Es geht voran! Oder? Friedrich Merz und sein Sommer-Versprechen


Spüren Sie schon, wie es voran geht?
(Foto: Omar Havana/AP/dpa)
Die Strompreisbremse? Kommt nicht. Jens Spahn? Verheddert sich in Coronamasken. Der Bundeskanzler? Über den Wolken. Eine Zwischenbilanz.
Die Regierung ist seit 50 Tagen im Amt, das politische Berlin richtet sich auf die Sommerpause ein - Zeit für eine Zwischenbilanz. Immerhin hatte der neue Regierungschef Friedrich Merz einiges versprochen. In seiner ersten Regierungserklärung sagte er: "Menschen sollen schon im Sommer spüren: Es geht voran." Es ist Sommer. Und? Spüren Sie etwas? Was heißt eigentlich "voran"?
"Voran" heißt womöglich "nach rechts". "Links ist vorbei", hatte Merz immerhin kühn auf den letzten Metern des Wahlkampfs geschworen. Parlamentarisch stimmt das und es stimmt auch wieder nicht: Denn dem kühnen Manöver, für seine Migrationspolitik auch AfD-Stimmen mitzunehmen ("all in") verdankt der Bundestag den Einzug der Linken.
Aber immerhin ist die Linken-Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek gerade an der Wahl ins Parlamentarische Kontrollgremium gescheitert. Der Grund: Reichinnek hatte eine Rede mit dem Schlachtruf "Auf die Barrikaden!" beendet, was man in der Union als Provokation wertete und als Aufforderung, sich "gegen die verfassungsmäßige Ordnung" zu stellen.
"Kommt alles nicht"
Spüren Sie einen wirtschaftspolitischen Wechsel? Den versprach Merz auch, kurz bevor er das gigantischste Verschuldungspaket der deutschen Geschichte schnürte. Jetzt hat das Parlament immerhin den "Investitionsbooster" auf den Weg gebracht, mit deutlichen Entlastungen für Unternehmen.
Auch hier verfolgt den Kanzler allerdings die Erzählung von den vielen gebrochenen Versprechen: Die Stromsteuer für alle sollte sinken, so steht es im Koalitionsvertrag. Stattdessen wird sie ab 2026 nur für das produzierende Gewerbe gesenkt. Die Entlastung für Bürger? "Kommt alles nicht", bilanziert die "Bild".
Doch statt Merz gehen andere in die Bütt: Dass das Geld dafür derzeit doch nicht reicht, durfte Merz' treuer Statthalter im Kanzleramt erklären, Thorsten Frei. Frei ist auch "Minister für besondere Aufgaben", und damit ist offenbar Blitzableiter gemeint. Merz? Hat wichtigere Dinge zu tun.
Merkel-Selfie ausgleichen
Geht es denn bei der Migrationswende "voran"? Bedingt, zumindest aber psychologisch: Der Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) scheiterte kürzlich bei der Zurückweisung dreier Somalier am Verwaltungsgericht Berlin.
Dann sorgte der Minister für Aufregung unter Juristen, weil er so klang, als föchten ihn einzelne Entscheidungen irgendwelcher Verwaltungsrichter nicht an. Das ist der "einfach mal machen"-Sound, den Merz von Beginn an aus Amerika importierte.
Die Grundstrategie: Einen migrationsfeindlichen Sound pflegen, das Merkel-Selfie ausgleichen, psychologische Zuwanderungshemmungen aufbauen. Das führt in rechtsstaatlich schlammiges Gebiet, aber das dürfte in der Bevölkerung wenige stören. Punkt für Merz.
Zwischen frech und servil
Des Kanzlers größter Trumpf ist die Außenpolitik und als Außenkanzler hat er seine Amtsführung angelegt. Deutschland wolle Verantwortung in Europa und der Welt übernehmen, hatte Merz an Ostern versprochen. Das scheint zu gelingen: Merz absolvierte mit Bravour seinen Besuch bei Donald Trump, mit Fingerspitzengefühl und doch, ohne in Servilität abzugleiten.
