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Leiterin der KAS in Afghanistan "Würde jederzeit wieder nach Kabul fahren"

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Taliban auf den Straßen Kabuls - tatsächlich sei mittlerweile Frieden in Afghanistan, sagt Ellinor Zeino.

Taliban auf den Straßen Kabuls - tatsächlich sei mittlerweile Frieden in Afghanistan, sagt Ellinor Zeino.

(Foto: IMAGO/ABACAPRESS)

Sie war eine der letzten Deutschen, die Afghanistan vor zwei Jahren nach der Machtübernahme der Taliban verlassen haben, jetzt zählt sie zu den ersten, die wieder hingefahren sind: Dr. Ellinor Zeino, Leiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung Südwestasien mit Sitz in Taschkent, Usbekistan.

ntv.de: Frau Zeino, nach zwei Jahren sind Sie erstmals wieder nach Kabul zurückgekehrt, unter Herrschaft der Taliban. Sind Sie leichtsinnig oder lebensmüde?

Ellinor Zeino: Beides nicht! (lacht) Zum einen ging es um eine Bestandsaufnahme im Auftrag der Stiftung, weil wir unser Haus dort nahezu fluchtartig evakuieren mussten, die Bankkonten gesperrt und unsere Fahrzeuge gestohlen wurden. Die zweite Aufgabe bestand darin, zu schauen, wie sind die Realitäten vor Ort.

Und, wie ist die Lage?

Die allgemeine Sicherheitslage hat sich deutlich verbessert. Der Krieg ist vorbei. Man kann das erste Mal seit vielen Jahren sicher durchs Land reisen. Was mich überrascht hat, ist, dass sich das Stadtbild in Kabul kaum verändert hat. Man sieht Frauen genauso wie früher, auch in der gleichen Kleidung. Es ist aber natürlich ein anderes Land unter dem Emirat. Zwei Punkte sind hervorzuheben: Die Bildungsbeschränkungen für die Frauen und die desolate Wirtschaftslage. Die Einschränkungen für die Frauen sind natürlich für uns überhaupt nicht nachvollziehbar, auch nicht für andere konservative muslimische Länder.

Ellinor Zeino ist für die Konrad-Adenauer-Stiftung nach Afghanistan zurückgekehrt - und berichtet Überraschendes.

Ellinor Zeino ist für die Konrad-Adenauer-Stiftung nach Afghanistan zurückgekehrt - und berichtet Überraschendes.

(Foto: Mary Papadopoulou)

Die Bundesregierung erkennt die Regierung der Taliban nicht an, hat die Entwicklungshilfe fast vollständig gestrichen.

Es ist folgerichtig, dass wir nicht mit der Regierung zusammenarbeiten, also der Regierung keine Unterstützung gewähren. Die Frage ist, wie man die Bevölkerung erreichen kann.

Hilft die "feministische Außenpolitik", ausgerufen von der deutschen Außenministerin? Wie kommt das an in Afghanistan?

Es wird sehr kritisch gesehen, dass sich der Westen zurückgezogen hat und aktuell mit hohen moralischen Standards rote Linien gesetzt werden. Das hilft den Menschen vor Ort überhaupt nicht. Auch andere Länder, die diesen Ansatz Deutschlands nicht offiziell verfolgen, setzen rote Linien hinsichtlich ihrer Werte. Viele Afghanen aber, auch die fortschrittlicheren, sagen, je mehr man Frauen- und Minderheitenrechte zur Agenda macht, desto mehr gefährdet man ihre Interessen und bringt sie in eine eher schwierige Position. Das ist ein Dilemma.

Was empfehlen Sie? Wie sollte man mit den Taliban umgehen?

Diese Frage ist zentral. Vieles ist sinnvoller, wenn man pragmatisch Schritt für Schritt guckt, wie man an die Menschen herankommt. Man muss schauen, wie man mit den Menschen einerseits in Kontakt bleibt und andererseits mit der Regierung einen Dialog führt und vielleicht gewisse Dinge aushandeln kann. Die Taliban sind untereinander gespalten. Die pragmatischeren, mit denen ich gesprochen habe, leiden wie alle anderen darunter, dass sie ihre Töchter nicht zur Schule schicken können. Die Entscheidungsträger sitzen aber in Kandahar, das sind sehr reaktionäre, konservative Kräfte.

Sollte der Westen das Engagement in Afghanistan trotz allem verstärken? Kann man damit etwas erreichen?

Ich sehe es eher pessimistisch, dass vermehrtes Engagement jetzt möglich ist. Es geht um einen langfristigen Prozess, man braucht sicherlich einen langen Atem.

Was müssten ihrerseits die Taliban leisten, wenn sie denn wollten, dass ihr Land nicht länger von der internationalen Gemeinschaft weitgehend isoliert wird?

Da gibt es international keine klare Antwort. Unterschiedliche Regierungen definieren unterschiedliche Ziele. Wir setzen vor allem die Bildungsfreiheit für die Frauen und die Menschenrechte an erster Stelle. Russland hingegen ist einer der vehementesten Verfechter von Inklusivität. Inklusivität bedeutet, dass unterschiedliche Gruppen an der Regierung der Taliban beteiligt werden sollen. Ein säkularer Afghane sagte dazu, wenn ihr mit Inklusivität meint, dass jetzt wieder die früheren Kriegsfürsten nach Kabul kommen und beteiligt werden, dann verzichten wir gerne auf Inklusivität.

Das Auswärtige Amt hat das Bundesaufnahmeprogramm von Ausreisewilligen wegen Missbrauchs vorübergehend gestoppt, wird dafür von Hilfsorganisationen massiv kritisiert. Wie sehen Sie die Lage? Muss man den Menschen unter allen Umständen helfen?

Ich kann jeden verstehen, der das Land verlassen möchte, weil es keine wirtschaftlichen Perspektiven und weil es ohne Bildungsfreiheit auch für die Kinder keine Zukunft gibt. Gleichzeitig habe ich großen Respekt vor Menschen, die sagen, sie bleiben im Land. Die sagen, sie wollen weiterhin versuchen, sich dort wirtschaftlich über Wasser zu halten. Die befürchtete strukturelle Gewalt gegen Angehörige der ehemaligen Regierung oder Ortskräfte ist zum Glück nicht eingetreten.

Sollten abgelehnte Asylbewerber aus Deutschland zurück nach Afghanistan geschickt werden?

Das ist schwierig zu beantworten. Es gibt eine Amnestie seitens der Regierung, meines Wissens auch eine Amnestie gegenüber Straftätern, die Straftaten im Ausland begangen haben. Mir sind bislang noch keine Fälle bekannt, dass es vor Ort dann zu Verfolgungen kam.

Sie betreuen jetzt die gesamte Region von Taschkent aus, der Hauptstadt Usbekistans. Würden Sie dauerhaft nach Afghanistan zurückkehren, wenn man Sie ließe?

Es ist nicht ganz leicht, von Usbekistan aus oder aus einem anderen Land heraus effektiv zu arbeiten. Aber letzten Endes ist es eine politische Entscheidung, ob man vor Ort Präsenz zeigen möchte. Momentan sehe ich dafür keine Bereitschaft. Ich persönlich würde jederzeit wieder nach Kabul fahren.

Mit Ellinor Zeino sprach Christian Wilp

Quelle: ntv.de

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