
Der "Cricketer English Pub" in Paris hat Brexit-Bier auf Lager.
(Foto: REUTERS)
Das vielleicht einzig Gute am politischen Drama um den Brexit? Die Briten können darüber lachen! Und selbst wenn ihre Witze nicht ausreichen, um die Frustration zu besiegen - auf jeden Fall beweisen sie wieder viel Selbstironie.
Der Brexit beflügelt die Fantasie der Briten. Sie zeigen große Freude darin, sich mit Kreativität und Witz über die vertrackte Lage zu äußern und für den Frust zu entschädigen, den Befürworter und Gegner des EU-Austritts gleichermaßen empfinden. In guter alter Tradition reicht ihr Humor von seichter Selbstironie ("Ikea has better cabinets") bis hin zu Zynismus, Fatalismus und einer bestimmten, typisch britischen Selbstzerfleischung, die in englischer Sprache als "self-deprecation" bezeichnet wird.
Je mehr sich das Drama zuspitzt, desto mehr tritt die bissige Selbstironie der Briten ins Rampenlicht. Man kann sie auch als Selbsttherapie bezeichnen, um die Schmerzen zu lindern, die das politische Leben und überhaupt die britische Geschichte bereitet. Das Stilmittel des sogenannten "Comic Relief" geht zurück auf William Shakespeare und wurde in vielen britischen Fernsehserien aufgegriffen, in denen auch Anspielungen auf Europa nie zu kurz kamen - zum Beispiel "Fawlty Towers", "Yes Minister", "Black Adder" oder "Little Britain".
Mittlerweile hat die Realität die Fiktion längst eingeholt. Fassungslos sitzen viele Briten vor ihren Bildschirmen und greifen zum dritten oder vierten "meaningful drink", wenn Theresa May ihren Brexit-Deal wieder einmal als "meaningful vote" ins Parlament einbringt. Schon die Terminologie macht deutlich, wie leicht sich politische Sprache in dieser Zeit nur noch in realsatirischer Weise begreifen lässt. Wer in den Manövern und Winkelzügen der Regierung irgendein "meaning" erkennen will, spricht auf jeden Fall lieber von "Little England" als von "Global Britain" und kreiert Wortspiele wie "Untied Kingdom", das am Ende vom "United Kingdom" übrig bleiben könnte, wenn die Schotten wirklich austreten. Und wer weiß, was noch in Nordirland passiert …
Apropos Wortspiele: Die meisten sind in den vergangenen Jahren wohl um das Kunstwort "Brexit" selbst entstanden. Es eignet sich auf besondere Weise, um weitere Kunstwörter zu bilden. Ich habe schon vor zwei Jahren in einem "Brexikon" verschiedene Begriffe wie "Bremoaners", "Bregretter" oder "Bremainers" erklärt. Neu hinzugekommen sind in der Zwischenzeit die "Brextremists" und ganz neu "Therexit".
Die wohl fantasievollste selbstironische Beschreibung für den Brexit, die auch jedes Kind versteht, ist das Einhorn: the Unicorn. Es symbolisiert das Unmögliche, die tausendundeine Illusion sowie die falschen Versprechen und Lügen, die Theresa May verbreitet hat. Zum Beispiel immer und immer wieder: "We will leave the EU on the 29th of March." Dem scheuen Fabelwesen ähnlich hat sich das Datum bekanntlich in Luft aufgelöst, als man ihm wirklich immer näher kam.
Allen ist klar, dass Theresa May unaufhörlich denselben Sermon abspielen musste, um Entschlossenheit zu demonstrieren. Dafür erntete sie von Anfang an den Spitznamen "Maybot" - als kämen ihre Worte bloß aus einem langweiligen und nicht gerade an einem guten Zweck orientierten Rechner. Und weil sich das Wörtchen "may" - über die mit Sicherheit total zufällige Bedeutung des "maybe never" hinaus - für allerlei Wortspiele eignet, nennt der Nachrichtensender Channel 4 seine allabendlichen Berichte aus Westminster ganz im Ernst "Brexit Mayhem". Milde könnte man das mit "Chaos" übersetzen. Im "Oxford English Dictionary" ist aber auch von "violent or extreme disorder" die Rede. Eine nationale Selbstverstümmelung also. Super-self-deprecation!
