Wieduwilts Woche

CDU-Chef enttäuscht fünfmal Herr Merz, Sie schulden uns was!

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Zweimal kam der alte Bundestag zusammen, um Friedrich Merz viele Millliarden Euro Kredit für die Regierungsbildung zu gewähren.

Zweimal kam der alte Bundestag zusammen, um Friedrich Merz viele Millliarden Euro Kredit für die Regierungsbildung zu gewähren.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die künftige Koalition hat den Schuldendeal so gut geschmiedet, dass sogar Donald Trump seine Maga-Kappe ziehen müsste. Sie hat die Bürger aber auch fünfmal tief enttäuscht.

Es sollte ein ordentlicher Rechtsruck werden, so jedenfalls fühlte sich die Bundestagswahl an: Die Ampel hatte sich abgewirtschaftet, die Grünen wollten Deutschland deindustrialisieren, die SPD bekam das Thema Migration nicht in den Griff, die FDP zog in die offene Feldschlacht. Am schlimmsten schien Olaf Scholz zu sein: Der Bundeskanzler muffelte sich durchs Amt mit dem Charisma eine Parkuhr.

Das führte dazu, dass ein älterer Herr ohne nennenswerte Amtserfahrung, der es in der Rolle des Atomkraftwerk-Besitzers Mr. Burns in eine Simpsons-Verfilmung schaffen würde, zur Lichtgestalt der politischen Mitte wurde: Friedrich Merz, erlöse uns von der Ampel! Durchgreifen! Grenzen dicht! Wirtschaft anknipsen! Deutschland in Ordnung bringen!

Auch weit rechts der Mitte wollte die Merz-CDU glänzen: Julia Klöckner, die, wenn alles schiefgeht, bald Präsidentin des Bundestags wird, formulierte es so: "Für das, was ihr wollt, müsst Ihr nicht AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU!" Vielleicht hat das ja sogar ein paar Abgänge Richtung AfD verhindert.

Fünf Enttäuschungen

Kurz: Die Erwartungen waren gewaltig. Doch dann kam die vergangene Woche und mit ihr fünf Enttäuschungen, die sich tief ins kollektive Gedächtnis einbrennen dürften. Es ist eine Woche voller verfassungsrechtlicher Rittberger, verkorkster Allianzen und vertauschter Rollen.

Enttäuschung 1: Friedrich Merz reformiert die Schuldenbremse und bastelt ein Sondervermögen - dabei war er zuvor als stabiler konservativer Haushälter aufgetreten. Ja, er hatte sich kurz davor semantische Türchen offen gehalten. Aber damit kann er sich nicht einmal bei seinem Friseur herausreden: Das sieht nach Verrat aus. Ausgerechnet die Grünen disziplinierten die Schuldenorgie, das versteht kein Mensch.

Enttäuschung 2: Der Bundestag ist "aufgelöst", wie es das Grundgesetz formuliert, und trotzdem ändert er die Verfassung? Ja, das geht, aber auch das versteht kaum jemand. Sogar gestandene Juristen behalten ein Bauchgrimmen, so gut die rechtlichen Argumente auch sind. Die politische Mitte verschwört sich derart, dass AfD und Linke geradezu unisono das Verhalten kritisieren.

Der frühere Bundesverfassungsrichter Peter Huber nascht von der Populismustorte und bezeichnet Schuldenpaket und Verfahren in der "Frankfurter Allgemeine Zeitung", offenbar selbstberauscht von früheren Amt und Ehren, als "Staatsstreich". Sieht also ganz schön nach Verrat aus.

Enttäuschung 3: Die vermeintliche Verschwörung im Parlament färbt ab auf die Gerichte. Weil Karlsruhe und Landesverfassungsgerichte das seltsam wirkende Verfahren durchwinken, wärmen Politiker wie AfD-Justiziar Stephan Brandner die Geschichte auf, wie Angela Merkel die Bundesverfassungsrichter zum Essen einlud. Die FDP klagt vor gleich fünf Landesverfassungsgerichten, trotz extrem trüber Erfolgsaussichten. Aber wenn man die Klatsche vor Gericht kassiert hat, kann man immerhin sagen: Alle stecken unter einer Decke, ganz klar: Verrat.