Dass dieser Balance-Akt hätte schiefgehen können, bezeugten Wolodymyr Selenskyj (zu frech) und zeigt aktuell der Nato-Generalsekretär Mark Rutte: Der hat in seiner SMS an Trump sogar dessen Großschreibkrämpfe übernommen. "Du wirst erreichen, was jahrzehntelang KEIN US-Präsident geschafft hat", scharwenzelte er am Mittwoch. Und, bezogen auf Israel und Iran: Manchmal müsse "Daddy" (gemeint war Trump) eben auf den Tisch hauen.
Apropos Wortwahl: Das vielleicht größte Versprechen aber hatte Merz gar nicht ausdrücklich abgegeben: nämlich, als Kanzler besser zu kommunizieren als sein Vorgänger. Das gelingt ihm, wenn auch nicht auf elegante Weise.
Lieber "fuck" als unverstanden
Sein "Drecksarbeit"-Kommentar in Bezug auf die israelische Attacke auf den Iran sorgte für gerümpfte Nasen - aber absolut jeder im Land wusste danach, wo Merz und seine Regierung stehen. Es gehört zur zeitgeistlichen Schubumkehr, dass diese robuste Kommunikation besser in die Gegenwart passt als die gedrechselt-betuliche Behördenprosa eines Olaf Scholz. Angelehnt an ein aktuelles Diktum des US-Präsidenten: Lieber "fuck" als unverstanden.
Insgesamt läuft es also rund für Merz. Die Opposition bekommt zugleich keinen Fuß auf den Boden. Die AfD strampelt, weil sie zum Iran keine Haltung findet. Die Grünen versuchen derweil verzweifelt, den früheren Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wegen seiner Maskendeals festzunageln.
Ein Skandal aus Einzelteilen
Ja, gut: Hier und da ist etwas geschwärzt im Untersuchungsbericht der Sachverständigenberaterin Margaretha Sudhof (SPD). Oft sind es aber offenbar Dinge, die in der Presse längst bekannt sind. Dann ist da ein Spendendinner aus dem Jahr 2021, bei dem Unternehmer an Spahns Kreisverband Beträge kurz unter der Meldegrenze spendeten, also 9999 Euro. Von "politischem Geschmäckle" schrieb damals der "Tagesspiegel". Und die Masken beschaffte Spahn mitten in der Corona-Panik offenbar von einem Kumpel.
Uff. Wenn man den Skandal um einen Politiker schon aus Einzelteilen zusammenschrauben muss wie ein Ikea-Bett, ist es keiner. Zudem fehlt der Untat ein plausibles Motiv, denn das Schäbigste, was man Spahn nach derzeitigem Stand vorwerfen kann: Er wollte gern ein Held sein.
Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, das muss man ihm lassen, kämpft dennoch. Auf X postet Janosch Dahmen frenetisch, er heizt seinen Followern regelrecht ein: Warum schont die Springer-Presse Spahn? Ist es nicht verrückt, wie viel im Sudhof-Bericht geschwärzt ist? Und schaut mal hier, ein vernichtender Leitartikel über Spahn im "Spiegel"!
Nicht einmal die AfD ist sauer
Janosch Dahmen wirkt wie ein sich in Ekstase fuchtelnder Dirigent, im Orchestergraben sitzen allerdings nur ein paar Geiger aus der grünen Blase. Nicht einmal die AfD ist sauer - und dort hält man die Pandemie-Politik traditionell für eine Art Regierungstollwut.
An Merz wird das keine Kratzer hinterlassen. Am Wochenende wird die Medienkarawane weiterziehen und sich um den Vize-Kanzler versammeln: Denn dann wird die SPD sich womöglich an Lars Klingbeil abarbeiten.
Nach den ersten 50 Tagen, einem längst vergessenen Wahl-Rodeo, gebrochenen Versprechen und einem Fraktionschef im Kreuzfeuer sitzt Friedrich Merz also ziemlich fest im Sattel. Jedenfalls der Sauerländer dürfte das Gefühl haben: Es ist Sommer, es geht voran.
Quelle: ntv.de