
Nein, das sind keine Soldaten - so martialisch treten Milizen in den USA auf, hier im Januar in Richmond (Virginia).
(Foto: imago images/ZUMA Press)
In den USA gibt es mehr Waffen als Einwohner und Tausende scheinen bereit, sie zu benutzen. Zum Beispiel, wenn Präsident Trump die kommende Wahl verlieren sollte. Droht nach dem 3. November Gewalt von den rechtsextremen Milizen?
Sie marschieren mit schusssicheren Westen, Stahlhelmen und Maschinengewehren durch die Straßen, sie verehren Präsident Donald Trump und lehnen den Staat ab - private Milizen in den USA. Sie selbst halten sich für Brüder im Geiste jener amerikanischer Siedler, die 1775 zu den Waffen griffen, um das britische Joch abzuschütteln. Ihre Kritiker sehen in ihnen eher gefährliche, rechtsextreme Verrückte. Wenige Tage vor der Wahl stellt sich die Frage, wie diese paramilitärischen Kräfte reagieren, wenn ihr Idol verliert. Halten sie still? Oder halten sie dann Trump mit Waffengewalt im Weißen Haus? Droht gar ein neuer Bürgerkrieg? Genug Waffen wären im Land vorhanden - immerhin 393 Millionen Stück sind es Schätzungen zufolge. Mehr als die Vereinigten Staaten Einwohner haben.
Die kurze Antwort: Einen neuen Bürgerkrieg wird es nicht geben - auch wenn manche Möchtegern-Krieger genau darauf hoffen. Dafür gibt es viel zu wenige Milizen und diese hätten auch keine Chance, sich gegen Polizei oder gar das US-Militär durchzusetzen. Die wiederum auf dem Boden der Verfassung stehen, wie im Übrigen auch Trumps Republikaner. Zumindest hat deren einflussreicher Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, deutlich gemacht, dass der nächste Präsident am 20. Januar des kommenden Jahres ins Amt eingeführt wird, so wie es seit 1792 eine friedliche Machtübergabe gegeben habe. Wobei auch nicht unerwähnt bleiben soll, dass es manche auch für möglich halten, dass die Republikaner bei einem Trump-Staatsstreich mitmachen würden, wie etwa der Verfassungsrechtler Edward Foley in der "Washington Post" schreibt.
Die eigentliche Frage ist aber dennoch, ob verblendete Extremisten trotz allem zu den Waffen greifen und womöglich Menschen sterben, weil Trump eine Niederlage nicht anerkennt. Chaostage, Ausschreitungen, Schusswechsel sind möglich, meinen Experten. Das scheint gar nicht so weit hergeholt, wenn man bedenkt, dass Trump es zuletzt bei einem TV-Duell mit seinem Herausforderer Joe Biden vermied, sich klar von weißen Rassisten und Milizen zu distanzieren. Vor dem ganzen Land gab er sich erst ahnungslos, erwähnte dann aber eine Gruppierung namens "Proud Boys" und rief ihnen "Stand back and stand by" zu, was viele als Aufforderung verstanden, sich bereit zu halten. Inklusive der besagten Gruppe selbst, die sogleich T-Shirts mit dem Slogan bedruckte. Überdies ist auch mit vehementen Protesten der zahlreichen Trump-Gegner zu rechnen, sollte dieser das Wahlergebnis nicht anerkennen. Ein heißer Herbst ist also allemal möglich.
Miliz wollte Gouverneurin entführen
Wie gefährlich manche Milizien sind, zeigten die Pläne einer solchen Gruppierung, die Gouverneurin des Bundesstaates Michigan, Gretchen Whitmer, zu entführen, die das FBI kürzlich vereitelte. Die Milizionäre wollten mit 200 Mann deren Amtssitz stürmen und der Politikerin anschließend den Prozess wegen Landesverrats machen und sie womöglich ermorden - weil die Milizionäre nicht mit dem strengen Corona-Lockdown im Bundesstaat einverstanden waren. Whitmer forderte anschließend, nicht mehr von "Milizen" zu sprechen, sondern sie stattdessen "Terroristen" zu nennen. Ein paar Monate zuvor waren bereits Miliz-Männer schwer bewaffnet in das Parlament des Bundesstaates eingedrungen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren. Für großes Aufsehen sorgte der Fall eines 17-Jährigen in Wisconsin, der während der Proteste gegen Polizeigewalt in Kenosha zwei Menschen erschossen haben soll. Der junge Mann wurde zwar schnell den Milizen zugeschrieben, vieles deutet aber daraufhin, dass er nicht Mitglied einer solchen Organisation ist, sondern eher ein Einzeltäter war. Den aber wiederum das Gedankengut der Milizen inspirierte.
