwar häufig richtig an, führt aber dann nicht mit der Beschreitung eines politischen Reformwegs fort, der das Land zukunftsfit machen kann.
Merz sollte weniger Lärm produzieren und mehr Botschaften setzen
Mit der Kanzlerkommunikation ist es wie mit einem alten Radiogerät: Es gibt die Signale und das Rauschen. Nur ist es Merz höchstpersönlich, der den Drehknopf immer wieder vom gewünschten Klang auf die unerwünschten Störgeräusche lenkt. Das Signal-Rausch-Verhältnis stimmt beim Kanzler nicht.
Merz sollte weniger Lärm produzieren und mehr Botschaften setzen. Er muss dafür sorgen, dass bei den Menschen die Ziele seiner Reformprojekte hängen bleiben und der Weg dorthin plausibel wird. Die wichtigste Aufgabe der Kanzlerkommunikation ist es, Orientierung zu bieten, Verlässlichkeit auszustrahlen und Vertrauen zu schaffen. Ein Kanzler muss Leuchtturm, nicht Störsender sein.
Massenweise Gratisaufmerksamkeit für die AfD
In das nervige Rauschen mischt sich auch die Brandmauerdebatte innerhalb wie außerhalb der Union. Die Koalition hat selbstbewusst versprochen, die Probleme des Landes "aus der Mitte heraus" zu lösen. Es fällt auf, wie ängstlich sie dabei auf den rechten Rand starrt. Merz lenkte sogar mit einer eigenen Anti-AfD-Klausur des CDU-Präsidiums die Aufmerksamkeit tagelang auf die Partei, um als Ergebnis zu verkünden, dass er im Umgang mit ihr "gar nichts" verändern werde.
Die Gratisaufmerksamkeit, die die AfD von ihrer politischen Konkurrenz bekommt, ist mittlerweile so viel wert, dass sie dafür eigentlich Schenkungssteuer zahlen müsste. Es ist im Endeffekt egal, ob man als Strategie vorschlägt, die AfD zu ignorieren, zu entzaubern oder inhaltlich zu stellen. Die strukturelle Schwäche dieser Debattenführung durch die anderen Parteien ist, dass das Objekt dieser Strategie immer die AfD und nie das eigene Politikangebot, das eigene Zukunftsversprechen, die eigene Überzeugung ist.
Dass etwas nur die AfD stärken werde, oder andersherum zurückdrängen könne, ist im Diskurs der Etablierten zur prominenten Begründung von Politik geworden. Wer nicht das Wohl der Menschen, sondern einen politischen Konkurrenten zum Maßstab des eigenen Handelns macht, hat schon verloren. Wo die Menschen keine Signale mehr hören, was das alles mit ihrem Leben und ihren Sorgen zu tun, schalten sie ab. Soweit darf es ein Kanzler, soweit darf es diese Regierung nicht kommen lassen.