Person der Woche: der US-Fedchef Powells Crash könnte Trump zum Präsidenten machen
06.08.2024, 08:23 Uhr Artikel anhören

Hält die Zinsen hoch: Jerome Powell.
(Foto: IMAGO/Xinhua)
Die Börsen beben und erschüttern plötzlich auch Amerikas Wahlkampf. Die Konjunktur ist labil, und die Wirtschafts-Bilanz von Joe Biden und Kamala Harris kommt plötzlich auf die Tagesordnung. Profitiert Donald Trump davon? Ausgerechnet ein Gegner spielt ihm ungewollt in die Hände.
Der amerikanische Notenbankpräsident Jerome Powell hat die teuerste Rede aller Zeiten gehalten. Am vergangenen Mittwoch trat er vor die Presse und erklärte, dass die Federal Reserve ihren Leitzins bei hohen 5,25 bis 5,5 Prozent belassen werde. Das Inflationsrisiko sei noch nicht gebannt, aber bei "einigen weiteren Fortschritten" könnte eine Zinssenkung im September "auf den Tisch" kommen. Den Finanzmärkten war das zu zögerlich und zu spät.
Nervosität breitete sich aus, und als am Freitag auch noch schwache Konjunkturdaten aus den USA bekannt wurden, brach ein globaler Ausverkauf bei Wertpapieren los. Mehr als 4 Billionen Dollar haben die Weltaktienmärkte an Wert seit der Powell-Rede eingebüßt. Die Aktie von Nvidia stürzte von Mitte vergangener Woche (Hoch bei 112 Euro) zeitweise bis auf 83,66 Euro ab. Alleine bei dieser Aktie waren rechnerisch 500 Milliarden Euro schlagartig vernichtet. Viele Analysten von Hongkong bis London, von Frankfurt bis New York schieben Powells Rede und seiner Zinszögerlichkeit die Verantwortung für den Crash zu.
Der Börsenkrach droht auch die politische Stimmung in den USA massiv zu beeinflussen. Millionen von Amerikanern halten Aktien, vielfach ist die Altersvorsorge darauf gebaut. Der Crash verstärkt nun unter Amerikanern die Sorge, dass Amerikas Wirtschaft mit Joe Biden und Kamala Harris auf schwachen Beinen stehe.
Tatsächlich signalisieren die jüngsten Konjunkturdaten nichts Gutes. Der Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe in den USA - ein wichtiger Stimmungsindikator - sank im Juli auf 46,8 Punkte von 48,5 Zählern im Juni. Ökonomen hatten mit einem Anstieg des Barometers auf 48,8 Punkte gerechnet. Und auch der Arbeitsmarkt in den USA schwächelt arg. Im Juli hat die größte Volkswirtschaft der Welt überraschend wenig neue Stellen geschaffen, und die Arbeitslosigkeit erreichte mit 4,3 Prozent den höchsten Stand seit fast drei Jahren. Vor einem Jahr wurden nur 3,5 Prozent gemessen.
Ausgerechnet kurz vor der Wahl steigen die heiklen Zahlen deutlich an. Mit dem Börsencrash steigt nun das Risiko, dass Amerika in eine Rezession abgleitet. Die Ökonomen von Goldman Sachs haben die Wahrscheinlichkeit, dass die USA innerhalb des nächsten Jahres in eine Rezession abrutschen, von 15 auf 25 Prozent erhöht, während die Analysten von JP Morgan die Wahrscheinlichkeit einer Rezession sogar auf 50 Prozent schätzen.
Harris hat ein Problem
Auch die Einschätzung der Amerikaner zur wirtschaftlichen Lage ist verblüffend negativ. Das Meinungsforschungsinstitut Gallup hat für Juli einen deprimierenden Wert von minus 35 auf der Stimmungsskala (von minus 100 bis plus 100) ermittelt - im März waren schon schlechte minus 20 gemessen worden, doch seitdem geht die Stimmung immer weiter bergab. Laut Gallup beschreiben 46 Prozent der Amerikaner die aktuelle Wirtschaftslage als "schlecht". Sogar sieben von zehn Amerikanern befürchten, dass sich die Wirtschaft "verschlechtert", während nur 24 Prozent sagen, dass sie "besser wird". Das trübe Stimmungsbild dürfte sich mit dem Crash noch verschlimmern.
