Kaufchance erfreut Präsidenten Bitcoin-Crash zeigt Risiken für El Salvador
08.09.2021, 14:37 Uhr
Bukele ließ im ganzen Land 200 spezielle Bitcoin-Geldautomaten aufstellen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Am ersten Tag, den Bitcoin in einem Land als offizielles Zahlungsmittel gilt, legt die Kryptowährung einen heftigen Kurssturz hin. Für die meisten Bitcoin-Anleger ist das kein Problem. Für El Salvador und seine Bürger dagegen schon.
Für eingefleischte Bitcoin-Investoren gehört das einfach dazu: Der Kurs der Ur-Kryptowährung brach gestern zeitweise von mehr als 52.000 Dollar auf gut 45.000 Dollar ein, ein Großteil davon innerhalb nur einer Stunde. Für von der langfristigen Wertsteigerung der digitalen Währung überzeugte Anhänger ist das kein Problem, sondern sorgt für ein bisschen Nervenkitzel und birgt die Chance, günstig nachzukaufen. Zu diesen Bitcoin-Fans zählt auch der Staatspräsident von El Salvador Nayib Bukele. Er habe den Kurssturz genutzt, um den "Dip", also zum Tiefpunkt zu kaufen. Dadurch habe El Salvador 150 Coins zusätzlich für seinen wachsenden Bitcoinfonds erwerben können, verkündete Bukele stolz.
Trotzdem ist die Kursentwicklung keine gute Nachricht für das arme mittelamerikanische Land. Der Crash ereignete sich ausgerechnet an dem Tag, an dem Bitcoin auf Betreiben Bukeles den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels bekam. Zugleich gab es zeitweise technische Schwierigkeiten mit der neuen staatlichen Krypto-App, dem "Chivo"-Wallett. Bukele bat seine Landsleute auf Twitter um Geduld: Eine technische Neuerung wie die Einführung eines neuen Zahlungsmittels brauche Zeit. Zwar darf Bukeles Bitcoin-Experiment wegen dieser Anfangsschwierigkeiten keineswegs als gescheitert gelten, doch sie illustrieren genau die Gefahren, vor denen internationale Experten etwa von Weltbank und Internationalem Währungsfonds zuvor schon eindringlich gewarnt hatten.
Langfristig orientierte Anleger, die Bitcoin auch als "digitales Gold" bezeichnen, dürften sich wegen, auch heftigen, kurzfristigen Schwankungen des Bitcoinkurses keine Sorgen machen. Doch die Salvadorianer sollen nach den Plänen Bukeles Bitcoin als Alternative für den bislang als alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel geltenden US-Dollar im alltäglichen Geschäftsverkehr nutzen. Laut dem nun in Kraft getretenen Bitcoin-Gesetz muss jeder "wirtschaftliche Akteur Bitcoin als Zahlung akzeptieren, wenn er von jemandem angeboten wird, der eine Ware oder Dienstleistung erwirbt".
Gläubiger stoßen Anleihen ab
Für kleinere Händler und Firmen, die nicht über komplexe elektronische Kassen- und Buchhaltungssysteme verfügen, bedeutet das, dass eine eben eingegangene Zahlung innerhalb nur einer Stunde mal eben zehn Prozent an Wert verliert. Bevor sich der Kurs innerhalb von Tagen, Wochen oder Monaten erholt, worauf Bitcoin-Investoren fest vertrauen, muss ein Händler aber in der Regel Warenrechnungen und andere Kosten begleichen. Ein zeitnaher, allerdings nicht immer sofortiger Umtausch von Bitcoinzahlungen ist zwar möglich. Dafür fallen aber Kosten an.
Größere Unternehmen können solche Schwankungen managen. In den sozialen Medien feierten gestern Kryptofans, wie sie problemlos bei McDonald's mit Bitcoin bezahlen konnten. Auch bei Starbucks soll das einwandfrei funktioniert haben. Für kleine Unternehmen ist eine verlässliche Buchhaltung und Preiskalkulation unter solchen Bedingungen dagegen kaum noch möglich.
Ein ähnliches Risiko gilt für die Überweisungen salvadorianischer Arbeitsmigranten, vor allem aus den USA. Diese Zahlungen machen mehr als 20 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes aus. Bukeles Versprechen ist, dass sich diese mithilfe von Kryptowährungen erheblich günstiger abwickeln lassen, als über traditionelle Banken oder Geldtransferbüros. Der gestrige Kurssturz macht allerdings deutlich, dass sich Bitcoin zu diesem Zweck nur bedingt eignet. Die Aussicht, dass der Wert einer solchen Zahlung, die in vielen Fällen das Monatseinkommen einer ganzen Familie darstellt, innerhalb von Minuten merklich schwinden kann, dürfte alle abschrecken, die dringend auf dieses Geld angewiesen sind. Es gibt andere Kryptowährungen, die für solche Zwecke viel besser geeignet sind.
El Salvadors Bevölkerung war Umfragen zufolge bereits zuvor skeptisch gegenüber dem neuen Zahlungsmittel eingestellt. Insbesondere Händler lehnten die Bitcoin-Einführung mit großer Mehrheit ab. Der IWF hatte gewarnt, Schwankungen des Bitcoin-Kurses könnten gar die Stabilität der salvadorianischen Wirtschaft und der staatlichen Finanzen insgesamt gefährden, sollte die Kryptowährung tatsächlich einen erheblichen Anteil am Wirtschaftsgeschehen haben. Die Ratingagentur Moody's hatte El Salvadors Bonität nach Verabschiedung des Bitcoin-Gesetzes herabgesetzt. Beim Crash deutete sich an, wie direkt der Bitcoinkurs El Salvadors Finanzsituation beeinflussen kann. Während die Kryptowährung abwärts rutschte, stießen Investoren am Finanzmarkt die Anleihen des hoch verschuldeten Landes ab. Ihr Kurs brach um sechs Prozent ein.
Quelle: ntv.de, mbo