Enttäuschung 4: "All in" wollte Merz gehen, mit der AfD, für seinen 5-Punkte-Plan zur Migration. Grenzkontrollen, Abschieben, verhaften, zurückweisen. Der Konservative hatte den Ton getroffen nach der Serie von Gewalttaten, vor allem in Aschaffenburg. Die breite Brust sammelte der CDU-Chef bald schon wieder ein, um nun womöglich an der SPD zu scheitern: Ausreisepflichtige Migranten sollen in Deutschland bleiben, fordern die Sozialdemokraten. Macht Merz da mit? Riecht schon wieder nach Verrat.

Enttäuschung 5: Klimaschutz sollte in die zweite Reihe treten. Nicht einmal die Grünen sprachen im Wahlkampf viel von Nachhaltigkeit und CO2. Sie wurden mit 11,61 Prozent abgestraft - und halten plötzlich den Federkiel in der Hand, mit dem man im Grundgesetz herumkritzeln kann! Prompt schreiben Sie eine Jahreszahl ins höchste Regelwerk, bis 2045 soll Deutschland klimaneutral werden. Der deutsche Sonderweg in der Klimapolitik habe nun Verfassungsrang, schimpft der liberale Ex-Bundesjustizminister Marco Buschmann. Ganz klar: Auch ein Verrat!

Eine Woche des gefühlten Volksverrats

In der Summe sieht das nicht gut aus, es riecht nach einer Woche des Volksverrats, wie man unter Nazis sagt. Man verstehe mich nicht falsch: Alles, was im Bundestag, an den Verfassungsgerichten und im Bundesrat passiert ist, entsprach den Regeln. Für die Lockerung der Schuldenbremsen in Bund und Ländern sowie das Sondervermögen gibt es gute Gründe. Die Klimaneutralität bis 2045 ist kein neues Staatsziel, sondern verhindert lediglich haushalterische Taschenspielertricks - daran wird keine Fabrik zugrunde gehen.

Es ist auch kein "Staatsstreich", wie Ex-Verfassungsrichter in der FAZ gehubert hat. Das ist "eine illegale, meist gewaltsame und überraschende Aktion von Angehörigen des Militärs oder paramilitärischer Organisationen und/oder einer Gruppe von Politikern mit dem Ziel, die Macht im Staat zu übernehmen oder für sich zu erhalten", wie es Wikipedia formuliert.

Es ist also gefühlter Volksverrat - aber was macht man denn jetzt mit dieser Erkenntnis?

Empathie und Führung

Realität ist, was kommunizierbar ist. Das muss die Regierung Merz von Tag 1 an ernst nehmen. Die Bevölkerung hat schon einige Kränkungen intus, sei es die Finanzkrise, die Eurokrise oder Corona. Die Ableitungen lauteten allzu oft: Die da oben, wir hier unten, alles Verrat! Das muss Merz sichtbar anerkennen.

Mit "wir werden einander viel verzeihen müssen" ist es nicht getan. Merz könnte sich an die Bevölkerung wenden und erst einmal einräumen: Ja, das, was da in dieser Woche passiert ist, ging über viele Köpfe hinweg. Ja, das war so stilvoll wie eine Ravioli-Dose auf dem Bunsenbrenner. Aber manchmal muss man Deals abschließen.

Dann muss er führen: Was soll nun passieren mit den Milliarden? Was für ein Versprechen gibt die Regierung Merz? Eine brummende Wirtschaft? Heikel. Frieden? Unklar. Ein Europa als Brückenkopf der Freiheit und des Wohlstands? Vielleicht, immerhin ist er bei diesem Projekt nicht so abhängig vom Koalitionsfrieden. Amerika trudelt gerade Richtung Totalitarismus, Russland greift nach Europa, China lauert - die Welt wartet auf Europa.

Es muss ja nicht alles perfekt klappen. Aber von hier an darf nicht mehr über die Köpfe der Bürger hinwegregiert werden. Merz muss klarer, nahbarer und sichtbarer sein als Scholz. Der voraussichtliche Kanzler hat das Vertrauenskonto jetzt schon überzogen.

Herr Merz, Sie schulden uns was!

Quelle: ntv.de

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