Ganz besonders im Rampenlicht standen die Milizionäre im August 2017 als sie in Flecktarn mit Neonazis, Anhängern des Klu-Klux-Klans und der Alt-Right-Bewegung in Charlottesville (Virginia) aufmarschierten. Dabei überfuhr ein Mann eine Gegendemonstrantin, die kurz darauf starb. Trump schockierte weite Teile der amerikanischen Öffentlichkeit, als er sagte, auf beiden Seiten habe es "sehr gute Leute" ("very fine people") gegeben. Nicht nur sein Herausforderer Biden wirft ihm vor, damit Neonazis und deren Gegner auf eine Stufe gestellt zu haben. Dieser sagte bei der Bekanntgabe seiner Kandidatur, er habe sich wegen dieses Tages dazu entschlossen, gegen Trump anzutreten.
Hunderte bewaffnete Gruppen mit bis zu 100.000 Mitgliedern plus weitere Sympathisanten könnte es in den USA geben, schätzt der Extremismus-Experte Mark Pitcavage von der Bürgerrechtsorgansiation Anti-Defamation League. In vielen Berichten werden sie als rechtsextreme Trump-Fans dargestellt, doch das ist nur ein - wenn auch großer - Teil der Szene. So gibt es auch harmlosere Gruppen, die sich eher als Katastrophenhelfer im Wartestand sehen und Überlebenstechniken trainieren. Wer die Regierung als solche ablehnt, ist auch nicht zwangsläufig rassistisch. "Waffen sind der gemeinsame Nenner der meisten extremistischen Anti-Regierungsgruppen. Rassismus ist es nicht", heißt es in einer Einschätzung der Wissenschaftlerin JJ MacNab von der George-Washington-Universität für den US-Kongress. Es gibt mittlerweile sogar afroamerikanische Milizen, die sich gegen Polizeigewalt und Rassismus wehren wollen. Als erste deutsche Reporterin besuchte ntv-Korrespondentin Hanna Klouth diese vor kurzem. Die meisten Gruppen sind aber weiß und rechts bis rechtsextrem.
In den frühen 90er-Jahren ging es los
Die heutige Milizbewegung reicht zurück bis Anfang der 90er-Jahre, als zwei Vorfälle die Szene befeuerten. Auf der Farm Ruby Ridge in Idaho kam es zu Schusswechseln, als Regierungsbeamte einen Rechtsextremen festnehmen wollten - dessen Sohn und seine Frau wurden erschossen. Dies führte ebenso zu Empörung wie ein Vorfall 1993 in Texas. In der Stadt Waco sollten Waffen tragende Angehörige einer Sekte festgenommen werden, wieder gab es tote Zivilisten, darunter Kinder. Diese Vorfälle führten zur Gründung zahlreicher Milizen, deren Angehörige überzeugt waren, der Regierung nicht trauen zu können. Sie sahen sich in der Tradition der Milizen aus der Zeit des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, die sich gegen die Briten erhoben.
Dass die Bundesregierung in Washington kritisch beäugt wird, ist überhaupt nicht ungewöhnlich in den USA. Das hat auch mit der dort verbreiteten Mentalität zu tun, die Eigenverantwortung groß schreibt und Einmischung der Regierung als übergriffig ablehnt. Bei den Milizen wurde aus der üblichen Distanz aber ein tiefer Hass, der in einer absurden Verschwörungstheorie gipfelte. Demnach regiere weltweit der Sozialismus und wolle die Amerikaner zu Sklaven machen. Und Washington, insbesondere der damalige Präsident Bill Clinton, versuche, genau das umzusetzen. Die Waffen abzugeben, sei der erste Schritt dahin. 1995 verübten zwei Männer sogar einen Bombenanschlag auf ein Regierungsgebäude in Oklahoma City.
In dieser Zeit glaubte man bei den Milizen, das Jahr 2000 bringe den großen Knall - weil dann die Computer wegen des Jahrtausend-Wechsels streiken würden und die böse Regierung das für sich nutzen werde. Als das nicht eintrat und mit George W. Bush überdies ein aus ihrer Sicht weniger verabscheuungswürdiger Mann ins Weiße Haus einzog, ging es mit den Milizen bergab. Dank der sozialen Medien und einer neuen Hassfigur - Barack Obama - bekamen sie in späteren Jahren aber wieder Zulauf. Dabei stachen die "Three Percenters" hervor. Die gehen davon aus, dass während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges nur drei Prozent der Siedler in den Kolonien gegen die Briten kämpften - und daher auch nun wieder nur so wenige Kämpfer für einen Umsturz notwendig seien.
