Antrittsbesuch in Berlin Wie viel Merkel steckt in May?
20.07.2016, 12:02 Uhr
Was ihre Gestik angeht, scheinen Theresa May und Angela Merkel ähnliche Posen zu bevorzugen.
Premierministerin May und Bundeskanzlerin Merkel werden oft miteinander verglichen. Dabei haben sie vor allem eins gemeinsam: Beide sind verheiratet, kinderlos und Pastorentöchter. Aber deshalb ist May nicht gleich Englands neue Merkel.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die neue britische Premierministerin Theresa May nach Deutschland eingeladen. Am Mittwoch ist es so weit, May kommt zum Antrittsbesuch nach Berlin. Im Vorfeld dominiert besonders ein Gesprächsthema: Neben den schwierigen Verhandlungen über den Brexit geht es darum, wie ähnlich sich die beiden Politikerinnen sind.
Die Parallelen zwischen den Regierungschefinnen sind offensichtlich. Beide sind Frauen, in den 50er-Jahren als erstes Kind eines Pfarrerhaushalts geboren und beide arbeiteten in anderen Berufen, bevor sie ihre politische Karriere begannen – Merkel als Physikerin, May bei der englischen Notenbank. Doch dass sich beide wegen dieser Gemeinsamkeiten gut verstehen, heißt das noch nicht.
May hat eine schwierige Aufgabe im Gepäck. Sie muss in naher Zukunft die Bedingungen für den EU-Austritt Großbritanniens aushandeln. Der Brexit soll auch im Gespräch mit Merkel im Mittelpunkt stehen. Die 59-Jährige sprach sich vor dem Referendum zwar für einen Verbleib Großbritanniens in der EU aus, gehörte aber schon immer zu den Europakritikern im britischen Parlament. Dementsprechend hatte May auch kaum für die EU geworben. "Brexit bedeutet Brexit", sagte sie nach der Entscheidung. Die Bundeskanzlerin wünschte sich hingegen bis zur Abstimmung Ende Juni, dass das Vereinigte Königreich ein aktives Mitglied der Europäischen Union bleibt. Bei den Austrittsverhandlungen vertreten die beiden also verschiedene Auffassungen. Merkel signalisierte bereits, dass May nicht mit Zugeständnissen rechnen dürfe.
May gilt als weniger konsensorientiert
Doch die neue Premierministerin Großbritanniens wird damit umzugehen wissen. Schließlich ist sie eine erfahrene Politikerin, wenn auch als ehemalige Innenministerin vor allem auf dem Feld der Innenpolitik. Als Außen- oder Wirtschaftspolitikerin hat sie ihre Standpunkte noch nicht zu erkennen gegeben. Bekannt ist sie vor allem für ihre harte Immigrationspolitik, was sie deutlich von Merkel unterscheidet. Die Bundeskanzlerin ist in der Flüchtlingpolitik mit den Worten "Wir schaffen das" in eine ganz andere Richtung gegangen, gegen den Rat ihrer Partei und gegen den Widerstand anderer europäischer Länder. Eigentlich ein Handeln, das besser zu May passen könnte, die oft als nicht so konsensorientiert wie Merkel beschrieben wird.
Wenn es um die Austrittsverhandlungen geht, wird May wahrscheinlich dennoch die Mittlerposition suchen. Dafür bringt die Politikerin die Eigenschaften mit, die auch die Bundeskanzlerin besitzt. Beide sind kompetent, pragmatisch und zielstrebig. Merkel und May haben es an die Spitzen ihrer konservativen Parteien geschafft und sich gegen ihre alteingesessenen, männlichen Kollegen durchgesetzt - aber mit unterschiedlichen Taktiken: Die Bundeskanzlerin brachte sich bereits 1999 für den Parteivorsitz und noch höhere Aufgaben in Position, als sie in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" die CDU zum Abnabeln von Übervater Helmut Kohl aufforderte. Damit ging sie in die Offensive. Als Wolfgang Schäuble schließlich über die Spendenaffäre stolperte, war sie zur Stelle. So viel Eigeninitiative brauchte May nicht. Ihre männlichen Kollegen räumten sich von Anfang an gegenseitig aus dem Weg. Die einzige weibliche Gegenkandidatin, Andrea Leadsom, gab schließlich auf.
May mit Merkel-Raute gesichtet
Die Presse halten die Regierungschefinnen beide auf Abstand, ihr Privatleben ist privat. Doch auch wenn May über sich selbst sagt, sie trage das Herz nicht auf der Zunge, erzählt die Premierministerin doch das eine oder andere Detail, das man von der Bundeskanzlerin nicht hören würde. So sprach die Premierministerin in der Vergangenheit über ihre Gewichts-Schwankungen und die Tatsache, bei ihr sei Typ-1-Diabetes festgestellt worden. Auch allerhand schlüpfrige Sprüche soll es von May schon gegeben haben. "Früher täuschten die Frauen Orgasmen vor, konnten aber Minzplätzchen backen. Heute haben wir Orgasmen - aber wir täuschen das Minzplätzchenbacken vor", beschreibt May das Dilemma moderner Karrierefrauen. So etwas wäre Angela Merkel nie über die Lippen gekommen. Sie gibt sich zugeknöpft und distanziert.
Modisch wirken die Unterschiede der beiden Frauen klarer als sie eigentlich sind: Merkel kleidet sich betont zurückhaltend, fast langweilig. Sie trägt zwar Blazer in allen Farben, die der Regenbogen so hergibt und damit fällt sie auf neben den wichtigsten Staatschef der Welt in ihren dunklen Anzügen. Dennoch wirkt sie immer noch bescheiden und bodenständig, so wie die Bürger ihre Bundeskanzlerin sehen wollen.
May mag es dagegen extravagant. Die britische Premierministerin liebt ausgefallene Outfits. Die Medien stürzen sich besonders auf ihre auffälligen Schuhe, ganze Bilderstrecken gibt es davon schon, Leoparden-Pumps in Hülle und Fülle. Zum Parteitag trägt May dann auch gerne mal einen Designer-Hosenanzug, in dem Tage zuvor Supermodel Cara Delevingne fotografiert wurde. Britisches Understatement sieht anders aus. Trotz ihres souveränen Auftretens scheint sich die neue Premierministerin aber durchaus auch Inspiration bei der Bundeskanzlerin zu holen. Mehrmals wurde May schon mit zur Merkel-Raute geformten Händen gesichtet.
Quelle: ntv.de