Teure Pläne der Wahlsieger Die Schuldenkrise ist zurück in Frankreich


Die "Neue Volksfront" wird die stärkste Fraktion im Parlament.
(Foto: REUTERS)
Das Worst-Case-Szenario bei den Wahlen hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zwar verhindert. Doch nun droht dem Kernland der Eurozone ein volatiler Mix aus Ausgabenexplosion, Börsenbeben und politischer Dauerkrise.
Aufatmen in Paris: Bei den Parlamentswahlen in Frankreich ist ein Durchmarsch des rechtspopulistischen RN von Marine Le Pen verhindert worden. Doch nun kommt Frankreich womöglich bald vom Regen in die Traufe. Denn durch das Patt zwischen Rechts- und Linksextremen und Macrons Partei in der Nationalversammlung droht Frankreich eine ausgedehnte Phase des Stillstands. Die Grande Nation hat sich politisch in eine solche Sackgasse manövriert, dass die Märkte über kurz oder lang das Zittern bekommen könnten.
An den Kursen in Paris ist das kurz nach der Wahl noch nicht abzulesen. Die Risikoaufschläge für französische Staatsanleihen kletterten in den ersten Stunden des Handelstags etwas, der Leitindex CAC 40 verlor erst leicht und machte seine Verluste dann aber wieder wett. Doch wenn die erste Bauchreaktion der Anleger ein Omen ist, dürften auf Frankreich mittelfristig große Turbulenzen zukommen.
Selbst Deutschlands grüner Wirtschaftsminister Robert Habeck, der in einem Jahr bei der Bundestagswahl ein ähnliches populistisches Erwachen erleben könnte, bekennt: Aus dem Wahlergebnis ergäben sich "enorme Herausforderungen" für Europa und die deutsch-französischen Beziehungen. Denn die politische Malaise vollzieht sich vor dem Hintergrund ausufernder Staatsschulden. Und dass Frankreich sein Schuldenproblem bald in den Griff bekommt, ist nicht absehbar. Im Gegenteil.
"Katastrophe" für die Kreditwürdigkeit
Mit 110 Prozent seiner Wirtschaftsleistung steht Paris bei Investoren schon jetzt in der Kreide - nach Griechenland und Italien die dritthöchste Schuldenquote der Eurozone. Die Analysten der Commerzbank gehen davon aus, dass Frankreichs ohnehin schon hohes Haushaltsdefizit angesichts der Ungewissheit über die Bildung einer neuen Regierung noch weiter steigen dürfte.
Denn die Extremisten von links und rechts wollen noch eine deutliche Schippe draufpacken. Erhöhung des Mindestlohns, Rente mit 60, Preisdeckel für Strom und Benzin: Die Pläne des Nouveau Front Populaire sollen nach Angaben des Linksbündnisses 150 Milliarden Euro bis 2027 kosten. Marine Le Pens rechtspopulistische RN will ebenfalls finanzielle Wohltaten unters Wahlvolk bringen: Mehrwertsteuersenkung auf Energie, Rücknahme von Macrons Rentenplänen, Steuergeschenke für Familien und Unternehmen.
Damit könnten sie den letzten Rest von Frankreichs Kreditwürdigkeit vollends verspielen. "Es wäre eine Katastrophe für das Land, den Weg massiver Ausgabensteigerungen einzuschlagen", warnt Ex-EZB-Chef Jean-Claude Trichet bei der Finanzagentur Bloomberg. Die Programme von links wie rechts seien schlicht "nicht umsetzbar". Mit Blick auf den Schuldenstand sei "kein Raum dafür". Trichet hofft deshalb, dass es in den nächsten Monaten zu einem "Reifungsprozess" bei den politischen Anführern beider extremer Lager kommt.
Der Euro ist der größte Wahlverlierer
So sehen es momentan offenbar auch noch viele Anleger. Sie gehen davon aus, dass die extremen Ausgabenpläne im Konsenszwang bei der Regierungsbildung verenden. Doch sicher ist das nicht: genauso gut denkbar ist, dass Macron einige der teuren Kernforderungen schluckt, um die Linken in eine Regierung zu locken. Oder sich auf Dauer gar keine stabile Regierung bilden lässt. Beobachter rechnen damit, dass die wie auch immer geartete Zweckkoalition oder eine vom Präsidenten eingesetzte Technokraten-Regierung nicht länger als ein Jahr hält.
Dieses kurze Haltbarkeitsdatum beunruhigt Frankreichs Geldgeber schon jetzt. Das Land brauche Reformen, die von einer breiten Koalition von Parteien getragen werden müssen, schreibt ING-Ökonom Philippe Ledent. Gelinge dies nicht, könnte dies zu einer langfristigen Instabilität führen, die die Märkte verunsichert.
"Die 'Lame Duck' in einem Kernland der Europäischen Union ist nicht gerade vertraueneinflößend und mit Perspektiven für Investoren verbunden", konstatiert auch Jürgen Molnar, Stratege vom Broker RoboMarkets. Das zeichnet sich deutlich an der Rendite der französischen Staatsanleihen ab. Seit Macrons Ankündigung von Neuwahlen vor knapp einem Monat ist sie bereits um fast 3,5 Prozent gestiegen.
Und so sind am Ende Frankreichs Finanzstabilität - und mit ihr die der Eurozone - wieder einmal gefährdet: "Es ist schwer vorstellbar, wie ein Haushalt mit Kürzungen angesichts der neuen politischen Realitäten beschlossen werden sollte", sagt der oberste Investmentstratege von Rothschild Asset Management zu Bloomberg. Eine Herabstufung für französische Staatsanleihen sei daher unvermeidlich. Ein Comeback der Krise sei wahrscheinlich - "mit einer Neuwahl innerhalb eines Jahres."
Quelle: ntv.de