Insider über Winter-Szenario Stresstest-Ergebnis: Atomkraft könnte Stromengpass abwenden
02.09.2022, 17:41 Uhr
Das Kernkraftwerk Neckarwestheim 2 könnte bei einer Windflaute im Winter den fehlenden Strom bereitstellen.
(Foto: Bernd Weißbrod/dpa/Archivbild)
Der Weiterbetrieb der verbliebenen deutschen Atomkraftwerke bis ins kommende Jahr scheint immer wahrscheinlicher. Laut Insidern ergibt ein entsprechender Stresstest, dass dadurch ein möglicher Stromengpass im Winter abgewendet werden könnte. Allerdings würden zwei der AKW ausreichen.
Verlängerte Laufzeiten der beiden süddeutschen Atomkraftwerke könnten Branchen- und Regierungskreisen zufolge einen Strom-Engpass im Winter abwenden. Sollten Kohlekraftwerke nicht ausreichend laufen, der Wind nur schwach wehen und Frankreich großen Strombedarf haben, könnten die Reaktoren eine Krise abwenden, sagten mit dem sogenannten Stresstest der Netzbetreiber Vertraute der Nachrichtenagentur Reuters. In zwei der drei untersuchten Szenarien für den Winter würde ein Weiterbetrieb der beiden AKW von Vorteil sein. Das dritte noch laufende AKW Emsland in Niedersachsen werde nicht gebraucht.
Der Stresstest im Auftrag des Wirtschaftsministeriums sollte zeigen, ob längere Laufzeiten der Meiler in der Energiekrise und in Extrem-Lagen helfen könne. In Regierungskreisen hieß es, die Spitzen der Ampel-Koalition wollten darüber am Samstag beraten. Das Ministerium erklärte, ein finales Test-Ergebnis gebe es noch nicht.
Im Atomausstieg war eigentlich vereinbart worden, dass Isar 2 in Bayern, Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg sowie Emsland in Niedersachsen als letzte Meiler am 31. Dezember abgeschaltet werden. Im Zuge des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise waren jedoch Forderungen nach einer Laufzeitverlängerung immer lauter geworden.
Politisch heikles Unterfangen
Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen hatte zwar deutlich gemacht, im Kampf gegen Gas-Knappheit könnten die Reaktoren praktisch nichts beitragen. Er werde jedoch ideologiefrei mit dem Test prüfen lassen, ob sie die Stromversorgung sichern könnten. Für die Grünen, deren Kampf gegen die Atomenergie Teil ihrer Gründungsgeschichte ist, wäre ein Beschluss zu längeren Laufzeiten kritisch. In Baden-Württemberg regiert mit Winfried Kretschmann ein grüner Ministerpräsident, in Niedersachsen stehen im Oktober Landtagswahlen an.
Diskutiert wird vor allem ein sogenannter Streckbetrieb. Die Reaktoren würden in den nächsten Monaten weniger produzieren, um dann über das Jahresende hinaus mit den vorhandenen Brennelementen bis zum Winter-Ende liefern zu können. Wirtschaftsminister Habeck hatte in der Vergangenheit besonders Bayern vorgeworfen, einen möglichen Strom-Engpass selbst mit verschuldet zu haben. So habe das Land die Windkraft nicht ausgebaut und den Leitungsbau aus dem Norden verzögert.
Der Energiekonzern E.ON als Betreiber von Isar 2 zeigte sich offen für eine Verlängerung: "Wir könnten die Anlage technisch sicher weiterbetreiben. Sie wird laufend überprüft", sagte Vorstandschef Leonhard Birnbaum dem "Spiegel". "Eine Anlage, die am 31. Dezember sicher ist, wäre es auch am Tag danach." Auf die Frage nach der Haftung entgegnete der Manager: "Die Haftung bleibt in jedem Fall bei uns. Die Verantwortung für einen technisch sicheren Weiterbetrieb kann niemand anderes als der Betreiber übernehmen. Das würden wir auch akzeptieren."
Probleme mit Kohlekraftwerken
Aber auch in Baden-Württemberg fehlt es an Windenergie, die im Winter Strom liefern könnte. Die Lage dort beurteilt das Wirtschaftsministerium besonders kritisch: Mehrere Kohlekraftwerke stehen am Rhein, leiden aber unter dem Niedrigwasser. "Aufgrund der sehr eingeschränkten Binnenschifffahrt könnten sich die aufgebauten Kohlelager schnell reduzieren", heißt es im "Lagebild Energieversorgung" des Wirtschaftsministeriums von Ende August. Das überlastete Schienennetz mache die Lieferung per Zug ebenfalls schwierig. Aufgrund von Baustellen, Engpässen bei den Fahrzeugen und Störfällen komme es zu Verzögerungen im Schienengüterverkehr. Steinkohle kommt überwiegend entlang der Rhein-Schiene aus Nordsee-Häfen wie etwa Rotterdam.
Darüber hinaus fließt von Deutschland Strom nach Frankreich ab, da ein großer Teil der AKW dort überholt wird. Zudem wird dort im Winter viel mit Strom geheizt. Ein Weiterbetrieb würde allerdings eine Reihe Fragen aufwerfen: Zum einen müsste das Atomgesetz geändert werden. Die seit Jahren überfälligen und nur wegen der bevorstehenden Abschaltung ausgesetzten Sicherheitsüberprüfungen müssten nochmal geschoben werden. Nach der Atom-Katastrophe von Fukushima hatte es zudem weitere verschärfte Vorgaben gegeben, die die Anlagen auch mit Blick auf ihr Ende nicht erfüllen mussten.
Quelle: ntv.de, kst/rts