"Sozial nicht gerecht" Oberster Sozialrichter verlangt Abschaffung von Minijobs
30.01.2024, 16:26 Uhr Artikel anhören
Das Modell Minijob verursacht für die Allgemeinheit Kosten, sagt der Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, sieht erheblichen Reformbedarf im deutschen Sozialstaat: geringfügige Beschäftigungen abschaffen und das Ehegattensplitting umbauen. Bei den Sanktionen für Bürgergeldbezieher hält er drastischere Schritte für möglich.
Der Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, fordert das Aus für geringfügige Beschäftigungen, die sogenannten Minijobs, in Deutschland. "Viele Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik stammen aus Zeiten, als wir hohe Arbeitslosigkeit hatten. Auch die geringfügige Beschäftigung, die sogenannten Minijobs, sind ein Anachronismus", sagte Schlegel der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Daher fordert er: "Man sollte sie abschaffen oder nur noch für Schüler und Studenten zulassen. Eine solche Reform würde die Sozialkassen entlasten und dem Arbeitsmarkt guttun." Der 65-jährige Schlegel ist seit 2016 Präsident des Bundessozialgerichts.
Aus seiner Sicht ist das Jobmodell Minijob, bei dem bis zu 538 Euro im Monat steuerfrei verdient werden können, "sozial nicht gerecht", da es für die Allgemeinheit Kosten verursacht - speziell, sobald die Arbeitnehmer das Rentenalter erreichen. "Wenn Menschen ein Leben lang geringfügig beschäftigt sind, erhalten sie keine auskömmliche Rente", so der Präsident des Bundessozialgerichts. "Der Gesetzgeber hat zwar auch für geringfügig Beschäftigte die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung eingeführt, erlaubt aber Minijobbern, sich ohne weitere Begründung befreien zu lassen."
Er kritisiert auch weitere politische Maßnahmen als verfehlt, weil sie Anreize für Teilzeitbeschäftigungen schaffen, wie etwa die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern in der Krankenkasse. "Nachdenken sollten wir auch über den Umbau des Ehegattensplittings in ein Familiensplitting. Damit würde geringfügige Beschäftigung weniger attraktiv."
Bürgergeld-Sanktionen gehen "in die richtige Richtung"
Schlegel kritisiert auch die Bürgergelderhöhung um zwölf Prozent, die zum Jahresbeginn erfolgt ist. "Sie war gesetzlich so vorgesehen, das Gesetz also hätte weniger drastische Erhöhungen vorsehen müssen. Schon die Schwelle, ab wann jemand bedürftig ist, wurde im Bürgergeldgesetz sehr deutlich abgesenkt."
Aus seiner Sicht könnte die Bundespolitik auch weitgehendere Sanktionen gegen Bürgergeldbezieher beschließen. "Die Politik hätte auch bei den Sanktionen nicht so stark zurückrudern müssen, wie das nach dem Karlsruher Urteil zu Leistungskürzungen geschehen ist", sagt Schlegel. "Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung zu Hartz IV klipp und klar ausgeführt, dass Totalverweigerern Leistungen versagt werden können, wenn sie eine ihnen zumutbare Arbeit ohne sachlichen Grund ablehnen."
Die aktuellen Pläne der Bundesregierung, Bürgergeldbeziehern mitunter die Bezüge befristet komplett zu streichen, gehen aus seiner Sicht "in die richtige Richtung". Man könnte sogar noch härter vorgehen, so der oberste deutsche Sozialrichter. Er sieht dabei keine Probleme mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. "Karlsruhe ermöglicht auch vollständigen Leistungsentzug. So weit geht die Regierung nicht. Sie will den Anspruch höchstens für zwei Monate versagen. Betroffen wäre auch nur der Regelbedarf, die Zahlungen für Unterkunft und Heizung sollen weiterlaufen."
Quelle: ntv.de, lme