CSU-Politikerin im Frühstart "Demokratieschädlich": Union will Wahlrecht wieder ändern
30.07.2024, 10:07 Uhr Artikel anhören
Das Bundesverfassungsgericht hat die Wahlrechtsreform der Ampel im Kern durchgewunken. Die CDU/CSU will die Regelung nach einer Regierungsübernahme aber wieder zurückdrehen - damit alle Wahlkreise weiter vertreten sind.
Nach dem zum Teil positiven Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlrechtsreform der Ampelkoalition droht die Union damit, die Reform zurückzudrehen, wenn sie wieder an die Regierung kommt. Die stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende, Andrea Lindholz (CSU), kritisierte im Frühstart von ntv, dass die sogenannte Zweitstimmendeckung vom Gericht bestätigt wurde. "Dass Wahlkreise nicht zugeteilt werden, ist für mich kein dauerhaft akzeptabler Zustand - das müssen wir in der nächsten Legislaturperiode ändern."
Mit der Wahlrechtsreform der Ampelkoalition wird die Zahl der Bundestagsabgeordneten auf 630 gedeckelt, Überhang- und Ausgleichsmandate schafft sie ab. Solche Mandate gab es bisher, um eine Besonderheit des deutschen Systems von Erst- und Zweitstimme auszugleichen: Es kommt vor, dass eine Partei über die Erststimme mehr Wahlkreise und damit Mandate gewinnt, als ihr über die Zweitstimme zustehen. Diese Regelung hat zu einer Aufblähung des Parlaments auf aktuell 733 Sitze geführt.
Die Reform der Ampel dreht das Ausgleichsmodell um: Künftig soll eine Partei nur noch so viele Mandate bekommen, wie ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Hat sie mit der Erststimme mehr Wahlkreismandate gewonnen, dann wird von hinten gestrichen: Die Mandate mit dem schlechtesten Ergebnis fallen weg.
Lindholz kritisiert, diese Regelung könne dazu führen, dass es Wahlkreise ohne Abgeordneten gebe - ausgerechnet in einer Zeit, in der es besonders wichtig sei, auf die Bürger zuzugehen. Es sei demokratieschädlich, wenn Kandidaten einen gewonnenen Wahlkreis anschließend nicht im Bundestag vertreten dürften. "Wenn man das wegnimmt, dann zerstört es auf Dauer das Vertrauen."
Die CSU-Politikerin lobte zugleich, dass das Gericht die von der Ampel geplante Aufhebung der sogenannten Grundmandatsklausel gestoppt hat. "Die Streichung ist verfassungswidrig und das halte ich für richtig." Lindholz blieb dabei, die angedachte Abschaffung der Klausel als Wahlrechtsmanipulation zu bezeichnen. "Ich bin sehr froh, dass das Bundesverfassungsgericht kleine Parteien, regionale Parteien wie auch die CSU damit stärkt." Die Grundmandatsklausel sorgt dafür, dass Parteien im Bundestag vertreten sind, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewinnen. In einem solchen Fall zieht die Partei in Höhe ihres Zweitstimmenergebnisses in den Bundestag ein, auch wenn sie an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist.
Urteilsleak "sehr unglücklich"
Lindholz kritisierte, dass das Urteil des Verfassungsgerichts bereits am Montagabend für kurze Zeit im Internet zu sehen gewesen war - einen halben Tag vor der offiziellen Verkündung. Das stimme sie nachdenklich, so Lindholz. Die Union arbeite gerade mit der Koalition daran, das Verfassungsgericht im Grundgesetz besser zu schützen. "Und dann wird ein Urteil geleakt, bevor Richter das verkünden - ich finde das sehr unglücklich."
Die CSU-Innenexpertin warnte im Frühstart zudem vor neuem Judenhass aufgrund eines möglichen israelischen Großangriffs auf die Terrormiliz Hisbollah im Libanon. Es sei zu befürchten, dass sich auch diese Krise in Deutschland widerspiegeln werde, sagte Lindholz. Bereits jetzt gebe es einen stark ansteigenden Antisemitismus. "Es ist ganz wichtig, dass wir jetzt noch mal verstärkt jüdische Einrichtungen schützen, dass unsere Behörden genau hinschauen." Am Samstag hatte es auf den von Israel besetzten Golanhöhen einen Raketenangriff gegeben, bei dem mehrere Kinder und Jugendliche starben. Die Hisbollah wird dahinter vermutet.
Dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan damit droht, in den Konflikt einzugreifen, hält Lindholz für ein Risiko auch in Deutschland. "Auch das ist geeignet, die Situation anzuheizen." Das Säbelrasseln treibe sie mit großer Sorge um, so Lindholz. "Wir müssen genau hinschauen, dass wir hier nicht neue antisemitische Krisenherde aufflammen sehen." Man müsse Jüdinnen und Juden immer wieder versichern, an ihrer Seite und an der Seite Israels zu stehen.
Quelle: ntv.de, psc