"Cohn-Bendits eitles Gegrinse" Wie pädophil waren die Grünen?
12.11.2014, 13:53 Uhr
Die Grünen bei ihrem Gründungsparteitag 1980 in Karlsruhe
(Foto: imago stock&people)
Im Bundestagswahlkampf 2013 geraten die Grünen unter Zugzwang. Der Auslöser sind Pädophilie-Vorwürfe, die auf die Anfangszeit der Partei zurückgehen. Auch ein Untersuchungsbericht kann die Grünen nicht entlasten.
Die Bombe geht im März 2013 hoch: Andreas Voßkuhle, Deutschland höchster Verfassungsrichter, weigert sich, eine Laudatio auf Daniel Cohn-Bendit zu halten. Grund dafür ist ein Buch von 1975, indem der Grüne über sexuelle Flirts mit Kindern geschrieben hatte. Was folgt, ist eine monatelange Debatte zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Im Bundestagswahlkampf müssen sich viele Helfer an den Ständen derbe Sprüche gefallen lassen, das Wahlergebnis am 22. September fällt enttäuschend aus. Nicht wenige sehen die Pädophilie-Debatte als Ursache.
Die Grünen wollen die Vorwürfe aufklären. Im Juni 2013 beauftragen sie den Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter, die Vergangenheit der Partei zu untersuchen. Walter und sein Team besuchen Archive und sprechen mit Zeitzeugen. Nun haben die Wissenschaftler ihren mit Spannung erwarteten Abschlussbericht vorgelegt. Wie pädophil waren sie nun also, die Grünen?
Walter beginnt seinen Auftritt mit Humor. Er wolle niemanden enttäuschen, aber in einer Hinsicht sei die Untersuchung nicht ergiebig, sagt er zu den Journalisten. "Es wird kein Promikopf rollen", sagt er. Walters Fazit: Die Grünen waren keineswegs der Urheber der Pädophilie-Debatte. Die historischen Wurzeln lagen im deutschen Linksliberalismus der 1960er und 70er Jahre. Werte wie Emanzipation, Freiheit sowie die Befreiung der sexuellen Bedürfnisse seien heute zwar häufig positiv assoziiert, gleichzeitig jedoch auch Nährboden gewesen für Forderungen nach einer Liberalisierung des Strafrechts.
"Minderheiten wurden veredelt"
Große Verlage hätten Schriften von Pädophilie-Apologeten verlegt. Eine große Rolle habe auch die Wissenschaft gespielt. Dass Sex mit Kindern für diese keine nachhaltigen Schäden habe, sei damals von einer Vielzahl von Forschern vertreten worden. Ein gängiges Argument lautete: Ein Kind würde vor allem dadurch traumatisiert, dass es im Anschluss an den Missbrauch von verschiedenen Seiten befragt werde. Warum also keine Straffreiheit? "Niemand hat dem richtig widersprochen, auch nicht die konservative Presse", sagt Walter.
Doch völlig entlasten können er und seine Mitarbeiter die Grünen nicht. Die Forderungen von Befürwortern linksliberaler Freizügigkeit und Pädophilie seien Ende der 70er in die neu entstehende Partei eingeflossen. Walter zieht an dieser Stelle sogar den Vergleich mit der AfD und den Piraten. Neue Parteien zögen viele Leute an, vor allem Minderheiten. Aus machtpolitischen Gründen sei es üblich gewesen, dass viele Minderheiten, darunter auch die Verfechter der Straffreiheit für Pädophilie, ihre oft widersprüchlichen Positionen addiert und ohne Absprache zwischen 1979 und 1985 in eine Vielzahl von Programmen gebracht hätten. "Bei den Grünen wurden Minderheiten nicht nur toleriert, sie wurden als wertvoll erachtet und veredelt."
Grünen-Chefin Simone Peter lauscht Walters Ausführungen mit ernster Miene, gelegentlich nickt sie zustimmend. Täter hätten "aus unseren Beschlüssen damals Legitimität empfinden" können, räumt sie ein. Man habe inzwischen eine Telefonhotline eingerichtet, vier Betroffene hätten sich bereits gemeldet, drei davon von Fällen ohne direkte Verbindung zur Partei. Die Grünen distanzierten sich heute "mit Entschiedenheit" und bedauerten ihre damalige Haltung "zutiefst". Man hätte die Konsequenzen "viel früher" tragen müssen und werde sich "der Verantwortung stellen". Nach einigen Minuten gibt es kein Synonym mehr für Reue und Entschuldigung, das Peter noch nicht genannt hat.
Wie groß ist die Schuld?
Immerhin: Walter lobt die Grünen auch, nicht nur für ihren Aufklärungswillen. Weder bei der Kirche noch bei Pfadfindern habe es jemals eine so offene Debatte gegeben. Er habe außerdem nie unter so günstigen Bedingungen und derart geringer Einflussnahme des Projektförderers geforscht.
Walter, der in den späten 70ern sozialisiert wurde und sich selbst als "biederen sozialdemokratischen Reformisten" beschreibt, gibt vor, viele Verrücktheiten der 70er erlebt zu haben. "Aber so etwas gab es in meinem Milieu nicht." Als typischen Zeitgeist will Walter das Thema Pädophilie ohnehin nicht einordnen. Die Grünen seien Avantgardisten gewesen und nicht an den Zeitgeist angepasst. "Den wollten sie ja eben aufbrechen."
Wie groß die historische Schuld der Grünen sei? Walter und sein Team argumentieren auf diese Frage vor allem parteienrechtlich. Politische Parteien besäßen eine privilegierte Stellung. Sie trügen zur Willensbildung der Nation bei, mit Programmen, die letztlich in Gesetze einfließen. Die Grünen hätten in ihrer Entstehungsphase massiv von der Parteienfinanzierung profitiert. "Eine Partei ist kein Diskutierklub. Für diese zwei bis drei Jahre, in denen man solche Positionen akzeptiert hat, tragen sie daher eine erhebliche Verantwortung", sagt der Wissenschaftler und wird deutlich: "Als Cohn-Bendit 1982 im Fernsehen mit seinem eitlen Gegrinse solche Dinge gesagt hat, war er kein kleiner Junge mehr."
Quelle: ntv.de