Politik

Ausnahmezustand in GießenWas erhofft sich die AfD von der neuen Parteijugend?

27.11.2025, 07:19 Uhr
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Die Neugründung könnte mehrere Effekte für die AfD sowie Weidel und Co. haben. (Foto: picture alliance/dpa)

Rechter als die AfD: Die Junge Alternative war bis zu ihrer Auflösung selbst der teilweise rechtsextremen AfD zu radikal. Mit der neuen Jugendorganisation soll sich das ändern. Am Wochenende wird deshalb neu gegründet, mit voraussichtlich viel Protest. Was sich die Partei davon erhofft - der Überblick.

Warum geht die AfD den Schritt nun?

Im Januar hatte die AfD beim Parteitag in Riesa nach einer hitzigen Diskussion die Trennung von ihrer bisherigen Jugendorganisation Junge Alternative beschlossen. Diese war vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Sie firmierte als eingetragener Verein und war damit weitaus unabhängiger von den Parteistrukturen, als es Parteichefin Alice Weidel gerne gehabt hätte. Sie fürchtete, dass die schwer kontrollierbaren Aktivitäten der Jungen Alternative die gesamte AfD weiter in Misskredit bringen könnten. Zudem könnte die Neugründung auch einem möglichen Verbot der Jungen Alternative zuvorkommen. Bei Vereinen ist ein Verbot sehr viel einfacher möglich als bei Parteien.

Wie reagiert die Partei darauf?

Die neue Jugendorganisation soll enger an die Partei angegliedert werden; Mitglieder der Nachwuchsabteilung müssen künftig auch in der AfD sein und damit organisatorisch und disziplinarisch auch der Partei angehören. Der Politologe Stefan Marschall von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf erwartet, dass die Jugendorganisation für Weidel damit leichter zu kontrollieren und zu steuern sein wird. "Die gesamte Parteistruktur wird stärker auf ihre Spitze ausgerichtet und das zentrale Parteimanagement dadurch gestärkt", sagte Marschall.

Wie stellt das die AfD nach außen dar?

Parteichefin Weidel erhofft sich vor allem, dass die neue Organisation fähigen Nachwuchs für die Mutterpartei hervorbringt. "Es ist definitiv die Hauptaufgabe, eine Art Nachwuchsorganisation zu haben, eine Art Nachwuchsprogramm für die Mutterpartei, dass dort auch talentierte Leute identifiziert werden und zum Zuge kommen", sagte Weidel. "Also, das ist eine Kaderschmiede für die Regierungsverantwortung. Nächstes Jahr erwarten wir uns eine Regierungsverantwortung in zwei ostdeutschen Bundesländern, und zwar in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt." Dort werde die junge Organisation in der Heranbildung auch von jungen Referenten und Nachwuchs eine große Rolle spielen.

Am Wochenende wird in Gießen neu gegründet. Was erwartet die Stadt?

Eine Menge. Die Polizei stellt sich auf bis zu 50.000 Menschen ein, die am Wochenende gegen die AfD protestieren werden. Hessens Innenminister Roman Poseck spricht von einer "herausfordernden Großlage" auf die sich die Beamten schon seit Monaten "mit Hochdruck" vorbereiteten. "Es wird hier an diesem Tag der größte Polizeieinsatz in Deutschland stattfinden", sagte der CDU-Innenminister. Sprich: Im Einsatz sollen nicht nur eine vierstellige Zahl an Polizisten aus mehreren Bundesländern sein sowie Hubschrauber, Drohnen, Wasserwerfer und eine Pferdestaffel.

Was bedeutet die Neugründung für die Partei?

Zunächst mal, dass sie künftig möglicherweise geschlossener auftreten kann. Das habe aber den Preis, dass sie sich "nicht mehr völlig glaubwürdig von der Jugendorganisation distanzieren kann, sollte diese problematische Positionen beziehen", sagte Marschall. Das sei aber eine "schwierige Gratwanderung: Wie weit kann sich die Jugendorganisation nach Rechtsaußen öffnen, ohne dabei der AfD insgesamt zu schaden?"

Wird denn die neue Jugendorganisation so radikal?

Das wäre nicht überraschend. Schon bei den etablierten Parteien wie der Union oder der SPD bedienen die Nachwuchsorganisationen Junge Union oder die Jusos die Funktion, die Maximalforderungen der Partei zu vertreten und diesen öffentlich Gehör zu verschaffen. Bei der AfD formuliert aber schon die Parteispitze selbst oft radikale Positionen etwa in der Migrationspolitik. Das zu toppen würde bedeuten, die AfD rechtsaußen zu überholen.

Möglich wäre aber auch, dass sich die AfD insgesamt etwas mäßigt - schließlich will sie mit Blick auf die nächste Bundestagswahl im konservativen Lager anschlussfähig werden. Der Politologe Marschall glaubt, es könne sich künftig "eine Arbeitsteilung entwickeln, in der die Jugendorganisation extremere Forderungen aufstellt und so radikalere Zielgruppen als die Mutterpartei ansprechen kann", sagt Politologe Marschall.

Was ist mit dem Verbotsverfahren?

Die Jugendorganisation kann künftig nicht mehr so leicht verboten werden, weil sie zu einem Teil der Partei geworden ist. Marschall weist aber umgekehrt auf die Gefahr hin, "dass ein extremes Auftreten der Jugendorganisation nun schneller auf die Partei zurückfallen wird als noch in der alten, getrennten Organisationsstruktur".

So könnten auch Äußerungen und Aktivitäten aus der Jugendorganisation der gesamten Partei bei einem möglichen Verbotsverfahren schwerer auf die Füße fallen als bei einer getrennten Organisation. "Vieles wird davon abhängen, wie viel Beinfreiheit die neue Jugendorganisation erhalten wird", prognostiziert der Politologe.

Wer führt die künftige Nachwuchsorganisation?

Gewählt wird der neue Vorsitzende erst am Wochenende in Gießen. Der brandenburgische Landtagsabgeordnete Jean-Pascal Hohm gilt aber als einziger Kandidat für den Posten. Er wird dem rechten Rand der AfD zugerechnet und gehört dem als erwiesen rechtsextremistisch eingestuften Landesverband Brandenburg an. Seine Wahl dürfte auch die innerparteilichen Kräfteverhältnisse erneut weiter in Richtung der ostdeutschen Landesverbände verschieben.

Quelle: ntv.de, ses/AFP/dpa

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