
Schwerer Gang: Lauterbach erklärt seinen "Fehler" vor der Presse.
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Karl Lauterbach nimmt das Ende der Isolationspflicht für Corona-Infizierte zurück und spricht von einem "Fehler". Tatsächlich aber ist es bei weitem nicht das erste Mal, dass der Bundesgesundheitsminister hinter den selbstgesteckten Erwartungen zurückbleibt.
Als Bundeskanzler Olaf Scholz im Herbst seine SPD-Minister präsentierte, war Karl Lauterbach der sozialdemokratische Star im neuen Kabinett - Epidemie-Experte, Professor und Corona-Erklärer der Nation. Seine Nominierung war Scholz' Zugeständnis an die Tatsache, dass der Gesundheitspolitiker aus Leverkusen sich in Zeiten der Pandemie wie kein anderer Abgeordneter das Vertrauen vieler Menschen erworben hatte. Zweifel, ob der in Teilen seiner Partei als Solo-Spieler verrufene Lauterbach wirklich geeignet war, wischte Scholz beiseite. Der Gesundheitsökonom war das personifizierte Versprechen der Ampel, dass sie eine stringentere Pandemiepolitik liefern würde als sein Vorgänger, Gesundheitsminister Jens Spahn. Auf den Tag genau vier Monate später ist von diesem Versprechen nichts mehr übrig. Unter Lauterbachs Verantwortung ist das Pandemie-Geeier der Bundesregierung schlimmer denn je, auch wenn er nichts dafür kann, dass die FDP so gänzlich andere Auffassungen hat als die allermeisten Abgeordneten von SPD und Grünen.
Am Donnerstagabend gibt Karl Lauterbach in einer Talkshow bekannt, dass er Pläne zur Aufhebung der Isolationspflicht von Corona-Erkrankten wieder zurücknimmt. Zuvor hatte es massive Kritik gegeben, weshalb Lauterbach nachts um halb drei auf Twitter erklärt: "Hier habe ich einen Fehler gemacht." Fehler können passieren, erst recht auf den ersten Metern Regierungserfahrung. Die Fehler einzugestehen, ist ehrenwert. Doch tatsächlich ziehen sich Kommunikationspannen und Fehleinschätzungen wie ein roter Faden durch Lauterbachs noch junge Amtszeit.
Die zwei Lauterbachs
Wieso Corona-Erkrankte den Arbeitsplatz aufsuchen dürfen sollten, obwohl jetzt schon viele Betriebe von hohen Krankenständen geplagt sind, während die Bundesregierung im Februar noch panisch vor einer Gefährdung der kritischen Infrastruktur durch zu viele gleichzeitig Erkrankte warnte, ist mindestens widersprüchlich. Der Vorgang erinnert an Anfang Februar, als Lauterbach den Anspruch auf PCR-Testungen mangels vorbereiteter Testkapazitäten erst streichen wollte und dann klammheimlich wieder zurückruderte.
Lauterbachs Corona-Kurs mutet zunehmend schizophren an. Der Grund: Mal spricht der Epidemiologe Lauterbach, der ein düsteres Bild von der aktuellen Corona-Lage und den Pandemie-Szenarien im kommenden Herbst zeichnet. Mal spricht der Bundesgesundheitsminister, der um des Koalitionsfriedens willen Kompromisse bewirbt, die der Epidemiologe Lauterbach für grundfalsch hält - so wie beim Wegfall der bundesweiten Maskenpflicht. Welche seiner beiden Persönlichkeiten gerade spricht, scheint Lauterbach selbst nicht immer ganz klar zu sein.
Bei Impfpflicht erst nicht überzeugt, dann nicht stringent
Zusammen mit Scholz wirbt Lauterbach seit dem Herbst für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren, die ursprünglich schon im Februar hätte kommen sollen. Die Ampelfraktionen haben sich nach monatelangem, kräftezehrendem Ringen nun auf eine Impfpflicht ab 60 Jahren geeinigt, von der sie nicht wissen, ob sie am Donnerstag eine Mehrheit bekommt. Diesen Kompromiss aber will Lauterbach nun unbedingt beschlossen wissen, obwohl er alles unterhalb einer Impfpflicht ab 18 Jahren vor zwei Wochen noch entschieden abgelehnt hat.
Lauterbach fällt beim Impfpflicht-Desaster dreierlei auf die Füße: Er hat vor seinen vollmundigen Ankündigungen nicht die Erfolgschancen eines solchen Gesetzes geprüft, also fehlendes strategisches Geschick gezeigt. Zweitens ist es Lauterbach bis heute nicht gelungen, zumindest die eigenen Reihen von der Notwendigkeit einer Impfpflicht ab 18 Jahren zu überzeugen. Drittens steht Lauterbachs Werben für das Ende fast aller Corona-Schutzmaßnahmen, das er als Minister der FDP zuliebe mitträgt, in krassem Widerspruch zu den Warnungen des Epidemiologen Lauterbach vor einer unverändert hohen Gefährdung der Bevölkerung durch die Pandemie.
Ist Lauterbach bereit für den Herbst?
Einen fatalen Eindruck macht auch, dass der ebenfalls groß angekündigte Pflegebonus erst zur zweiten Jahreshälfte bei den Pflegenden ankommt. Der sieht zwar inzwischen tatsächlich fachlich gut gemacht aus. Doch während das Geld auf sich warten lässt, setzt sich der personelle Aderlass in den Kliniken unvermindert fort. Auch hier bleibt der von seinen Fans als "Karl der Große" gefeierte Hoffnungsträger hinter den selbst geweckten Erwartungen zurück.
Fehleinschätzungen, nicht durchdachte Kommunikation und vorschnelle Entscheidungen zeichnen das Bild eines sowohl mit seinem Haus als auch mit seiner Rolle im Bundeskabinett überforderten Ministers. Karl Lauterbach wird seine Lehren daraus ziehen müssen: Wenn der Epidemiologe Lauterbach Recht behält, braucht das Land spätestens im Herbst einen nicht nur medizinisch kundigen Gesundheitsminister.
Quelle: ntv.de