Erst undenkbar, heute normal Börsenhandel vom heimischen Küchtentisch
20.02.2021, 19:27 Uhr
Die Deutsche Bank kann sich vorstellen, bei Jobs in der Wertpapierkontrolle auch künftig Homeoffice zu ermöglichen.
(Foto: imago images/Jan Huebner)
Vor der Pandemie sind Aktien, Anleihen und Währungen in lauten und quirligen Büros gehandelt worden. Als die ersten Berichte über Corona-Infektionen aufkommen, schicken allerdings auch Banken ihre Mitarbeiter ins Homeoffice - und die Notfallpläne funktionieren besser als zunächst angenommen.
Die Corona-Pandemie hat die Welt der Händler auf den Kopf gestellt. Was vor einem Jahr undenkbar war, ist heute normal: Vom Küchentisch aus werden weltweit Aktien, Anleihen, Währungen und selbst komplexe Finanzprodukte gehandelt. Die anfängliche Sorge der Banken vor Hackerangriffen oder Systemausfällen hat sich als unbegründet erwiesen. Viele Banker und Broker sind davon überzeugt, dass sich Homeoffice im Kapitalmarktgeschäft verankert. Manche rufen gar schon das Ende des lauten und quirligen Handelssaals aus. Auch die Finanzaufsicht macht sich Gedanken, wie es nach der Pandemie weitergehen kann.
"Das Thema Homeoffice wird nicht komplett verschwinden, wenn die Pandemie vorbei ist", sagt Ulrich Walter, der bei der genossenschaftlichen DZ Bank für das Handelsgeschäft verantwortlich ist. "Die Krise wirkt wie ein Katalysator für Heimarbeit." So sei denkbar, dass Spätschichten im Handel oder Aufgaben in längerfristigen Projekten nicht mehr zwingend vom Büro aus erledigt werden müssten.
Die Deutsche Bank kann sich etwa vorstellen, bei Jobs in der Wertpapierkontrolle auch künftig Homeoffice zu ermöglichen. "Der Mix zwischen Arbeit im Büro und Arbeit von zu Hause wird sich verändern", sagt Kristian Snellman, bei der Deutschen Bank verantwortlich für die Organisation der Investmentbank in Deutschland und EMEA. "Wir sind flexibler geworden, es sind einige Optionen denkbar."
Als Anfang 2020 die ersten Berichte über Infektionen mit dem Coronavirus aus Asien aufkamen, zogen Banken Notfallpläne aus den Schubladen, teilten ihre Handelsteams auf und testeten die Systeme für den Betrieb von zu Hause. Dass monatelang die Mehrheit der Händler nicht mehr in die Büros kommen wird, war damals nicht vorstellbar. "Da wir in den letzten Monaten weiter technisch aufgerüstet haben, läuft es inzwischen sogar noch besser, als wir uns das zu Beginn vorstellen konnten", sagt Snellman.
Größte Herausforderung: Kommunikation mit Kollegen
Den Händlern reicht nicht ein einfacher Laptop wie anderen Mitarbeitern bei Banken. Sie brauchen mehrere große Bildschirme, eine stabile Internetleitung, die Möglichkeit, die Gespräche mit den Kunden aufzunehmen und eigentlich einen abgeschlossenen Raum für kurssensible Themen, um Insiderhandel zu vermeiden. Die Finanzaufsicht Bafin lockerte die Vorschriften und erlaubte den Handel im Homeoffice - allerdings nur vorübergehend.
In Aufsichtskreisen heißt es, die Umstellung auf Homeoffice im Handel habe gut geklappt und es habe bislang keine größeren Pannen gegeben. Nach der Pandemie soll es einem Insider zufolge eine Bestandsaufnahme geben, welche Lockerungen sich womöglich bewährt haben und wo man gegebenenfalls nachjustieren kann. Die wichtigsten Standards zum Wertpapierhandel werden von der europäischen Aufsichtsbehörde ESMA festgelegt.
Die größte Herausforderung für die Händler am Küchentisch ist die Kommunikation mit ihren Teamkollegen. "Wir Händler brauchen den Austausch untereinander", sagt Oliver Roth vom Brokerhaus ODDO BHF. Ein Zuruf durch den Raum gehe schneller und sei einfacher als eine Nachricht im Chat zu schreiben. Beim Wertpapierhändler Alpha Trading sitzen deswegen fast alle Händler im Büro - freiwillig. "Wir brauchen den Flurfunk", sagt Chefhändler Stefan de Schutter. "Wir können nicht im stillen Kämmerlein arbeiten." Bislang ging auch alles gut in dem kleinen Handelssaal in der Frankfurter Innenstadt, Ansteckungen gab es im Team noch keine.
Es wird ein Umdenken stattfinden
Portfoliomanager Roger Krüger vom Vermögensverwalter Falcon Investment ist dagegen überzeugt, dass die großen Handelsräume der Vergangenheit angehören. "Es wird ein Umdenken stattfinden. Man wird nicht wieder eng auf eng in den Handelssälen sitzen", sagt Krüger, der seit Monaten überwiegend von zu Hause handelt und sich eine extra große Internetleitung besorgt hat. "Bei vielen Mitarbeitern hat sich die Empfindsamkeit geändert. Viele wollen gar nicht mehr mit Bus und Bahn ins Büro fahren."
Bei der Deutschen Bank arbeiten konzernweit derzeit rund 70 Prozent der knapp 85.000 Mitarbeiter überwiegend von zu Hause, auch im Kapitalmarktgeschäft. Dort gelten im Gegensatz zu anderen Abteilungen aber besondere Maßnahmen. "Mindestens eine Person des jeweiligen Handelstisches muss im Büro sitzen, falls Systeme an den anderen Orten ausfallen", sagt Snellman. "Damit stellen wir die Handlungsfähigkeit sicher." Die Deutsche Bank muss als sogenannter Market Maker jederzeit Kurse für die Finanztitel zur Verfügung stellen. Dabei darf nichts schiefgehen, sonst kann das weltweit zu Verwerfungen führen.
Snellman geht davon aus, dass nach dem Ende der Pandemie viele Händler wieder in die Handelssäle zurückkehren wollen, weil sie im Büro effektiver arbeiten können. Jedoch will das Geldhaus mehr als früher darauf achten, welche persönlichen Gegebenheiten zu Hause herrschen. "Auch Händler haben Kinder oder pflegebedürftige Eltern. Da sind wir sensibler geworden."
Quelle: ntv.de, Patricia Uhlig, rts