Trump stürzt sie in ein Dilemma
Umsturz ist genau das, was viele Milizen wollen, um dann das Land nach ihren Vorstellungen wieder aufzubauen. Als Donald Trump sich um die Präsidentschaft bewarb, kam das diesem Umsturz näher als alles andere - in Scharen unterstützten sie den Geschäftsmann, von dem sie sich erhofften, er werde in Washington mal so richtig aufräumen. Es war das erste Mal überhaupt, dass Milizen sich für einen Mainstream-Kandidaten aussprachen. Allerdings stürzte sein Wahlsieg die Gruppierungen in ein Dilemma. Denn nun stand "ihr Mann" für die seit Jahrzehnten verhasste Bundesregierung in Washington. Den Widerspruch umschifften die bewaffneten Gruppen, indem sie sich einfach neue Feinde suchten. Die Antifa zum Beispiel, die sich bei Protesten gegen Trump hervorgetan hatte.
Milizen versuchten nun beispielsweise, bei Veranstaltungen des Präsidenten für "Schutz" vor Gegendemonstranten zu sorgen. Die bewaffneten Gruppen tauchten bei den Black-Lives-Matter-Protesten auf, die nach dem Mord an George Floyd durch amerikanische Städte zogen. Dabei kam es am Rande auch zu Plünderungen, wogegen die Milizen wiederum vorgehen wollten. Außerdem versuchten sie etwa zu verhindern, dass umstrittene Statuen niedergerissen wurden. Dass Trump sich nicht von den Milizen distanzierte, dürfte also kein Zufall sein. Ebenso wenig, dass er so vehement gegen die "Antifa" wettert, obwohl diese Gruppen zahlenmäßig kaum eine Rolle spielen.
Angesichts all dieser Fakten - möglicherweise 100.000 Mann unter Waffen, Gewaltbereitschaft, Treue zu Trump - kann einem schon mulmig werden, sollte der Amtsinhaber die Wahl verlieren. Gilt dann immer noch "Stand back"? Oder ruft er sie mehr oder weniger direkt zur Aktion auf? Trump ist das sicher zuzutrauen. Doch man sollte die paramilitärischen Gruppen auch nicht überschätzen - ihnen fehlt die Ausbildung, außerdem sind sie nicht effizient organisiert. Jede Gruppe operiert mehr oder weniger für sich allein. Viel entscheidender ist aber wohl, dass viele Mitglieder der Milizen dann wohl doch keine extremistischen Fanatiker sind, die zu allem bereit sind.
Doch nur "Waffennarren"?
So schrieb der Journalist und Autor eines Buches über Milizen, John Temple, in der "Washington Post", dass viele den Milizen nicht in erster Linie aus weltanschaulichen Gründen beitraten, sondern eher, weil sie die Kameradschaft genössen oder sich für Waffen interessierten - eben "Pfadfinder mit Waffen" zu sein, wie ein gemäßigtes Milizmitglied in einer Doku des TV-Senders ABC sagte. Außerdem hätten die Gruppen verschiedene ideologische Schwerpunkte. So gebe es auch viele, die Trump doch ablehnten, eben weil er nun für die Bundesregierung stehe. Temple zufolge sind die Milizen auch nicht durch die Bank gewaltbereit. Diese böten manch einem Unzufriedenen gar ein Ventil und unterdrückten womöglich sogar Gewalt-Tendenzen. Von Einzeltätern gehe viel größere Gefahr aus als von organisierten Gruppen.
Ob es nun solche Einzeltäter aus dem Dunstkreis der Milizen oder mehrere Bewaffnete sein werden - dass es im Falle einer Trump-Niederlage zu Gewalt kommt, ist möglich. So schrieb die Wissenschaftlerin MacNab in ihrer Stellungnahem für den Kongress, es werde in der Szene darüber geredet, im Falle eines Falles einen Bürgerkrieg zu starten. Auch sie hält es aber für wahrscheinlicher, dass Einzelne Aktionen durchführen. Das kann für viel Leid sorgen, wird aber den Staat nicht ins Wanken bringen. Doch damit wäre es noch nicht vorbei - sollte ein Präsident Biden konsequenter auf die Einhaltung von Corona-Maßnahmen wie Maskenpflicht oder auch Geschäftsschließungen dringen, könnte das ebenfalls zu Widerstand führen. Denn die Corona-Pandemie halten die Milizen ebenfalls für eine Verschwörung mit dem Ziel, sie zu unterdrücken. Ein Problem werden sie also bleiben. Ob mit oder ohne Trump.
Korrektur: Zunächst hatte eine Formulierung den Eindruck erweckt, der Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, habe gesagt, der Präsident werde seit 200 Jahren am 20. Januar eingeführt. Er wird aber erst seit 1937 an diesem Datum vereidigt. McConnells Zitat bezog sich darauf, dass es seit 1792 stets eine friedliche Übergabe der Macht gab.
Quelle: ntv.de