Für den Wahlkampf von Kamala Harris kommen die Nachrichten und der Crash zur Unzeit. Gerade erst hat sie Rückenwind gespürt im schwierigen Wahlkampf gegen Donald Trump. Spendengelder fließen ihr kräftig zu, die Umfragewerte verbessern sich, das liberale Amerika wirkt wieder mobilisiert, die Rückkehr des Rechtspopulisten doch noch zu verhindern. Der Crash und die Angst vor einer Rezession könnten nun alles zunichtemachen. Denn die Republikaner zielen im Wahlkampf bereits auf die zwei vermeintlichen Hauptschwächen bei der neuen Kandidatin: ihr angebliches Versagen in der Migrationspolitik und ihr vermeintlich linkes, wirtschaftsfeindliches Programm.
In dieser Gemengelage gerät der Notenbankchef nicht nur ins Zentrum des Börsen-Orkans, auch im amerikanischen Wahlkampf bekommt er plötzlich eine Schlüsselrolle. Die Demokraten fordern - wie viele Aktionäre und Vertreter der Finanzindustrie - von Powell ein rasches und kräftiges Lockern der Zinsschraube. Die Notenbank müsse den Crash mit billigerem Geld lindern, die Konjunktur ankurbeln und den Aktienmärkten neue Perspektiven geben. Die mächtige demokratische Senatorin Elizabeth Warren erklärte für das Harris-Lager, Powell habe "einen schweren Fehler gemacht, als er die Zinsen nicht senkte", und warnte, dass "die Arbeitsmarktdaten rot leuchten". Warren fordert Powell sogar auf, "seinen Sommerurlaub abzubrechen und die Zinsen jetzt zu senken - und nicht erst in 6 Wochen".
Das Trump-Lager wiederum ist schon seit Wochen mit Kritik zur Stelle, Powell werde mit einer Zinssenkung im September den Demokraten vor der US-Präsidentschaftswahl zu Hilfe eilen.
Trump will Powell loswerden
Powell betonte freilich schon bei seiner Rede, dass seine Entscheidungen strikt apolitisch halten werde. Die Zentralbank sei "absolut" unpolitisch, wenn sie auf der nächsten Sitzung womöglich die Kreditkosten senke: "Wir nutzen unsere Instrumente niemals, um eine politische Partei, einen Politiker oder ein politisches Ergebnis zu unterstützen oder zu bekämpfen", sagte Powell.
Im linken politischen Lager wird gerne kolportiert, dass Powell auch deshalb an den hohen Zinsen festhalte, um Trump gezielt zu helfen. Powell sei ein "altgedienter Republikaner". Das stimmt zwar: Powell war schon als Student für die Republikaner engagiert, unter George Bush wurde er Staatssekretär im Finanzministerium, er spendete im Wahlkampf Obama versus McCain 30.800 Dollar für den Republikaner und gilt in einem klassischen Sinn als Konservativer. Doch zugleich ist er im Trump-Lager regelrecht verhasst. Weil Powell jenseits seiner parteipolitischen Überzeugungen die Unabhängigkeit der Zentralbank auch gegenüber dem Präsidenten Trump tapfer verteidigt hat, ist er zu einer politischen Zielscheibe von Trump geworden. Auch Trump wollte seinerzeit, dass Powell die Zinsen rasch und massiv senkt und ohne Rücksicht auf Inflationsgefahr die Wirtschaft ankurbelt. Doch Powell verweigerte sich.
Vor wenigen Wochen hat Trump sogar angekündigt, dass er bei einer Rückkehr ins Weiße Haus eine weitere Amtszeit von Notenbankchef Jerome Powell verhindern werde. Er werde Powell nicht wieder ernennen, falls er die diesjährige Präsidentschaftswahl im November gewinnen sollte, sagte Trump dem Fernsehsender Fox. Im Umfeld von Trump wünscht man sich eine draufgängerische Fed-Politik des billigen Geldes, um einen Konjunkturaufschwung zu provozieren. Dies allerdings würde nicht nur die Unabhängigkeit der Notenbank untergraben, sondern auch neue Inflation provozieren. Beides ist mit Powell nicht zu machen. Und so gerät der tapfere Verteidiger der Geldwertstabilität in die tragische Konstellation, dass er es zur Verteidigung seiner Prinzipien keinem politischen Lager recht machen kann, vielleicht sogar seinem ärgsten Widersacher unfreiwillig ins Amt verhilft - und am Ende seinen eigenen Job verliert.
Quelle: ntv.de