Die für meinen Geschmack schönsten Beispiele bissiger Selbstironie liefert der Karikaturist Matt Pritchett, der ausgerechnet für den "Telegraph" zeichnet, also für eine Redaktion, die mehrheitlich konservativ tickt und den Austritt des Königreichs aus der EU vehement befürwortet. Da soll noch einer behaupten, Brexiteers hätten keinen Sinn für Humor! "Matt Cartoons" (so ihr Name) zeichnen sich durch eine besondere Lakonie aus. Sie wird deutlich, wenn zwei Polizeimännchen vor dem Sitz der Premierministerin stehen und sagen: "I wish Cabinet Ministers would stop asking me what's going to happen." Oder wenn ein Freier seiner weglaufenden Angehimmelten am Strand hinterherruft: "Wait! I want to ask you for a third time!"
Eines steht fest: So wenig Kreativität der Brexit in den Köpfen der britischen Regierung freisetzen mag, um zu einer guten Lösung zu kommen, so sehr regt er die Bevölkerung an, über alle Verbitterung und Parteinahme hinaus auch jeden Tag neue #brexitjokes zu veröffentlichen: bei Twitter, Facebook oder YouTube. Eine Kostprobe:
- "Hello I'm from Britain. You know, the one that got tricked by a bus."
- "Congrats! The Petition to revoke article 50 will be discussed on April fool's day."
- "With Britain leaving the EU how much space was created? Exactly 1 GB."
Auf der TV-Bühne üben sich derweil die satirischen Großmeister. So wie der Brite John Oliver, der in seiner US-amerikanischen Sendung "Last Week Tonight" den Brexit mit dem Vesuv verglich und die Entscheidung seiner Landsleute mit seinem Ausbruch: "Brexit is as if the people of Pompeii had voted for the volcano."
Dass die ganze Angelegenheit auch ein bisschen mit Deutschland und dem letzten Weltkrieg zu tun haben könnte, daran erinnerte Jimmy Carr, als er den in London lebenden deutschen Comedian Henning Wehn zu Gast in seiner Sendung "Countdown" hatte: Es sei gut, einen Deutschen da zu haben, dann hätte man gleich eine Geisel, wenn der Krieg beginnt. Mit brachialem Humor, einem Maschinengewehr ähnlich, schoss der Deutsche zurück: "Everyone who voted for Leave should be shot!" Das englische Publikum lachte und applaudierte.
Eine besonders starke Metapher, die auch jeder erwachsene Brite versteht und deshalb immer wieder aufkommt, liegt oder besser gesagt: schwimmt im Tee. Einmal sind da die Teeblätter, die ausgerechnet "leaves" heißen. Und andererseits ist da die immer wiederkehrende, schrecklich banale Entscheidung rund um den Teebeutel: "leave" oder "remain"?
Der Comedian James Acaster hat den Witz schon vor zwei Jahren herrlich auf den Punkt gebracht: "Rein oder raus ist eine schwierige Entscheidung. Als mir mein Mitbewohner einen Pfefferminztee machte, wollte er wissen, ob ich den Teebeutel drinlassen oder herausnehmen will. Tja, das ist nicht leicht! Wenn man den Beutel drinlässt, kann der Tee in der Tasse besser ziehen, was den Beutel schwächer zu machen scheint - ihn aber eins werden lässt mit einem insgesamt stärkeren Tee. Nimmt man den Beutel hingegen heraus, bleibt der Tee ziemlich schwach. Und der Beutel landet direkt im Müll."
Dreimal dürfen Sie raten, wie die Teebeutel - sorry, wie die Zuschauer im Publikum reagiert haben: Sie haben sich weggeschmissen vor Lachen!
Quelle: ntv.de